Aus erster Hand in Syrien

Die Ereignisse in Syrien überschlagen sich gerade. Seit Freitag hat sich das sonst so lebendige und gastfreundschafliche Land sehr gewandelt. Es ist plötzlich ruhig, die Spannung ist allen anzusehen. Auf meiner Fahrt von Aleppo nach Damaskus am Samstag konnte ich sehen, dass um ganze Städte, etwa Homs oder Hama, Checkpoints eingerichtet wurden, an denen Militärs […]

Die Ereignisse in Syrien überschlagen sich gerade. Seit Freitag hat sich das sonst so lebendige und gastfreundschafliche Land sehr gewandelt. Es ist plötzlich ruhig, die Spannung ist allen anzusehen. Auf meiner Fahrt von Aleppo nach Damaskus am Samstag konnte ich sehen, dass um ganze Städte, etwa Homs oder Hama, Checkpoints eingerichtet wurden, an denen Militärs und Menschen in zivil mit Maschienenpistolen die paar Autos die überhaupt noch fahren anhielten.

Noch schlimmer war das Bild in den Vororten von Damaskus, wo unzählige Sicherheitsbeamte entlang der Autobahn mit Maschienengewehren positioniert sind. Am meisten bedrueckend empfinde ich die Stille, die hier in Damaskus die seit Samstag herrscht. Von den vielen Autos, dem ständigen Hupen, dem Gewusel der Leute auf dem Straßen und den vollbesetzten Cafés ist nur ein Bruchteil übrig geblieben. Das hektische Treiben hat sich in spührbare Anspannung verwandelt. Spaetstens seit letztem Freitag, an dem die Proteste nicht nur so zahlreich waren, wie nie zuvor, sondern auch so dicht wie nie zuvor an das Stadtzentrum von Damaskus heranreichten, ist wohl auch allen Damaskzensern klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis die Proteste die Innenstadt erreichen. Der heimliche Wunsch vieler, dass es möglichst schnell vorbei geht, wird sich wohl nicht erfüllen.

Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die Proteste jetzt abflauen werden, denn für die Demonstrant/innen gibt es kaum mehr ein Zurück mehr: Zu viel haben sie risikiert, zu sehr haben sie sich an die Öffentlichkeit gewagt und zu viele Menschen sind bereits gestorben, als dass sie jetzt aufgeben könnten mit ihrer Forderung nach Reformen und nach mehr Mitbestimmung. Jetzt die Proteste beenden hieße, sich direkt den Repressionen des Staatsapperates wehrlos auszusetzen – natürlich mit gravierdenen Folgen für die Einzelnen. Aber selbst wenn Staatspräsident Assad den Demonstrant/innen nun
Straffreiheit garantieren würde – wer würde ihm noch glauben nachdem er am Wochenende auf Demonstrationen hat schießen lassen, obwohl er erst am Tag zuvor verkündet hatte, dass Menschen ohne Angst friedlich demonstrieren dürften.

Von Freitag zu Freitag zeichnet sich eine immer festgefahrerene Situation ab. Denn nicht nur die Demonstrant/innen, sondern auch auch für Assad wird es immer enger, muss er doch nach dem Tod von über 300 Menschen und der Verhaftung und Folter unzähliger Demonstrant/innen mit
Konsequenzen bei einer Machtaufgabe rechnen. Seine bisherige Strategie abwechselnd die Hand der Versöhnung in Richtung Demonstrant/innen auszustrecken und gleichzeitig brutalste Härte zu zeigen, scheint in den letzten Tagen gescheitert. Es ist damit zu rechnen, das entgegen der anfänglichen Versprechungen von Assad, nun mit aller Gewalt gegen
die Demokratiebewegung duchgegriffen wird, um diese blutig niederzuschlagen.

Anders als in Ägypten oder Tunesien stehen den Demonstrant/innen jedoch nicht nur die Polizei sondern auch große Teile des Militärs entgegen. Die Brutalität mit der das Regime in den letzten Tagen zugeschlagen hat, ist kaum noch fassbar. Menschen werden von Scharfschützen auf offener Strasse niedergeschossen, ganze Ortschaften vom Militär und den Geheimdiensten belagert, Strom und Telefonleitungen werden für ganze Regionen gekappt. Es ist unklar wie Assad die Wut des Volkes eindämmen könnte, die im Angesicht der Gewalt immer weiter wächst.

Eine der meist diskutiertesten Wege (den ich persönlich nicht für wahrscheinlich halte) ist der Versuch, dass Assad mit Hilfe der Hisbolla im Libanon oder der Hamas im Gazastreifen (beide Verbündete von Assad), eine erneute Konfrontation mit Israel suchen könnte, um Solidarität im eigenen Land herzustellen.

Die Freiheitsbewegung wird derweilen vor allem regional getragen. Neben wenigen prominenten Persoenlichkeiten und einigen Internetaktivist/innen, die versuchen den Überblick über die Proteste zu halten, werden die Demonstrationen fast alle autonom in den jeweiligen Regionen organisiert und sind oft wenig vernetzt. Meistens sind es einfache Leute, die
massenhaft auf die Strasse gehen, was sich auch darin widerspiegelt, dass sich der Protest vor allem in kleineren Orten und den Vororten von Damaskus abspielt. In den beiden größten Städten Aleppo und Damaskus ist es hingegen bisher ruhig geblieben – wegen des höheren Wohlstandsniveau im Gegensatz zum Rest des Landes haben die hier Leute das Gefühl, mehr zu verlieren zu haben. Interessant ist dabei, dass die Demonstrationen – ähnlich wie etwa in Ägypten – auf die hier sonst üblichen Ressentiments gegenüber Israel und den USA verzichten.

Bisher hatte ich den Eindruck, dass eine große Anzahl an Leuten vor allem ihre Ruhe wollte, nicht zuletzt weil sie nahe an der Armutsgrenze leben und auf das tägliche Einkommen angewiesen sind. So müssen zum Beispiel Taxifahrer täglich mindestens 500 Syrische Pfund (ca 10 US$) verdienen, um überhaupt überleben zu können. Doch inzwischen habe ich das Gefühl, dass sich die Situation wie oben beschrieben, am letzten Freitag grundlegend verändert hat und die Leute nun das Heil in der Flucht nach vorne suchen. Auf einmal sprechen die Menschen hier mit einem über Politik – vorher ein absolutes Tabuthema!

Dabei ist dieser Konflikt ist dabei nicht nur ein innersyrischer, sondern es besteht die akute Gefahr, dass er sich schnell auf die Nachbarstaaten auswirken kann. Demnächst werde ich von Beirut aus noch etwas mehr schreiben – natürlich über den Syrienkonflikt, aber auch über die Lage im Libanon, wo sich gerade auch die ersten Spannungen abzeichnen. Außerdem möchten ich dann noch etwas mehr über die Zusammensetzung der Proteste schreiben und was die Perspektiven und Forderungen der Deomstrant/innen sind.