„Der Himmel gehört allen, weg mit den Grenzen!“

Am vergangenen Sonntag begann die von Adopt a Revolution in Kooperation mit PRO ASYL durchgeführte Filmtour, die den Film „On the Bride’s Side“ (Io sto con la sposa) in 6 Städten aufführt. Das Interesse am Film war groß, ca. 400 Menschen waren ins Kreuzberger TAK am Moritzplatz gekommen. Die Berliner Vorführung wurde ergänzt durch eine […]

Am vergangenen Sonntag begann die von Adopt a Revolution in Kooperation mit PRO ASYL durchgeführte Filmtour, die den Film „On the Bride’s Side“ (Io sto con la sposa) in 6 Städten aufführt. Das Interesse am Film war groß, ca. 400 Menschen waren ins Kreuzberger TAK am Moritzplatz gekommen. Die Berliner Vorführung wurde ergänzt durch eine Podiumsdiskussion mit Vertretern von Adopt a Revolution und PRO ASYL; der Abend wurde abgerundet durch syrische Kurzfilme. Die Hauptperson des Abends war jedoch Tasnim Fared, die im Film „On the Bride’s Side“ die Braut darstellt. Sie gab nach der Vorführung bereitwillig Auskunft über das Projekt, das mehr ist als nur ein Film – ein Akt des zivilen Widerstands gegen die Asylpolitik des europäischen Festlands.

Das gefüllte TAK am Sonntag vor der Filmvorstellung. Foto: Moritz Pankok.
Das gefüllte TAK am Sonntag vor der Filmvorstellung. Foto: Moritz Pankok.

Denn worum geht es in dem Film? Eine Gruppe von insgesamt 23 Personen tritt im November 2013 die Reise von Mailand ins schwedische Stockholm an, um fünf syrischen und syrisch-palästinensischen Flüchtlingen zu einer besseren Zukunft in Schweden zu verhelfen. Da „illegale“ Flüchtlinge nicht einfach die innereuropäischen Grenzen überqueren können (die für EuropäerInnen unsichtbar und eher bedeutungslos geworden sind), ohne nach Italien abgeschoben zu werden, lässt sich die Gruppe um den italienischen Journalisten Gabriele del Grande und den palästinensischen Dichter Khaled Soliman Al Nassiry etwas Besonderes einfallen: Eine Hochzeitsgesellschaft muss her, damit die Reise gelingen kann. Denn wer würde schon eine Hochzeitsgesellschaft anhalten? Ausstaffiert als Braut, Bräutigam samt Familie und Freunden nimmt die Gruppe die Reise nach Schweden auf. Noch zu Beginn der Reise verewigt die „Braut“ Tasnim in einer Baracke, die Flüchtlingen als Anlaufstelle dient, folgende Worte: „Der Himmel gehört allen, weg mit den Grenzen!“

Italien ist für das Ehepaar Ahmad und Mona, Abdallah sowie Alaa und seinen minderjährigen Sohn Manar (aka MC Manar, denn Rap ist die große Leidenschaft des Jungen) nicht die erste Station auf der Flucht. Hinter ihnen liegt der lebensgefährliche Seeweg nach Italien, den sie in brüchigen Kähnen von Libyen aus angetreten hatten. Dabei ist v.a. Abdallah nur knapp dem Tod entgangen. Er war an Bord jenes Schiffes, das am 11. Oktober 2013 vor der Küste Italiens sank. Mehr als 200 Menschen gelten seitdem als vermisst. Abdallah erzählt in einer beklemmenden Szene, wie er drohte unter dem Leichenberg zu ersticken, den die italienische Küstenwacht nach seiner Rettung auf ihm aufhäufte. Gerettet aus der See, nur um beinahe unter Leichen zu ersticken.

Doch trotz der traumatischen Ereignisse, die die SyrerInnen in ihrem verwüsteten Heimatland und auf ihrer Flucht erlebt haben, besticht der Film durch viele heitere Momente. Neben der Spannung, auf der Flucht entdeckt zu werden – was den EuropäerInnen Haftstrafen als SchmugglerInnen einbringen und den anderen die Deportation nach Italien bescheren würde – herrscht oft eine fröhliche, beschwingte Stimmung. Beim ersten Zwischenstopp in Marseille kehrt die Hochzeitsgesellschaft zum Essen und Tanzen in ein Restaurant ein, dort hat auch MC Manar seinen großen Auftritt. Geboren als palästinensischer Junge in Syrien, erlebt Manar nun wie seine Großeltern zuvor, was Flucht und Vertreibung bedeuten. Seine Lyrics sind politisch, aber auch von kindlicher Neugier und Naivität. Manars Vater blickt mit Stolz auf seinen reimenden Sohn.

