„Hast du den Mut, weiter zuzuhören wie die Bombe herunterfällt?“ – Bericht aus Zabadani

Die Stadt Zabadani liegt nordwestlich von Damaskus nahe der libanesischen Grenze. Vor der Revolution war die Stadt aufgrund des im Sommer milden Klimas im Antilibanongebirge beliebtes Ausflugsziel aus- und inländischer Touristen, besonders aus Damaskus. Zabadani liegt in einem Tal – in den umliegenden Bergen befinden sich über 100 Militärstellungen, denn das Gebiet nahe der Grenze […]

Die Stadt Zabadani liegt nordwestlich von Damaskus nahe der libanesischen Grenze. Vor der Revolution war die Stadt aufgrund des im Sommer milden Klimas im Antilibanongebirge beliebtes Ausflugsziel aus- und inländischer Touristen, besonders aus Damaskus. Zabadani liegt in einem Tal – in den umliegenden Bergen befinden sich über 100 Militärstellungen, denn das Gebiet nahe der Grenze zum Libanon ist von strategischer Wichtigkeit, zum Beispiel im Hinblick auf die Waffenlieferungen des syrischen Regimes an die verbündete Hizbollah im Libanon. Seit Zabadani sich am 18. Januar 2012 als befreit erklärte, wird die Stadt von den sie umringenden Militärstellungen  fast täglich bombardiert – seit mehr als anderthalb Jahren und zuletzt am 31.12.2013 und am 01.01.2014, mit Fassbomben des Regimes.

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Foto: Zabadani liegt nordwestlich von Damaskus nahe an der libanesischen Grenze.

Mit dem Ausbruch der Revolution im Frühjahr 2011 organisierten AktivistInnen und BürgerInnen auch in Zabadani große Demonstrationen, die in ganz Syrien bekannt wurden. Deswegen wurde die Stadt im Januar 2012 von den Truppen des Regimes bombardiert und gestürmt. Die in der Stadt befindlichen Einheiten der FSA (Freie Syrische Armee) konnten die Attacken abwehren und das Regime zumindest vorläufig zurückdrängen. Am 18. Januar 2012 wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt und die BewohnerInnen erklärten Zabadani als erste syrische Stadt als befreit. Der aufgrund eines gewissen Kräftegleichgewichts ausgehandelte Waffenstillstand hielt bis Februar 2012, dann begann das Regime mit einer massiven Bombardierung Zabadanis und konnte Teile der Stadt besetzten. Dabei wurden auch Razzien durchgeführt, bei denen laut den LCC (Local Coordination Committees) 250 Oppositionelle verhaftet und die Versorgungswege durch Checkpoints des Regimes an den nach Zabadani führenden Straßen vollständig abgeriegelt wurden. Im März kam es zu neuen Kämpfen und zumindest das Stadtgebiet gelangte wieder unter die Kontrolle der FSA. Die Checkpoints des Regimes an den Außengrenzen und Ein- und Ausfahrtswegen der Stadt blieben aber bestehen und direkt an den Stadtgrenzen stehen seitdem die Panzer des Regimes.


Video: Die Rolle der Frauen beim friedlichen Protest in Zabadani.

Die regelmäßige Bombardierung und die Abriegelung der Stadt durch die Checkpoints des Regimes bestimmen auch heute das Leben der BewohnerInnen der Stadt. Momentan herrschen in Zabadani Temperaturen unter null
. Holz gibt es keins, denn Bäume wachsen hauptsächlich außerhalb der Stadtgrenzen hinter den Checkpoints des Regimes. Die Bewohner der Stadt sind auf die zwei Stunden Strom am Tag angewiesen, in denen sie heizen können. Zivilisten, die nicht aufgrund ihrer oppositionellen Tätigkeiten vom Regime gesucht werden, dürfen diese Checkpoints zwar passieren, dabei allerdings keine Lebensmittel, Medikamente, Brenn- oder Treibstoffe mit sich führen. Lebenswichtige Güter gelangen also nicht mehr auf legalem Weg in die Stadt hinein. Zu Fuß werden die Berge meist in Richtung Libanon überquert, um die nötigen Dinge in die Stadt hinein zu schmuggeln. Auch aus anderen befreiten Städten in der Nähe Zabadanis wird teilweise noch Essen in die Stadt geschmuggelt. Diese Städte wurden deswegen seit der Befreiung Zabadanis teilweise ebenfalls vom Regime besetzt oder bombardiert, um alle Versorgungswege nach Zabadani systematisch abzuschneiden, die Stadt zu isolieren und die BewohnerInnen durch Aushungern zur Aufgabe zu zwingen.

