Demonstrationsaufruf am 18.07. vor dem Adlon gegen den Besuch Abdel Fattah Al-Sisis in Berlin.

Al-Sisi Besuch in Berlin

Abdel Fattah Al-Sisi wird heute mit offenen Armen in Berlin empfangen. Wenige Tage vor dem Berliner CSD empfängt Olaf Scholz einen Diktator, der bis heute auch LGBTIQ* Aktivist*innen verhaften lässt. Ein Kommentar.

Demonstrationsaufruf am 18.07. vor dem Adlon gegen den Besuch Abdel Fattah Al-Sisis in Berlin.

“Es gibt keinen Unterschied zwischen einem bärtigen religiösen Extremisten, der dich töten will, weil er glaubt, in den Augen seines Gottes einen höheren Rang zu haben und daher das Recht zu besitzen, jeden zu töten, der anders ist als er, und einem nicht bärtigen, gut gekleideten Mann mit einem neuen Telefon und einem schicken Auto, welcher glaubt, in den Augen seines Gottes höher zu stehen, und daher damit beauftragt zu sein, jeden zu foltern, einzusperren und aufzuhetzen, der anders ist.” 

Diese Worte schrieb Sarah Hegazy, ägyptische LGBTIQ* Aktivistin in ihrem letzten Text, bevor sie sich 2020 in Toronto das Leben nahm. Hegazy war 2017 nach einem Konzert der libanesischen Band Mashrou Laila in Kairo für das Hochhalten einer Gay-Pride-Flagge verhaftet worden. In Haft erlebte sie massive physische und psychische Folter. 

Verhaftet und gefoltert wurde sie von einem Regime, das in Europa als wichtigster Partner in der Region gelobt wird – unter der Regentschaft eines Mannes, den Donald Trump als seinen “Lieblingsdiktatoren” bezeichnete: Abdel Fattah Al-Sisi.

Ägypten: Europas blutiger Handelspartner

Der ägyptische Diktator wurde heute im Rahmen der Klimakonferenz von Olaf Scholz im Schloss Bellevue mit offenen Armen empfangen. Westliche Politiker*innen werden seit Jahren nicht müde, die Relevanz Ägyptens als Partner in der Region zu betonen. Ursula von der Leyen lobte im Juni das “Vertrauen und die Verlässlichkeit” zwischen der EU und Ägypten, sowohl Donald Trump als auch sein Nachfolger Joe Biden unterhalten enge Beziehungen zum ägyptischen Machthaber und auch Angela Merkel umwarb Al-Sisi, vor allem im Rahmen eines neuen Flüchtlingsdeals, bei dem Ägypten zusicherte, Fluchtbewegungen aus Ägypten nach Europa zu unterbinden. 

Ägypten ist nicht nur politisch ein wichtiger Partner, Deutschland profitiert auch wirtschaftlich von der Kooperation mit der Diktatur am Nil. Schon in vergangenen Jahren hatte für viel Kritik gesorgt, dass Ägypten mit Waffenausfuhren im Wert von 763,8 Millionen Euro auf Nummer 2 der Rüstungsexportrangliste lag. Tatsächlich hatte Olaf Scholz in der letzten Legislaturperiode in seiner Funktion als Vizekanzler noch in letzter Minute einen umstrittenen Waffendeal mit Ägypten durchgewunken.

Doch nicht nur als Waffenabnehmer ist Ägypten ein wichtiger Handelspartner. Kürzlich hat das deutsche Unternehmen Siemens den größten Auftrag der Firmengeschichte in dem nordafrikanischen Land erhalten. Siemens soll dort eine 2000 Kilometer lange Bahnstrecke bauen. 

Der Krieg in der Ukraine hat Ägypten außerdem in eine neue Position gebracht: Berlin will Kairo als Lieferanten von Energieträgern. Ägypten soll israelisches Erdgas verflüssigen und in die EU exportieren. Damit soll die europäische Abhängigkeit von russischem Öl überwunden werden. 

“Unterschiedliche Meinungen” über Menschenrechtslage

Auf die Menschenrechtslage unter dem repressiven Regime Al-Sisis angesprochen, hatte Merkel immer wieder auf “unterschiedliche Meinungen” verwiesen. Eine zynische Aussage, nicht nur, wenn man das Schicksal Sarah Hegazys bedenkt, sondern auch ungeklärten Verbleib  der über 69.000 politischen Gefangenen, die seit Al-Sisis Machtergreifung 2013 inhaftiert wurden. Unter ihnen der ägyptische Blogger und Aktivist Alaa Abdel El-Fattah. 

„Jetzt scheint es, als ob die Außenwelt, die einst so begeistert von den ägyptischen Revolutionären war, wegschaut, während die demokratischen Regierungen kaum mehr als Lippenbekenntnisse zu Fragen der Rechte und der Gerechtigkeit abgeben.“

Laila Soueif, Mutter von Alaa Abd el-Fattah in einem Essay in der New York Times.

El-Fattah sitz wegen seines politischen Engagements während und nach der ägyptischen Revolution seit  Jahren in Haft – davon mehrere Jahre ohne Anklage. Er soll dort mehrfach gefoltert worden sein und sitzt bis heute in Einzelhaft. In einem offenen Brief beklagt El-Fattahs Mutter die Untätigkeit des Westens: „Jetzt scheint es, als ob die Außenwelt, die einst so begeistert von den ägyptischen Revolutionären war, wegschaut, während die demokratischen Regierungen kaum mehr als Lippenbekenntnisse zu Fragen der Rechte und der Gerechtigkeit abgeben.“

Die EU verlässt sich weiter auf Diktatoren: Zu Ungunsten der Zivilgesellschaft

Die aktuelle Bundesregierung hat einen neuen außenpolitischen Kurs angekündigt, doch viel ist von diesem Kurs nicht erkennbar. In dem Glauben, vermeintlich säkulare Regime würden Stabilität bieten, haben die Staaten in den letzten 10 Jahre die WANA-Rebellionen sich selbst überlassen. Doch Stabiltät ist langfristig nicht möglich, wenn die Zivilgesellschaft zerstört wird. Anstatt die europäische Abhängigkeit von einem Diktator zu einem anderen zu wechseln, muss die EU echte Alternativen suchen. Denn klar ist: Wer am Ende für diese Kooperationen geopfert wird, ist die Zivilgesellschaft! 

“Wir haben keine helfende Hand gefunden, außer der der Zivilgesellschaft, die trotz der unterdrückenden staatlichen Einschränkungen ihre Arbeit macht,” schrieb Sarah Hegazy in ihrem Text. Die Zivilgesellschaft bleibt der einzige Aktuer, der sich gegen Repression behaupten kann. Auch deshalb gilt: Die Zivilgesellschaft darf nicht geopfert werden!