Das kann heiß werden: Auf der Veranstaltung „Krieg in Syrien“ diskutieren Revolutionskritiker mit Revolutionsunterstützern

Eines muss man der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB) und der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) lassen: Sie haben wohl das spannendeste Podium zum Thema „Krieg in Syrien“ zusammengestellt, das man finden konnte. Mit der Junge Welt-Journalistin Karin Leukefeld und dem Referenten für Öffentlichkeit bei medico international Martin Glasenapp treffen am heutigen Montagabend zwei schwer vereinbare […]

Eines muss man der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB) und der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) lassen: Sie haben wohl das spannendeste Podium zum Thema „Krieg in Syrien“ zusammengestellt, das man finden konnte. Mit der Junge Welt-Journalistin Karin Leukefeld und dem Referenten für Öffentlichkeit bei medico international Martin Glasenapp treffen am heutigen Montagabend zwei schwer vereinbare linke Positionen aufeinander: Karin Leukefeld sieht auch die guten Seiten an Assads Regierung, Martin Glasenapp ist im Beirat von Adopt a Revolution. Dazwischen steht Tobias Pflüger, ein Vertreter der Informationsstelle Militärisierung. Er sieht zwar den repressiven Charakter des syrischen Regimes und erkennt das Recht auf Widerstand an, trat aber in der Vergangenheit auch als scharfer Kritiker von Adopt a Revolution in Erscheinung.

Eine solche Diskussion ist längst überfällig. Insofern ist den Veranstaltern zu gratulieren. In ihrem Ankündigungstext zur Veranstaltung scheinen sie aber das Ergebnis schon vorweg zu nehmen. Die arabischen Revolution seien ein Desaster, impliziert die Einleitung: Die Revolution in Ägypten endete in einer reaktionären Regierung, Libyen sei ein „failed state“, Bahrain mit Panzern niedergeschlagen. Tunesien wird nicht erwähnt. Da kämen die Antifas womöglich in Verlegenheit festzustellen, dass Araber vielleicht doch auch Demokratie können, ein bisschen jedenfalls.

Zu Syrien heißt es: „Was als Protestbewegung begann wurde schnell zum Bürgerkrieg.“

Bürgerkrieg liest man zwar inzwischen häufiger in den Medien, mal fällt den Autoren wohl nichts passenderes ein, seltener geht es um die Frage, welchen Flüchtlingsstatus Syrer erhalten – und nur in diesem Fall ist der Terminus brauchbar, weil rechtlich anerkannt. Für die politische Diskussion aber sollte man den Unterschied zwischen einem Bürgerkrieg und einem Revolutionskrieg kennen – das gilt insbesondere für eine Gruppe, die selbst „revolutionär“ im Namen führt. Oder wird hier schlicht die Propaganda des Diktators reproduziert? Bemerkenswert ist vor allem die Qualifizierung als „schnell“. Die Freie Syrische Armee hat sich erst fünf Monate nach Beginn der Proteste in Syrien gegründet und sich zunächst auf den reinen Schutz der Demonstrationen beschränkt. Noch bis in den Februar 2012 hinein dominierten friedliche Proteste. So lange hat sich selten ein Aufstand ohne Gegenwehr niederschießen lassen.

Welcher Blick hier auf die syrische Revolution oder allgemein die syrische Bevölkerung geworfen wird, enthüllt sich schließlich in der Frage: „Ist der Sturz der Assad-Regierung im Sinne der Bevölkerung im Land oder doch von außen oktroyiert?“

Man achte auf die Wortwahl: Die Veranstalter fragen nicht, ob die Bevölkerung den Sturz des Regimes will. Eine Handvoll Journalisten, von denen zumindest Karin Leukefeld und Jürgen Todenhöfer selbst im Land waren, behaupten die große Mehrheit der Bevölkerung stehe nicht hinter den Protesten. Dutzende andere berichten, dass selbst in den vom Regime priviligierten Bezirken Aleppos und Damaskus inzwischen viele den Sturz des Regimes wollen. Darüber kann man sich austauschen.

Völlig abwegig ist hingegen die Frage, ob der Sturz des Regimes „im Sinne“ der Bevölkerung sei. Kann es denn im Umkehrschluss im Sinne der Bevölkerung sein unter einem der respressivsten Regime der Region zu leben? Sich nicht politisch betätigen zu dürfen, keine Kritik an steigenden Lebenshaltungskosten und sinkenden Subventionen äußern zu dürfen und immer Angst vor dem Geheimdienst haben zu müssen? Wer in Erwägung zieht, dass dies „im Sinne“ einer Bevölkerung sein könnte, der kann dies nur, wenn er diese Bevölkerung für dumm, gefährlich oder schwachsinnig hält und daher annimmt, eine repressive Bevormundung könne sie vor Übel schützen.

