“Was wir getan haben, ist illegal, aber legitim”

Schutzsuchende aus Syrien, die auch in den Erstaufnahmestaaten weiter unter Not und Perspektivlosigkeit leiden, sehen sich mehr und mehr gezwungen, die gefährliche Flucht über das Mittelmeer nach Europa zu riskieren. Doch überleben sie die Überfahrt nach Italien, bleiben sie dort sich selbst überlassen, viele landen obdachlos auf der Straße. In andere EU-Staaten weiterziehen dürfen sie […]

Schutzsuchende aus Syrien, die auch in den Erstaufnahmestaaten weiter unter Not und Perspektivlosigkeit leiden, sehen sich mehr und mehr gezwungen, die gefährliche Flucht über das Mittelmeer nach Europa zu riskieren. Doch überleben sie die Überfahrt nach Italien, bleiben sie dort sich selbst überlassen, viele landen obdachlos auf der Straße. In andere EU-Staaten weiterziehen dürfen sie nicht, selbst wenn sie dort Verwandte oder Freundinnen und Freunde haben. Antonio Augugliaro, Gabriele del Grande und Khaled Soliman al Nassiry haben Betroffene in Italien kennengelernt – und sich entschieden, ihnen auf kreative Art und Weise weiterzuhelfen.

In ihrem Film “Io sto con la sposa” (Auf der Seite der Braut) zeigen sie, wie sie syrische Flüchtlinge von Italien nach Schweden schmuggeln – getarnt als Hochzeitsgesellschaft. Wir haben mit Gabriele del Grande, Journalist und Preisträger des Menschenrechtspreises der Stiftung Pro Asyl, über das riskante Projekt gesprochen. Von 17. bis 22. Mai organisiert Adopt a Revolution in Kooperation mit Pro Asyl eine Tour mit dem Film durch fünf Städte – jeweils mit anschließendem Publikumsgespräch.

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, die Flüchtlinge als Hochzeitsgesellschaft zu tarnen?

Co-Regisseur Kahled und ich gingen oft zum Mailänder Hauptbahnhof, der mittlerweile zur Anlaufstelle für viele Syrer geworden ist. Wir wollten diese Leute kennenlernen, mit ihnen sprechen, ihre Geschichten hören. Dort haben wir dann Abdallah, einen jungen Studenten aus Damaskus, kennengelernt, wir sind Freunde geworden, wir saßen oft zusammen und redeten über seine Pläne, nach Schweden zu kommen. Die Idee, eine Hochzeit zu inszenieren, kam eines Abends nach einem gemeinsamen Essen und war zunächst auch nur halb ernst gemeint. Wir schliefen eine Nacht darüber und am nächsten Tag rief mich Antonio, der andere Co-Regisseur, an und meinte: »Leute, es ist die genialste Idee, die ich jemals gehört habe, lasst uns das versuchen!«. So wahnsinnig wie wir waren, haben wir es gemacht. Und Abdallah wurde unser »Bräutigam«.

Und wer waren die Braut und die Hochzeitsgesellschaft?

Wir waren insgesamt 23: Fünf Syrer, sechs Leute, die gefilmt haben, und der Rest waren einfach Freunde, die die Gäste gespielt haben. Die Braut hat eine palästinensische Syrerin aus Damaskus gespielt, die seit sechs Monaten legal in Spanien lebt. Die fünf Syrer sind neben Abdalah, dem Bräutigam, ein älteres Ehepaar und ein Vater mit seinem zwölfjährigen Sohn, Manar. Die beiden sind palästinensische Syrer vom belagerten Flüchtlingscamp Yarmouk bei Damaskus, wo es im vergangenen Jahr Hungertote gab. Ihre Flucht im Boot von Ägypten nach Europa dauerte zwölf Tage, eine Überfahrt, die in der in der Regel nur fünf Tage dauert. Irgendwie haben sie es geschafft, nach Sizilien zu kommen. Bevor ihnen die Fingerabdrücke genommen wurden, sind sie aus dem Heim abgehauen, um sich auf dem Weg nach Schweden zu machen.

Das erste Mal haben sie es mit Schleppern versucht. In Mittel­italien haben sie einen Syrier bezahlt, der Touristenbusse mietet, um Flüchtlinge nach Schweden zu schmuggeln. 50 Leute pro Bus, 1.000 Euro pro Person. Der Bus, in dem Manar und sein Vater saßen, wurde aber an der Grenze zu Frankreich von der Polizei angehalten, die dem Schlepper hinterher war. Dann wurden den beiden die Fingerabdrücke genommen und seitdem saßen sie in Mailand fest, da sie kein Geld mehr hatten, um noch einmal einen Schlepper zu bezahlen. Am Mailänder Bahnhof haben wir sie kennengelernt. Als wir mit ihnen über die Inszenierung redeten, war Manar sofort enthusiastisch, sein Vater dagegen skeptisch. Am Ende hat er zugesagt, weil er einfach kein Geld mehr hatte.

Was steht bei dem Projekt im Vordergrund – die Hilfe für die Flüchtlinge, die ihr kennengelernt habt, oder die politische Dimension?

Zunächst wollten wir nur unseren Freunden helfen. Die politische Dimension dessen, was wir vorhatten, war uns natürlich von Anfang an bewusst. Wir wollten sie kommunizieren und so ist uns die Idee des Films gekommen. Es geht uns darum, dass Flüchtlinge das Recht auf Bewegungsfreiheit haben sollten in Europa – und damit um die Ablehnung der Dublin-II-Logik, der staatlichen Kontrolle über die Körper von Menschen, die nicht die Freiheit haben, sich selbst auszusuchen, wo sie leben möchten. Warum sollen andere entscheiden, wie sich diese Menschen zu bewegen haben?

