Bericht aus Qamischli

Circa 200 AktivistInnen engagieren sich in unserem Komitee. Sie begleitet die ständige Angst, verfolgt und verhaftet zu werden. Abgesehen von dem besonders hohen Sicherheitsrisiko, dem unsere AktivistInnen ausgesetzt sind, gilt aber: Jeder Demonstrant und jeder, der sich anderweitig an der syrischen Revolution beteiligt, ist ein Aktivist – und beweist großen Mut! Die Kontrolle und die […]

Circa 200 AktivistInnen engagieren sich in unserem Komitee. Sie begleitet die ständige Angst, verfolgt und verhaftet zu werden. Abgesehen von dem besonders hohen Sicherheitsrisiko, dem unsere AktivistInnen ausgesetzt sind, gilt aber: Jeder Demonstrant und jeder, der sich anderweitig an der syrischen Revolution beteiligt, ist ein Aktivist – und beweist großen Mut! Die Kontrolle und die Verfolgung durch die Sicherheitskräfte ist nach wie vor extrem. Ziel des Regimes ist es, die AktivistInnen bei ihrer Arbeit zu behindern. Zusätzlich zur Überwachung unserer Kommunikationswege, also dem Abhören von Telefongesprächen und der Verfolgung auf Internetseiten wie Facebook, sind unsere AktivistInnen mittlerweile häufig einer rund-um-die-Uhr-Beschattung ausgesetzt. Zivil gekleidete Geheimdienstmitarbeiter fotografieren und filmen auf den Demonstrationen, sodass AktivistInnen identifiziert und daraufhin verfolgt werden können. Uns bleibt nur der Rückzug in die Vorsicht – bei allen unseren Aktivitäten und bei allen Kontakten, die wir pflegen. Die beste Schutzmethode, um nicht in die Hände des Sicherheitsdienstes zu fallen, ist von Zeit zu Zeit den persönlichen Aufenthaltsort zu wechseln.

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Video: Ein Demonstrant wird auf den Straßen von Qamischli von Sicherheitskräften zusammen geschlagen.

Die Kommunikation zwischen den AktivistInnen findet über türkisches Netz statt – so kann der syrische Geheimdienst keine Lauschangriffe durchführen. Genau deswegen finden auch die Treffen an geheimen Orten statt. Diese Treffpunkte ändern sich natürlich auch entsprechend der Sicherheitslage. Auf den Treffen des Orga-Teams werden zukünftige Aktionen diskutiert und die AktivistInnen koordinieren die Vorbereitung. Dabei geht es vor allen Dingen um den Ort, die Zeit und die Slogans, die wir auf den Demos verkünden. In den Räumen des Feldteams rüsten wir uns aus. Es werden Poster und Skulpturen vorbereitet, welche zum Tag bzw. dem Motto der Veranstaltung passen. Die Arbeit des Feldteams leidet besonders darunter, dass es immer schwieriger wird, an Materialien zu gelangen bzw. sie zu finanzieren. Durch einige kleine Spenden der Bevölkerung von Qamischli und einiger AktivistInnen im Ausland können wir das Nötigste besorgen, wir brauchen aber dringend weitere finanzielle Unterstützung, um geplante Aktivitäten besser umsetzen zu können. Die Aufgabe des Medienteams ist das Dokumentieren bzw. Filmen unserer Aktivitäten. Das Team kümmert sich dabei eigenständig um die nötige technische Ausrüstung.

Die medizinische Hilfe, die unser Komitee leisten kann, beschränkt sich auf Erste-Hilfe-Maßnahmen – alles in allem haben wir nur geringe Möglichkeiten. Die Versorgung der Verletzten, beispielsweise derer, die von den Kugeln der Sicherheitskräfte in der Nachbarschaft getroffen wurden, ist natürlich kostenlos und wird von Freiwilligen und AktivistInnen unseres Komitees durchgeführt. Wir sammeln dafür Arzneimittel, also zum Beispiel Verbandsmaterial, Schmerzmittel, Medikamente um Blutungen zu stoppen oder Krücken. Die meisten Arzneimittelspender sind selbst Ärzte, Sanitäter oder Apotheker. Wenn es Verletzte gibt, die sofort behandelt werden müssen, werden die freiwilligen Ärzte des Teams auf geheimen Wegen kontaktiert. Die Behandlung der Verletzten findet dann ebenfalls in einer geheimen Wohnung statt – zu groß ist die Angst, dass Verletzte beim Transport oder im Krankenhaus entführt werden könnten. Die Versorgungsmöglichkeiten werden vorerst rudimentär bleiben, da wir kein Feldlazarett aufbauen können. Dazu bräuchten wir mehr Geld sowie Ärzte und Krankenpfleger, die speziell für entsprechende Behandlungen ausgebildet sind.

