Besser spät als nie – nach einem Jahr erhebt sich auch Aleppo gegen Folter und Mord

Während der letzten 15 Monate war einer der prominentesten Sätze in der Berichterstattung westlicher Medien über den Syrienkonflikt lange Zeit folgender: “So lange das Regime die beiden großen Städte des Landes Damaskus und Aleppo kontrolliert und sich auf die Loyalität der dort ansässigen Händler verlassen kann wird die Revolution nicht erfolgreich sein.” Damaskus ist die […]

Während der letzten 15 Monate war einer der prominentesten Sätze in der Berichterstattung westlicher Medien über den Syrienkonflikt lange Zeit folgender: “So lange das Regime die beiden großen Städte des Landes Damaskus und Aleppo kontrolliert und sich auf die Loyalität der dort ansässigen Händler verlassen kann wird die Revolution nicht erfolgreich sein.”
Damaskus ist die politische und administrative Hauptstadt Syriens und Aleppo dessen wirtschaftliches Herz. Während es in den Vororten von Damaskus gleich zu Beginn des syrischen Aufstands zu Demonstrationen gegen Assad kam und sich die Demonstrationen seither sukzessive der Innenstadt nähern ist die Wirtschaftsmetropole im Norden Syriens tatsächlich lange fast ausnahmslos ruhig geblieben. Mit einem Jahr Verspätung hat die Revolution dann auch Aleppo erfasst. In der Tat muss eine solche Entwicklung für jede Regierung Anlass zu größter Unruhe sein. Für viele Beobachter, die noch an der Wucht des Aufstand gegen das Baath-Regime gezweifelt haben wurde dadurch klar, dass es weniger um die Frage geht, ob Assad stürzt, als wann es so weit ist.

Lange Zeit hatte sich Aleppo der Illusion hingegeben, der Aufstand würde die Stadt nicht betreffen, sei weit weg und ein vorübergehendes Phänomen. Doch mit den Monaten machten sich die Auswirkungen auch auf dieser Insel der Stabilität und Normalität bemerkbar. Die Produktion und der Vertrieb von Waren werden in einem Land im Ausnahmezustand immer schwerer und die Sanktionen des Auslands tun das ihre. Hinzu kommt, dass die Verkehrswege zur nahen Türkei – einem großen und wichtigen Absatzmarkt – über umkämpftes Gebiet führen und zunehmend unterbrochen wurden. Ganz abgesehen davon, dass Ankara, einst Verbündeter und nun vehementer Gegner Syriens, die Zölle drastisch anghob. Je stärker das Geschäft einbrach, umso stärker sank in Aleppo die Bereitschaft der Assad-Regierung treu zu bleiben.
Die ansässigen Minderheiten und die Handel treibende Mittelschicht, die bisher in stillschweigender Übereinkunft mit dem Regime koexistiert hatten, konnten vor den offensichtlichen Fakten nicht mehr die Augen verschließen: Der in den Jahrzehnten unter der Assad-Diktatur erlangte Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit mehr und unter den gegebenen Umständen in akuter Gefahr. Und auch sie selbst sind nicht gegen die Brutalität des Regimes immun – ebensowenig, wie gegen die Gewalt der beaffneten Aufständischen oder gegen die das Chaos ausnutzenden Verbrecher, auch wenn sie bisher nicht primär betroffen waren.
Eine der Wegmarken bei der Wende, die die Bevölkerung Aleppos hinsichtlich des Aufstands unternahm war der Tod Dr. Sakher Hallaks. Der angehsehene Arzt wurde weinge Tage nach seiner Verhaftung durch den Geheimdienst im Mai 2011 tot aufgefunden. Sein Körper wies eindeutige Folterspuren auf. Die Ermordung Hallaks, von dem nicht bekannt ist, dass er sich in der politischen Opposition engagierte war eine eindeutige Warnung an die Bewohner Aleppos. Sie verdeutlichte, was jedem passieren konnte, der in den Verdacht geriet aufzubegehren. Hallak hatte sich durch die Teilnahme an einem Medizinkongress in den USA verdächtig gemacht.

Initialzündung durch Studierendenproteste
Aleppos position an der Seitenlinie er Revolution ist in Syrien bereits sprichwortlich geworden, was sich auch in entsprechenden Motti der wöchentlichen Freitagsdemostrationen wiedergespiegelt hat. Aktivisten und Oppsitionelle aus anderen Teilen des Landes machen sich vielfach lustig über die “stille Stadt”. Bei den Einwohnern, hat diese Stigmatisierung dazu geführt sich wegen ihrer Herkunft zu schämen.
Nachdem bereits
Nachdem im April 2011 erstmals Studenten in Aleppo demonstrierten wurden zahlreiche von ihnen der Uni verwiesen. Im Mai 2012 befand sich der Konflikt schon in einer weiter eslakierteren Phase. Als die Studenten wieder demonstrierten reagierten die Sicherheitskräfte mit scharfen Schüssen. Fünf Studenten wurden dabei getötet, hunderte verhaftet. Als die Studenten trotz der Gewalt weitere Demonstrationen abhielten wurde das im Rest des oppositionellen Syriens mit Erstaunen und Wohlwollen aufgenommen. Diesmal drückte das Motto der Freitagsdemonstration (18.5.2012) keine Häme, sondern Anerkennung aus (“Freitag der Helden der Universität von Aleppo”).

In den Gebieten des Umlands war es schon zuvor zu Demonstrationen gegen das Regime gekommen, die Region musste genauso wie die anderen Teile des Landes die repressive Gewalt der Sicherheitskräfte erleiden. Doch auch im Stadtgebiet selbst gibt es in zwischen Viertel, in denen regelmäßig protestiert wird. Als Reaktion auf das Massaker in Houla hielten auch die Händler in Aleppo ihre Geschäfte für zwei Tage geschlossen. Wegen solcher Aktionen und wegen der Unterstützung für die Proteste der Studenten, die in der unternehmerischen Mittelschicht der Stadt zu wachsen beginnt nähert sich Aleppo wieder an die Revolutionäre an. Das Motto der Freitagsdemonstrationen am 8.6.2012 lautete “Händler und Revolutionäre Hand in Hand bis zum Sieg”.

Auch wenn der – zugegeben späte – Eintritt Aleppos in die Revolution bisher nicht zu einem rasanten Zerfall des Assad-Regimes geführt hat, so ist es doch bedeutend, dass die sicheren Häfen des Präsidenten immer kleiner werden. Wenn selbst die wichtigsten und stabilsten Stützen seiner Macht erodieren muss der Fall nicht mehr weit sein.