Du bezeichnest den Film als eine »Selbstanzeige«. Was riskiert ihr?

Juristisch könnten wir wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung angezeigt werden. Wer fünf Leute ohne Papiere durch Europa schleust, dem drohen zwischen fünf bis 15 Jahre Gefängnis. Technisch gesehen sind wir nicht auf frischer Tat ertappt worden. Und wir haben auch von niemandem Geld verlangt, so dass man uns nicht vorwerfen kann, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Also einen Prozess würde es geben, wenn jemand uns anzeigt. Was wir getan haben, ist illegal, aber legitim.

Ist der Film eine reine Dokumentation oder enthält er auch fiktionale Elemente?

Der Film dokumentiert eine fiktive Geschichte. Wir haben die Hochzeit erfunden, da wir ohne diesen Trick nie nach Schweden gekommen wären. Aber es gab kein Drehbuch. Das, was wir im Rahmen dieser Reise gefilmt haben, ist eins zu eins so geschehen. Also die Geschichte dieser Gruppe von Wahnsinnigen – Italienern, Syrern, Palästinensern, manche mit Papieren, manche ohne – auf dem Weg nach Schweden, die ist hundertprozentig wahr.

Was riskieren die Leute, die mit euch unterwegs waren?

Sie riskieren nichts, weil sie als syrische Flüchtlinge in Europa ein Recht auf Asyl haben. Ob sie in Schweden bleiben oder nach Italien zurückgeschickt werden, hängt nur davon ab, ob ihnen in Italien die Fingerabdrücke genommen wurden. Wenn nicht, können sie in Schweden Asyl beantragen.

Wie war es im Fall der Menschen, denen ihr geholfen habt?

Manar und sein Vater wurden zurückgeschickt. Das geht so: Wenn in Italien die Fingerabdrücke erfasst werden, kommen sie in die Datenbank der Dublin-II-Länder, die Eurodac-Datenbank. Wenn die schwedischen Behörden das sehen, schicken sie die Leute zurück.

Was wird jetzt aus den beiden?

Sie haben in Italien Asyl beantragt. Ich glaube, sie haben nächste Woche das Interview, und es würde mich wundern, wenn das Ergebnis negativ wäre, denn momentan gewähren alle europäischen Länder syrischen Flüchtlingen irgendeine Form von Schutz.

Wäre es da nicht besser, wenn sie gleich in Italien geblieben wären?

Sie wollten nicht in Italien bleiben. Sie sehen hier keine Zukunft. Warum sollten sie hier bleiben wollen? Sie bekommen das Stück Papier und dann kümmert sich niemand mehr um sie. In Schweden, wo sie Bekannte und eine funktionierende Infrastruktur haben, ist es anders. Sie müssen sich das so vorstellen: Es handelt sich um schwer traumatisierte Menschen. Selbstverständlich wollen sie dorthin, wo sie schon Menschen kennen.

Was für ein Leben erwartet die anderen in Schweden?

Die anderen, also das Ehepaar und Abdallah, haben schon in Schweden Asyl bekommen. Dort gibt es eine große Community syrischer Flüchtlinge. Die Leute, die mit uns unterwegs waren, hatten dort Freunde, die sie schon aus Damaskus kannten. Manche von ihnen sind mit dem Flugzeug gekommen, weil sie sich den Flug und ein Visum leisten konnten. Das ist aber eine Minderheit, die meisten werden durch das europäische Grenzsystem kriminalisiert und haben dann keine andere Wahl, als Schlepper zu bezahlen. Unsere Freunde wussten alle schon vorher, zu wem sie in Stockholm gehen, wir haben sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.

Es heißt, im Film werde viel gelacht – trotz der bedrückenden Lage der Betroffenen. Stimmt das?

Ja, das stimmt. Wir wollten den bedrückenden Ton vermeiden, in dem diese Art von Geschichten oft erzählt werden. Wir wollten unsere Freunde nicht als Opfer zeigen, sondern als handelnde Personen, die versuchen, an ihrer Situation etwas zu ändern. Die Angst war groß, und gleichzeitig hatten wir Spaß zusammen. Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich könnte von Momenten in Syrien erzählen, in denen ich mit meinen Gastgebern zu Hause eingesperrt war und wir haben gesungen und getanzt wie die Verrückten, um nicht an die Bomben zu denken. Tragik und Komödie gehen im Film, wie im Leben, sehr oft zusammen. Unsere Freunde wussten es viel besser als wir.


Berlin, Rostock, Hamburg, Bochum, Frankfurt/Main und Marburg – Adopt a Revolution organisiert gemeinsam mit Pro Asyl von 17. bis 22. Mai eine Tour mit dem Film. Mit dabei ist auch Tasnim Fared, die “Braut” des Films. Kommen Sie zu den Filmvorführungen mit anschließendem Publikumsgespräch!

Infos zur Filmtour

Mit der Filmtour durch fünf Städte machen wir auf das Schicksal syrischer Flüchtlinge und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die EU-Migrationspolitik aufmerksam. Leider konnten wir noch nicht alle Kosten für die Tour, etwa Reisekosten und Filmrechte decken. Können Sie mit Ihrer Spende dazu beitragen?

Spenden für die Filmtour!

Wir haben dieses Interview von der Website von Pro Asyl übernommen – danke dafür!