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Video: Notdürftige Behandlungen von Verletzungen, die Aktivisten von den Shabiha, den Handlangern des Geheimdienstes, zugefügt wurden.

Die Arbeit der AktivistInnen geht also über die Organisation von Demos und Sit-Ins hinaus. Es fanden mehrere Bildungs- und Aufklärungskampagnen statt – über das Internet oder auf dem klassischem Weg über Poster und Flyer, die wir beispielsweise auf Demos verteilen. Wir versuchen mit diesen Kampagnen, die verzerrte Darstellung der Revolution, die das Regime und seine Anhänger verbreitet, richtig zu stellen – besonders im Hinblick auf unsere Aktivitäten und auf die Friedlichkeit der Revolution. Ein Teil unserer Interaktion mit der Gesellschaft dient auch dazu, anderen dabei zu helfen, sich ebenfalls an den friedlichen Aktivitäten zu beteiligen. Oft geht es auch darum, ein grundsätzliches Verständnis für die Rechte und Pflichten von StaatsbürgerInnen zu schaffen und über die aktuellen Geschehnisse zu informieren. Wir thematisieren außerdem die Propaganda des Regimes, denn sie hat in manchen Regionen dazu geführt, dass die verschiedenen Gruppen der syrischen Gesellschaft nicht mehr miteinander kommunizieren.

Die Versorgung Bedürftiger bereitet uns nach wie vor die größten Schwierigkeiten. Wir helfen ihnen mit Lebensmitteln aus und versuchen einige ihrer Kosten zu decken. Allerdings sind auch wir finanziell nicht besonders gut aufgestellt und manchmal ist es schwer überhaupt an Lebensmittel zu gelangen. Der Mangel an Benzin und Diesel bzw. die hohen Preise haben uns das Leben im Winter erschwert. Jetzt macht uns der irre Preisanstieg der Lebensmittel, vor allem im Vergleich zum Fall der Währung zu schaffen. Ebenso versuchen wir, den Inhaftierten zu helfen und besuchen sie zumindest von Zeit zu Zeit. Auch um die anderen Regionen kümmert sich unser Komitee. Zweimal haben wir der Stadt Homs mit Lebensmitteln und Medikamenten, Kleidung und anderen Hilfsgütern ausgeholfen. Dafür hatten viele Geschäfte und Apotheken in Qamishli freiwillig gespendet.

Wir hoffen, dass wir weitere freiwillige HelferInnen für unser Komitee finden – zum Beispiel für ein Team zum Schutz unseres Viertels und für eine Ordnungsgruppe, die die Aufgabe der staatlichen Müllabfuhr übernimmt. Das Regime hat absichtlich eine große Sicherheitslücke einreißen lassen. Die Folge ist, dass Entführungen, Diebstahl und Vergewaltigungen zugenommen haben. Viele befürchten außerdem, dass es zur Verbreitung von Epidemien kommen wird, da die Regierungsbehörden ihren lokalen Pflichten, wie der Reinigung der Straßen, nicht nachkommt. Auch Regierungs- und Nichtregierungseinrichtungen sollen vor Plünderung, Brandstiftung und Zerstörung geschützt werden.

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Video: Nächtliche Solidaritätsdemo für Homs.