Ähnliches erschließt sich aus dem zweiten Teil der Frage, hier sei etwas von außen oktroyiert (man weiß nicht so genau was, weil das Bezugssubjekt, der Sturz der Regierung, schließlich noch nicht stattgefunden hat, also wohl nicht gemeint ist). Damit implizieren die Verfasser hunderttausende von Menschen ließen sich einfach so gegen ihren Willen verleiten für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. Das Motiv ist deutlich: Das syrische Volk als verleitetes Kind, dass der strengen Hand des Vaters bedarf. So sieht moderner Orientalismus aus. Man darf gespannt sein, wie die PodiumsprecherInnen sich zu diesem Aufschlag positionieren.

Die Journalistin Karin Leukefeld schreibt in ihren Berichten für Junge Welt und Neues Deutschland die Opposition klein und vergleicht die Freie Syrische Armee auch schon mal mit den „Contras“. Wenn sie über die politische Opposition spricht, ist nicht vollkommen falsch was sie sagt, aber bezeichnend, was sie weglässt. In einem Interview für WeltnetzTV spricht sie auf die Frage nach der Opposition allein über das Nationale Koordinierungskomitee. Sie sagt, diese politischen Oppositionellen seien sehr schwach. Richtig ist, dass das NCC, ein Zusammenschluss mehrerer vor allem links gerichteter Parteien, zunehmend an den Rand gedrängt wurde. Nur leider vergisst Leukefeld zu erwähnen, dass es 300 lokale Koordinierungskomitees im Land gibt, die alles andere als schwach sind und die anders als sie es generell für die politische Opposition behauptet durchaus Einfluss auf die Freie Syrische Armee haben. Hört man ihre Ausführungen zur Freien Syrischen Armee gewinnt man den Eindruck, dies seien alles Kriminelle, die für Geld töteten. Über desertierte Soldaten weiß sie, dass es sie gibt, aber dass sie „nicht zur FSA gehen, sondern nach Hause“. Der Beweis: Das Regime hat den Deserteuern mehrfach eine Amnestie angeboten. (Total nett dieser Assad, nur leider laufen ihm immer mehr Soldaten weg, statt zurück zu kommen).

Tobias Pflüger ist Abgeordneter der Linken und Teil der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen. Anders als Leukefeld ist er weit davon entfernt, Assad einen guten Mann sein zu lassen, aber besondere Sympathien für die Revolutionäre kann man ihm wohl auch nicht unterstellen. Die Südwest Presse zitiert ihn: „Das Libyenmodell stünde für die neue Politik. „Militante Kräfte der Opposition werden aufgerüstet, die Nato spielt Luftwaffe. Das nenne ich zynische Kriegsführung.“ In Syrien rüsteten nun die Großmächte beide Seiten auf.“ Die IMI kritisierte Adopt a Revolution im April in einem offenen Brief: „Es ist nur allzu verständlich und richtig, wenn Menschen in Syrien (und anderswo) gegen undemokratische und ungerechte Zustände in ihrem Land auf die Straße  gehen; ebenso versteht es sich von selbst, dass die gewaltsame Unterdrückung solcher Proteste zu kritisieren ist und den progressiven Teilen solcher Bewegungen unsere Solidarität gehört. Doch wie genau eine solche Solidarität aussehen muss, welche Form sie annehmen soll und darf, ist eine schwierige Frage. An der Art, wie Adopt a Revolution dies tut, wurde jedenfalls schon frühzeitig Kritik geübt. So wurde zu bedenken gegeben, dass die Kampagne eine extrem einseitige Sichtweise über die Verhältnisse im Land transportiert und ihre Fokussierung auf einen anti-westlichen Akteur, während in vielen pro-westlichen Ländern Aktivisten ebenfalls unterdrückt würden, Fragen aufwerfe.“

Die Vorwürfe der IMI richteten sich hauptsächlich gegen die syrischen Mitglieder des Beirats von Adopt a Revolution. Der Beirat hat beratende Funktion, er bestimmt nicht die Politik von Adopt a Revolution. Ein „deutsches“ Mitglied des Beirats, medico international, hat auf einige der allgemeineren Vorwürfe geantwortet. Für die 1968 in Frankfurt gegründete Hilfsorganisation wird Martin Glasenapp auf der Veranstaltung sprechen. In der Antwort auf den Imi-Brief schrieb medico: „Es ist eine Sache, sich als Menschenrechts- und Hilfsorganisation aus den oben bereits genannten guten Gründen prinzipiell auf den Gewaltverzicht zu berufen und militärische Interventionspläne abzulehnen; ein anderes Problem ist allerdings die auch bei manchen europäischen Linken vorhandene Unterstellung, dass all jene innerhalb Syriens, die unter den gegenwärtigen Bedingungen eine internationale Unterstützung einfordern, nur Teil einer prowestlichen-reaktionären Verschwörung seien.“

Heute abend, 17.September | 19 Uhr | SO 36 | Oranienstrasse 190 

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