Das Haus eines Aktivisten des Komitees liegt nahe am Ortsausgang Zabadanis, nur 50 Meter vom Checkpoint des Regimes entfernt. Von diesem Checkpoint aus feuern Panzer regelmäßig auf die Stadt, die Frontlinie bewegt sich aber seit mehr als anderthalb Jahren keinen Meter – weder in die eine, noch in die andere Richtung. Fast jeden Tag ist Zabadani einer fünf- bis sechsstündigen Bombardierung durch die Militärstellungen und Militärflugzeuge ausgesetzt. Vereinzelt gibt es Phasen, in denen wenigstens keine Flugzeuge bombardieren. Trotzdem ist Zabadani fast vollständig zerstört. Die Menschen leben in Kellern oder im Erdgeschoss, denn die bei einer Explosion zerspringenden Fensterscheiben stellen eine Lebensgefahr dar.


Video: Bombardierung Zabadanis am 31.12.2013.

Ein Aktivist aus Zabadani, der das Land verlassen hat, aber im ständigen Kontakt mit den AktivistInnen aus Zabadani steht, schreibt am 01.01.2014 über die letzten Angriffe des Regimes: Stell dir vor, du hast jemanden an der Leitung online: „Da sind Flugzeuge in der Luft! Da sind Flugzeuge! Die schmeißen Fassbomben ab! Passt auf euch auf!“ Dann hörst du das Pfeiffgeräusch der Bomben. Dieses Geräusch ist sehr hoch, sehr dünn und es wird jedes Mal lauter, wenn sich die Bomben der Erde nähern. Hast du den Mut weiter zuzuhören wie die Bombe herunterfällt? Hast du die Kraft dir vorzustellen, wie es sich anfühlt, auf eine Bombe zu warten, bis sie dich verfehlt oder sich wieder ein bisschen entfernt. All diese Angst durchleben die Menschen, auf deren Stadttoren geschrieben wurde: „Kniet nieder oder sterbt vor Hunger!“.


Video: Bombardierung Zabadanis am 01.01.2014.

Kürzlich wurde der Stadt seitens des Regimes angeboten, die Belagerung teilweise aufzuheben und eine vom Regime festgelegte Menge an Lebensmitteln, Brennstoffen u.a. nach Zabadani einzuführen. Im Gegenzug sollte die Stadt alle bewaffneten Kämpfer ausliefern. Zabadani lehnte dieses Angebot vorerst ab. Die Strategie der Belagerung ist in vielen Städten und Stadtteilen Syriens mittlerweile essentieller Bestandteil der assad’schen Kriegführung. Ein Angebot, die Belagerung im Gegenzug für eine Auslieferung der Bewaffneten, Namenslisten von Bewaffneten oder das tageweise Hissen der Flagge des syrischen Regimes aufzuheben, wurde vielen belagerten Gebieten unterbreitet. Dass Zivilisten in Syrien verhungern oder erfrieren ist keine Nebenwirkung des Krieges, sondern Belagerungen werden gezielt vom Regime eingesetzt, um auf die bewaffneten Gruppen innerhalb der oppositionellen Gebiete Druck auszuüben und die Bevölkerung kollektiv zu bestrafen.

