Daraya – entgleiste Rebellen-Aktion oder gezielte Exekution friedlicher Aktivisten und ihrer Angehörigen?

“Daraya war ein Stern vor und während der Revolution. Was die jungen Männer und Frauen der Stadt aufgebaut haben, bedurfte immenser Anstrengung und und wuchs zu einem beispielhaften Modell für die Zukunft des Syriens, das wir uns erträumen. Der Aktivismus der Stadt hörte keine Minute auf, uns zu begeistern. Es war in Daraya, wo friedliche […]

Daraya war ein Stern vor und während der Revolution. Was die jungen Männer und Frauen der Stadt aufgebaut haben, bedurfte immenser Anstrengung und und wuchs zu einem beispielhaften Modell für die Zukunft des Syriens, das wir uns erträumen. Der Aktivismus der Stadt hörte keine Minute auf, uns zu begeistern. Es war in Daraya, wo friedliche Demonstranten zuerst Rosen und Wasser den Soldaten der syrischen Armee schenkten, die als Antwort sich ihrer Tötung hingaben. Nur in Daraya wurden Eid-Geschenke an Kinder von Märtyrern und Kinder der Schabiha gleichermaßen verteilt.” Das schreibt die Aktivistin und Bloggerin Razan Zeytouneh, deren Berichte unter anderem in der Zeit erschienen.

Die Weltöffentlichkeit nahm erst Notiz von dem Damaszener Vorort Daraya mit seinen knapp 200.000 Einwohnern, als uns die Bilder eines Massakers erreichten. In Daraya sollen während einer tagelangen Armeeoffensive hunderte Menschen, unter ihnen auch Kinder, getötet worden sein. In sozialen Netzwerken sind Bilder von Massengräbern und aneinandergereihte Körper in weißen Leichentüchern zu sehen. Dies ähnelt den Bildern von anderen Massakern, die bereits in Syrien verübt wurden. Der Fall Daraya stellt jedoch eine neue Eskalationsstufe dar: Daraya liegt nur ca. 10 km entfernt vom Zentrum der Hauptstadt Damaskus und Assads verbliebener Machtbasis. Die genaue Anzahl der Toten ist bislang unklar, lediglich die Dimension ist bekannt. Auf der Solidaritätsseite für Yahya Shurbaji, ein inhaftierter Aktivist aus Daraya, wird die Zahl der Opfer der viertägigen Offensive derzeit mit 673 angegeben.

Fest steht: Es hat von staatlicher Seite eine Militäroffensive in Daraya gegeben. Die syrischen staatsnahen Medien berichteten von einer Operation, um Daraya von „Terroristen“ zu säubern. Eine Reportage des regimenahen TV-Privatsenders Ad-Dunia (der seit Monaten auf der EU-Sanktionsliste steht) führte seine Zuschauer durch Daraya, inmitten der grausigen Zeugnisse der Offensive. Leichen wurden vorgeführt, ihre Tode den „Terroristen“ zugeschrieben, die überall nur Mord und Zerstörung hinterließen. Die Präsenz von Regimetruppen ist allgegenwärtig.

Besonders verstörend ist die Vorgehensweise der Moderatorin, die den Zuschauer wie durch einen Erlebnisparcours führt, dabei Verletzte und Traumatisierte interviewt, bevor diesen überhaupt medizinisch geholfen wird. Die Soldaten erweisen sich vor laufender Kamera als Retter und Helfer. Die Moderatorin Micheline Azar wird für dieses Verhalten von den Anti-Regime-Aktivisten harsch gescholten. Es sind sogar einzelne Grafiken gestaltet worden, die ihre Befragung eines jungen Mädchens nachstellen. Die Dunia-Reportage steht erneut stellvertretend für das Mediengebaren und die größere Narrative des Regimes. Mit Daraya und dem Dunia-Bericht befasste sich hier Robin Yassin-Kassab auf seinem Blog Qunfuz. Der Dunia-Bericht ist dort mit englischer Untertitelung abrufbar (Vorsicht: drastischen Szenen).

Die Frage nach den Tätern des Massakers treibt auch die Medien um. Die NZZ schrieb am Montag, diese sei durch den schwierigen Zugang für Medien schwer zu klären. Unabhängige Medienvertreter hätten noch keinen Zugang erhalten. Ferner schreibt Monika Bolliger, manche in der Opposition hofften durch solche „Massaker“ internationale Militäraktionen herbeizuführen. Dieser Vorwurf wurde der Opposition zuletzt mehrmals und scharf vom deutschen Publizisten und oft gefeierten „Syrien-Experten“ Jürgen Todenhöfer gemacht. Er sprach von „Massaker-Marketing“. Er hält den Vorwurf, der Diktator Assad töte sein Volk, für abwegig und schlichtweg falsch. Zahlreiche NGOs und sogar Berichte der UN strafen ihn Lügen.

Ein westlicher Reporter, der sich begleitet von der syrischen Armee Mitte letzter Woche nach Daraya begab, war Robert Fisk für den Independent. Er zitiert seine Interviewpartner mit der Aussage, die Armee sei erst nach Daraya gekommen, als ein Gefangenenaustausch zwischen Rebellen und Regime scheiterte. Vor allem Regierungsangestellte seien durch Rebellen vor oder während der Armeeoffensive umgebracht worden. Er sagt aus, er habe „außerhalb der Hörweite syrischer Offizieller“ mit Zeugen sprechen können. Diese Version wiesen die Lokalen Koordinationskomitees umgehend zurück.

Dass Daraya vor der Militäroffensive ein besonders widerständiger Ort war, zeigt ein CNN-Bericht. Die ungenannte Reporterin hielt sich bis zum Beginn der Offensive einige Tage in Daraya auf und berichtet von Optimismus und Aufbruchstimmung unter den Bürgern Darayas. Ihnen sei es darum gegangen, die Stadt wieder in Stand zu setzen. Daraya begriff sich als befreit und als Schritt ins „Freie Syrien“. All dies sei durch die Angriffe zunichte gemacht. Nachdem die Reporterin Daraya auch aus Gründen der eigenen Sicherheit verlassen hatte, stand sie noch einige Tage in Kontakt mit Aktivisten, die ihr am Ende nur schrieben: „Daraya is now cursed“.

Dieser Video-Bericht deckt sich mit dem Beitrag von Razan Zeitouneh für „The Damascus Bureau“. Ihr Bericht über Gespräche mit Aktivisten aus Daraya ist auf Arabisch verfasst, jedoch auch auf Englisch in der Kommentarspalte vorhanden. Ein mit ihr befreundeter Aktivist berichtet ihr, wie “Regime-Kräfte” Menschen aus den Kellern holten und exekutierten, so verfuhren sie Haus für Haus.

Die Rede ist von mehr als 500 Opfern und unermesslicher Zerstörung. Das Ende des Artikels mündet in eine deprimierende Feststellung:

„24 hours after the massacre, still broken and stunned, I spoke with a young woman from Daraya. The woman said: ‘all that we had built during a year and seven months, they destroyed in a few short hours.’“ Jedoch gibt man sich nicht geschlagen:

„The woman speaks again and says: ‘we will not give into death, we will rise again. Hello, this is Syria.’“

Über die zivile Bewegung in Daraya sowie die lokal erstellte und vertriebene Zeitung „Enab Baladi“ wird es in Kürze einen weiteren Artikel geben.

 

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