Bericht aus Qudssaya

Hier in Qudssaya, einem Vorort von Damaskus, leben circa 70.000 Menschen. Zwischen unserer Stadt und Damaskus liegen die Wohnsiedlungen der Presidentenbrigade. Aus eben diesen Siedlungen dringen immer Sicherheitskräfte und Shabiha in unsere Stadt und in die benachbarten Ortschaften ein, um den Protest zu unterbinden. Erst kurz vor Ramadan im Sommer 2011 begannen wir, uns als […]

Hier in Qudssaya, einem Vorort von Damaskus, leben circa 70.000 Menschen. Zwischen unserer Stadt und Damaskus liegen die Wohnsiedlungen der Presidentenbrigade. Aus eben diesen Siedlungen dringen immer Sicherheitskräfte und Shabiha in unsere Stadt und in die benachbarten Ortschaften ein, um den Protest zu unterbinden.

Erst kurz vor Ramadan im Sommer 2011 begannen wir, uns als Stadt aktiv an der Revolution zu beteiligen.In Qudssaya leben viele Angehörige der Mittelschicht, die zu Beginn der Proteste nicht an den Demonstrationen teilnahmen. Deswegen haben die Mitglieder unseres Komitees sich damals den Demonstrationen in der Innenstadt von Damaskus und in anderen Vororten angeschlossen. Im Sommer 2011 begannen wir jedoch, auch in unserer Stadt Demonstrationen zu organisieren – die waren anfänglich klein und dauerten oft nicht länger als eine Stunde.

[iframe width=”560″ height=”315″ src=”https://www.youtube.com/embed/a0AHoFuJk7Y” frameborder=”0″ allowfullscreen]

Video: Solidaritätsdemonstration für Homs und Zabadany.

Am Vorabend des Aid al-Fitr, dem Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadan, führte der Geheimdienst deswegen die ersten Razzien durch und nahm viele BürgerInnen fest. Wir verlangten daraufhin auf einer sehr großen Mahnwache die Freilassung der Inhaftierten. Während des Aid al-Fitr, am nächsten Tag also, fand die größte Demonstration statt, die Qudssaya bis dahin gesehen hatte – zwischen 1.500 und 2.000 Menschen gingen am Aid al-Fitr auf die Straße und ab diesem Zeitpunkt war der Bann gebrochen. Dabei trugen die Frauen allgemein viel zu einer Ausweitung der Proteste in Qudssaya bei, denn durch ihre zahlreiche Teilnahme und ihren gesellschaftlichen Einfluss wurden die Demonstrationen größer und fanden viel häufiger statt.

Unsere Demonstrationen sind hinsichtlich der TeilnehmerInnen insgesamt sehr vielfältig: Neben der sunnitischen Bevölkerung kommen Christen, Drusen, Alawiten und Ismailiten und Tscherkessen zu den Demonstrationen – dabei versuchen besonders die Frauen unerkannt zu bleiben: Alle Frauen, auch die Christinnen, tragen beispielsweise ein Kopftuch. Eine alawitische Aktivistin hielt trotz des Sicherheitsrisikos eine Rede, in der sie alle Bürger Qudssayas dazu aufforderte, sich der Protestbewegung anzuschließen. Ihre Worte lauteten: Die Revolution betrifft alle und nur gemeinsam können wir eine nachhaltige Veränderung herbei führen! Auch Kurden sind auf jeder Demonstration vertreten und fast immer hissen wir auch die kurdische Flagge.

[iframe width=”560″ height=”315″ src=”https://www.youtube.com/embed/zdR68YJTSNw” frameborder=”0″ allowfullscreen]

Video: Aufruf weiblicher Mitglieder des Komitees.

Durch die gute Vernetzung mit anderen Komitees und aktiven Gruppen findet ein reger Erfahrungs- und Informationsaustausch statt, der ebenfalls dazu geführt hat, dass sich die Demonstrationen sowohl qualitativ, also was die Organisation betrifft, als auch quantitativ verbessert haben. Bis vor kurzem waren wir in Qudssaya außerdem eines der wenigen Komitees, die ihre Demonstrationen öffentlich und im voraus ankündigten. Täglich um neunzehn Uhr war der feste Termin für die Abenddemonstrationen, denn in der Regel wird um 19.00 der Strom gekappt. Das behindert einerseits ungemein, andererseits ermöglicht es uns aber auch, im Schutz der Dunkelheit auf die Straße zu gehen. Aus diesem Grund kommen abends mehr Menschen zu den Demos als tagsüber. Außerdem haben die meisten nach 19.00 Feierabend – und anstatt fernzusehen gehen sie eben jeden Abend auf die Straße und demonstrieren für ihre Rechte.