Die meisten Einwohner Zabadanis haben die Stadt verlassen. Von den ehemals mehr als 30.000 EinwohnerInnen sind noch circa 3.000 übrig. Nur zwei Gründe halten diejenigen, die nicht aus Überzeugung bleiben wie beispielsweise die AktivistInnen des Komitees, noch in Zabadani: Der Weg über die Berge in den Libanon bedeutet einen mehrstündigen Fußmarsch, den Kinder, Alte und Verletzte schlichtweg nicht bewältigen können. Das Leben im Libanon ist außerdem teuer und die Menschen in Zabadani haben aufgrund der Belagerung seit mehr als anderthalben Jahren keine Arbeit und somit auch kein Einkommen mehr. Sie hätten im Exil keine Chance, sich ein neues Leben aufzubauen.


Video: Der Alltag der Kinder in Zabadani.

Hoffnung auf eine baldige Veränderung der Situation gibt es nicht, aber nach anderthalb Jahren versuchen die Menschen in Zabadani sich einzurichten in einer belagerten Stadt. Da die Felder außerhalb der Stadt liegen, kann beispielsweise nichts mehr angebaut werden. Deswegen haben die BewohnerInnen der Stadt damit begonnen, in den Gärten ihrer Häuser das Nötigste anzubauen. Im Sommer hat das ganz gut funktioniert, doch jetzt im Winter fehlt es an Heizmaterialien bzw. Strom, um beispielsweise Gewächshäuser zu betreiben.

Auch das Komitee beteiligt sich maßgeblich daran, neue Strategien für ein Überleben in Zabadani zu entwickeln. Zehn AktivistInnen arbeiten als Mitglieder fest für das Komitee, an den einzelnen Projekten und Kampagnen sind allerdings auch viele andere BürgerInnen beteiligt. Die Einstellung und das Arbeitsfeld des Komitees hat sich in letzter Zeit gewandelt: „Anderthalb Jahre lang haben wir von Tag zu Tag gelebt und gearbeitet. Langsam ist allen klar geworden, dass die Lage sich nicht verbessern wird und auf eine gewisse Art und Weise haben wir uns an die Lebensumstände gewöhnt.“ Das Komitee versucht deswegen nun, nachhaltigere Projekte zu initiieren, die den verbliebenen BürgerInnen der Stadt das (Über)Leben ermöglichen und ihnen eine Beschäftigung bieten. „Die Situation ist so wie sie ist und sie wird auch so weiter bleiben. Die Menschen brauchen nicht nur etwas zu essen, sondern auch eine Beschäftigung. Wir wollen für sie Alternativen schaffen.“ So ein Projekt war zum Beispiel ein vom Komitee durchgeführter Nähkurs. Den Frauen in Zabadani sollte eine Möglichkeit gegeben werden, ihre Familie wenigstens mit einem kleinen Einkommen zu unterstützen und zusätzlich etwas Neues zu lernen. Einzelne BürgerInnen Zabadanis haben vor einiger Zeit weiterhin damit begonnen in Eigeninitiative ihre Kinder, die seit der Befreiung der Stadt keine Schule mehr besuchen konnten, in sicheren Kellerräumen gemeinsam zu unterrichten. Das Komitee war ihnen dabei behilflich und nun haben sich das Komitee und der Lokale Rat zusammen getan, um eine alternative Schule in Zabadani aufzubauen. Die AktivistInnen des Komitees möchten außerdem in jedem Stadtviertel einen sicheren und mit Essen u.ä. ausgestatteten Bunker einrichten, denn zu viele Menschen sterben immer noch, weil sie keinen geeigneten Zufluchtsort haben, wenn die Stadt bombardiert wird.