Das Spektrum schlechter Momente ist groß: BürgerInnen, die verletzt oder eingesperrt werden, nur weil sie friedlich die Freiheit fordern. Tage, an denen man nicht einmal mehr Brot und Käse hat, um sein Frühstück wie üblich umgeben vom Lärm der Schüsse auf der Straße, aber ohne Strom, ohne Licht einzunehmen. Familien, die nicht genug zu essen haben und das Weinen der Mütter über ihre hungrigen Kinder. Ein Bekannter, der fällt. Die Revolution dauert jetzt seit über einem Jahr an. Die verschiedenen Methoden des Regimes, um die Revolution zu ersticken reichen von den täglichen Attacken über Verhaftungen bis hin zum mutwilligen Töten von friedlichen DemonstrantInnen. Es gibt vom Regime verursachte Stromausfälle, die manchmal 15 Stunden am Tag dauern. Das alles setzt besonders Familien, aber auch die AktivistInnen, unter großen Druck und behindert ihre Arbeit. Während der Stromausfälle sind sie völlig von der Außenwelt isoliert, sodass sie sich nicht mit Medien im Ausland in Verbindung setzen können. Genauso große Schwierigkeiten haben sie, untereinander zu kommunizieren.

Die Aussicht auf ein normales Leben und auf die Freiheit, nach der sich Syrien seit fünfzig Jahren sehnt, ist das Rückgrat unseres Durchhaltevermögens und sie gibt uns in den dunklen Nächten der Revolution die Kraft, weiter zu machen. Im Schatten des Assad-Staates hat die syrische Bevölkerung jahrzehntelang an Menschenrechtsverletzungen und an dem Verlust seines politischen Bewusstseins gelitten. Und früher wie heute wirft man die BürgerInnen, die nach Freiheit verlangen, in die Gefängnisse. Gefangene, Verletzte und Märtyrer häufen sich auf dem Altar der Freiheit – und nur sie, die Freiheit selbst, bringt uns dazu, die Revolution und ihre Ziele nicht aufzugeben.

Jetzt PatIn werden!

Trotz der ständigen Angst, der Todesfälle und der Verhaftungen: Uns begleiten auch gute Zeiten auf dem Weg der Revolution. Was uns bleibt, sind die Ironie und die kleinen Glücksmomente! Wenn ein christlicher Bürger einen Laib Brot mit einem Muslim teilt, wenn der arabische Bürger zur Rettung des, von Schüssen verletzen, kurdischen Bürgers eilt. Solche Momente zeigen uns, dass sich der Wind bereits gedreht hat. Solche Momente spenden uns Hoffnung, dass die Methoden des Regimes überwunden werden können – durch den gegenseitigen Stolz auf alle Ethnien und alle Religionen aller Teile unserer Gesellschaft. Wenn wir demonstrieren und dabei die Schilder in allen Sprachen der Bevölkerung unserer Region tragen, wenn sich alle die Hände reichen und wenn alle im gleichen Rhythmus klatschen. Wenn dich auf einer Demonstration arabische, kurdische und christliche Schultern tragen, dann bist du glücklich und lächelst. Ein Lächeln, dass schon jetzt den Erfolg der Revolution beweist!

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Video: DemonstrantInnen fordern Freiheit.

Auch die Zunahme von Demonstrationspunkten bis hin zu mehr als 615 Orten auf der syrischen Landkarte ist ein klarer Beweis für die positive Entwicklung der Revolution. Ebenso hat die internationale Staatengemeinschaft nun beschlossen, nicht länger in ihrer Zuschauerposition zu verharren – und handelt zumindest im Hinblick auf den Schutz des syrischen Volkes, der Geißel des Regimes. Dabei stellen die konsequenzlosen Fristen und Bedenkzeiten in den Händen des Regimes Rechtfertigungen dafür dar, die syrische Bevölkerung weiter zu unterdrücken. Die syrische Revolution ist eine Waise. Sie ist die Revolution, die keine Freunde hat. Doch wir, wir werden uns nicht von dem Weg abbringen lassen, welcher der Freiheit entgegen führt! Nach wie vor ist unser Ziel der Aufbau eines säkularen Syriens, in dem alle BürgerInnen, das heißt alle Ethnien, Religionsgemeinschaften und andere Minderheiten gleich sind und zum Beispiel alle die gleichen Chancen auf Arbeit haben.