Bilal ist 23 Jahre alt. Ein junger Mann, der für sein junges Alter schon fest im Leben steht. Früher als Kind hat ihm seine Mutter immer verboten, mit Stiften auf sich rumzukritzeln. Heute beobachtet sie ihn dabei, wie er sich ein paar Nummern auf seinen Unterarm schreibt. Es ist die Festnetznummer der Familie. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, aber diesmal schimpft sie nicht mit ihm, wie sie es früher getan hat. Er steht auf, zieht seine Schuhe wortlos an und steht dann lächelnd vor ihr. Sie nimmt ihn fest in den Arm und flüstert ihm liebevoll ins Ohr: „Möge Gott dich beschützen und dich mir heil wiederbringen! Geh mein Sohn!“ Er küsst sie liebevoll auf die Wange und dreht sich um, dann geht er entschlossenen Schrittes Richtung Haustür. Er weiß genau, dass er nicht der Einzige in Syrien ist, der diesen Freitag seine Familie verlässt und nicht weiß, ob er noch am Abend am Leben sein wird, um sie wiederzusehen. Viele andere junge Männer gehen wie er auf die Strasse, um für den Sturz der Regierung zu demonstrieren und müssen vielleicht mit ihrem Leben dafür bezahlen. Viele sterben auf Syriens Strassen ohne dass man weiß, wer sie sind und wie man ihre Familien benachrichtigen kann. Deswegen hat sich unter den Aktivisten rumgesprochen, dass man sich die Telefonnummer der Angehörigen auf seinem Körper notiert, damit diese wenigstens in Kenntnis gesetzt werden können, dass ihr geliebter Sohn, Bruder oder Vater gestorben ist.
Bilals Mutter setzt sich hin und fängt an, Bittgebete für ihren Sohn zu sprechen. Sie hofft so sehr darauf, dass heute ihr Telefon nicht klingelt. Sie zuckt bei jedem Klingeln zusammen.
Und es kam wie erwartet. Das Telefon klingelte. Ihr Sohn ist erschossen worden.
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