Als noch humanitäre Hilfe seinen Weg nach Zabadani fand, war das Komitee auch für die Verteilung der Lebensmittelkörbe zuständig – da die Belagerung allerdings noch einmal verschärft wurde, sind seit 4 Monaten keine Hilfsgüter mehr angekommen. Das Komitee hat auch ein Zentrum für medizinische Erste Hilfe in Zabadani aufgebaut. Das Zentrum ist mittlerweile so groß, dass es eigenständig geleitet wird – durch die kontinuierliche Bombardierung gibt es ständig Verwundete. Die AktivistInnen organisieren nach wie vor Aufräumaktionen in der Stadt und als einen Hauptteil ihrer Arbeit betrachten sie immer noch die Kampagnenarbeit, die sich beispielsweise gegen eine Bewaffnung von Minderjährigen oder für eine Trennung von zivilen und von militärischen Belangen ausspricht.

Solche Kampagnen finden durchaus Anklang, sowohl bei den Zivilisten, als auch bei den bewaffneten Gruppen selbst. Das Komitee beschäftigte zum Beispiel einen Maler der Stadt, der die Plakate für ihre Kampagnen zeichnete. Als nichts mehr da war, auf das er malen konnte, begann er damit, die Sprüche des Komitees an die Wände und Mauern der Stadt zu schreiben. Einmal passierte eine Gruppe Bewaffneter, als der Aktivist gerade einen Spruch gegen Bewaffnung an die Wand brachte. Sie blieben stehen und fragten nach dem Hintergrund und der Idee der Kampagne und es entstand ein Gespräch. Viele von ihnen stimmten dabei den Gedanken des Komitees zu.

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Bild: Ein Wunsch der AktivistInnen in Zabadani wäre es, mit Satelliteninternet und Stromgeneratoren wieder Kontakt zur Außenwelt aufnehmen zu können und Fotos wie dieses und ihre Videos, die noch produziert werden, weiter zu verbreiten.

Insgesamt ist in Zabadani nicht das eingetreten, was in vielen anderen syrischen Städten momentan ein Problem darstellt: Die erneute Bedrohung und Unterdrückung der AktivistInnen und Zivilisten durch islamistische oppositionelle Gruppen. Das liegt wohl daran, dass sich sowohl die FSA als auch die in Zabadani ebenfalls agierende Gruppe Ahrar Al Sham fast vollständig aus Bewohnern Zabadanis zusammensetzt. Teilweise laufen auch Soldaten des Regimes über, die um Zabadani herum stationiert sind. Häufig gehen diese allerdings nach kurzer Zeit zurück zu ihren Familien bzw. zurück in die Orte, aus denen sie stammen.

Zumeist sind es also die Verwandten der BewohnerInnen Zabadanis selbst, die kämpfen und auch einige AktivistInnen der friedlichen Protestbewegung wechselten zum bewaffneten Lager über. Die bewaffneten Gruppen mischen sich in Zabadani nicht in die zivilen Belange der Stadt ein, wenn es nötig ist, wird kooperiert. Für die Bevölkerung Zabadanis stellen die bewaffneten oppositionellen Einheiten nach wie vor einen Schutz dar. Man fürchtet sich vor der Einnahme Zabadanis durch das Regime und einer vollständigen Zerstörung der Stadt.

Neben dem Komitee gibt es noch weitere Vereine und Organisationen sowie den Lokalen Rat, die Vertretung der Syrischen Nationalen Koalition in Zabadani. Die BewohnerInnen stehen der Koalition und ihrer Politik allerdings sehr skeptisch gegenüber. Für sie ist das Komitee immer noch der vertrauensvolle Ansprechpartner, der sich als Vermittler für Unterstützung etabliert hat. Auch die AktivistInnen des Komitees bemerken: „Irgendwie ist alles was die offizielle Opposition tut nicht hilfreich. Sie hat die Bewegung innerhalb der Gesellschaft falsch verstanden und nicht aufgegriffen. Sie konnte die Energie und die Schönheit der Revolution nicht bewahren. Deswegen wurde aus friedlichem Widerstand bewaffneter Widerstand und schließlich ein Krieg.“

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