Wie überall in Syrien wurden unsere Demonstrationen allerdings oft von Spitzeln des Regimes unterwandert – das hat die gesamte Organisation verkompliziert, denn die Geheimdienstmitarbeiter sind für uns eine große Gefahr: Wenn wir Demonstrationen schlecht vorbereiten, tauchen sie plötzlich aus dem Nichts auf und nehmen ganz gezielt AktivistInnen fest.

[iframe width=”560″ height=”315″ src=”http://www.youtube.com/embed/nGXc9Sq4T9M” frameborder=”0″ allowfullscreen]

Video: Kleinere Abenddemonstration in Qudssaya.

Über die Strukturen unseres Komitees:

Wir haben uns in vier Teams aufgeteilt: Das Medienteam, das Feldteam, das Team für Logistik und das für humanitäre Hilfe. Über 30% unserer Mitglieder sind weiblich.

Das Medienteam hatte mehrere Wochen damit zu tun, bürokratische und sicherheitsbedingte Hindernisse zu überwinden, bis die Demonstrationen aus Qudssaya endlich auf bekannten Sendern wie Al Jazeera ausgestrahlt werden konnten. Jetzt kümmern sie sich darum, das die Übertragung weiterhin reibungslos von statten geht.

Das Feldteam organisiert die Demonstrationen und verteilt Flugblätter. Besonders schwierig ist es momentan, Demonstrationsmaterialien zu organisieren: Spraydosen (besonders die Grünen) und der Stoff für Transparente und Flaggen sind mittlerweile verboten und der Handel damit ist strafbar. Schneider und Kalligrafen fertigen auch gar keine Transparente oder Flaggen mehr an, weil sie sonst verhaftet und bestraft werden. Wir suchen deswegen immer nach neuen Wegen, um die Aktivitäten der Protestbewegung in Qudssaya am Laufen zu halten. Das Feldteam hat zum Beispiel Streichholzschachteln mit Revolutionssymbolen angefertigt, die wir in Qudsayya verteilt haben – darin befanden sich zusammengefaltete Info-Flyer.

[iframe width=”560″ height=”315″ src=”https://www.youtube.com/embed/M8dNj-VH6kk” frameborder=”0″ allowfullscreen]

Video: AktivistInnen schütten kleine Bälle auf die Straßen von Qudssaya, in denen sich Flugblätter befinden.

Das Logistik-Team erledigt die Einkäufe von Lebensmitteln und Ähnlichem für die untergetauchten AktivistInnen und beschafft Demomaterialien sowie Kommunikationstechnik für das Komitee. Die AktivistInnen organisieren aber auch Komitee-übergreifende Aktionen, wie zum Beispiel den regelmäßigen Tausch von SIM-Karten untereinander. Das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass der Geheimdienst uns AktivistInnen identifizieren kann.

Nachdem Assad-Truppen und Sicherheitskräfte Qudssaya gestürmt hatten, gründete sich schließlich das Team für humanitäre Hilfe. Nach diesem Angriff mussten circa 100 Verletzte behandelt werden. Wir haben dafür provisorische Feldlazarette errichtet, denn die staatlichen Krankenhäuser sind unbedingt zu meiden – Verletzte werden dort inhaftiert oder schlichtweg getötet. In Qudssaya wurden auch einige Ärzte, die uns geholfen haben, festgenommen und ihre Praxen wurden zerstört. Zu den Hunderten, die vom Regime gesucht werden, gehören viele Pfleger und Krankenschwestern.


Bild: Festnahme eines Aktivisten in Qudssaya.

Zuletzt noch einige Worte über unsere momentane Lage: Die Präsenz der Sicherheitskräfte und die Heftigkeit, mit der sie agieren, hat drastisch zugenommen. Über 100 AktivistInnen aus Qudssaya sitzen momentan im Gefängnis des politischen Sicherheitsdienstes, nach vielen anderen wird gefahndet. Seit mehr als drei Wochen gibt es leider keine Freitagsdemonstrationen mehr – das Risiko ist einfach zu hoch. Es finden hier und da einzelne kleinere Demonstrationen statt. Außerdem hat sich die humanitäre Lage verschlechtert, denn in Qudssaya haben sehr viele Flüchtlingsfamilien aus den bombardierten Städten Homs, Idlib und Zabadany Zuflucht gesucht und gefunden.

Jetzt PatIn werden!

Wir wünschen Adopt a Revolution alles Gute und hoffen, dass ihr uns weiterhin unterstützt!