Die Reise gelingt; wohlbehalten und ohne Kontrollen durch die Polizei gelangt die Gruppe nach erlebnisreichen Tagen nach Malmö, wo die Tour mit Sekt und dem arabischen Tanz Dabke begangen wird.

Die "Braut" Tasnim Fared im Gespräch mit VertreterInnen von Adopt a Revolution und PRO ASYL. Foto: Moritz Pankok.
Die „Braut“ Tasnim Fared im Gespräch mit VertreterInnen von Adopt a Revolution und PRO ASYL. Foto: Moritz Pankok.

Dem sehenswerten Film „On the Bride’s Side“ folgte eine kurze Diskussion, bei der Tasnim Fared ihre sofortige Zusage zu dem Filmprojekt damit begründete, dass es darum gehe, dem Nächsten zu helfen. Das große Interesse an dem Film freute sie sehr. Angesprochen auf die Gefahren bemerkt Tasnim, dass die größten Gefahren in Italien schon hinter den Reisenden liegen: Alles, was in Syrien oder auf der Flucht über das Mittelmeer passiere, sei weitaus schlimmer.

Tasnim weiß, wovon sie spricht. Sie stammt aus dem Damaszener Stadtteil Yarmouk, das mehrheitlich von PalästinenserInnen bewohnt wird. Tasnim hat selbst sieben Monate unter der Belagerung in Yarmouk gelebt und erfahren, dass es sowohl dem syrischen Regime als auch IS (die neuerdings ebenfalls das Lager belagern) darum gehe, die freie Zivilgesellschaft zu vernichten, die u.a. in Yarmouk den Gedanken der syrischen Revolution am Leben hält. Auch wenn das Regime den Menschen in Yarmouk die Luft zum Atmen habe nehmen wollen – die Zeit in Syrien während der Revolution sei die schönste ihres Lebens gewesen, versichert Tasnim. Aus dem Publikum gab es einige Fragen und Kommentare zum Thema Yarmouk. Sichtlich erschüttert zeigt sich auch Tasnim, als eine junge Frau aus dem Publikum die Hungertoten Yarmouks anmerkt. Unter den Toten sei auch ihr Onkel, so die junge Frau.

Der Vertreter von PRO ASYL nutzte den Abend, um die Abschottungspolitik der EU anzuprangern. Nicht erst seit April 2015, als bis zu 900 Menschen vor Italien ertranken, gebe es ein Massensterben im Mittelmeer, doch auch nach dieser erneuten Katastrophe komme von der EU nichts Substanzielles. Eine Quote, wie Flüchtlinge künftig auf die EU-Mitgliedsländer verteilt werden sollen, sei sicher kein Durchbruch. Zunächst betrifft es nur jene Flüchtlinge, die ohnehin schon in der EU angekommen sind. Wie Menschen jedoch in die EU kommen könnten, ist nicht die Sorge der EU. Einzig und allein die Aufnahme von 20.000 SyrerInnen sei beschlossen worden. Es mache keinen Sinn, ein Zwangssystem – Dublin III, in dem das Land, in dem die Flüchtlinge zuerst erfasst wurden, für sie zuständig ist – durch ein zweites zu ersetzen: ein System, in dem Flüchtlinge nach Quoten auf die EU verteilt werden, ohne Rücksichtnahme auf die Wünsche der Flüchtlinge.

Damit bleibt die traurige bis heitere Welt von „On the Bride’s Side“ bestehen. Wer sich nicht dem Migrationsregime der EU fügen will, dem bleibt nur die Illegalität. Dabei ist mit „On the Bride’s Side“ ein äußerst sehenswerter Film entstanden, der noch bis Samstag auf Tour in Deutschland ist. Da der Film noch keinen deutschen Verleih gefunden hat, bleibt es bislang bei ausgewählten Vorführungen wie jenen unserer Tour.

Adopt a Revolution unterstützt seit Ende 2011 AktivistInnen in Syrien beim Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Bewegung für Demokratie und Freiheit. Sie stellen sich mit ihren Projekten genauso gegen die Assad-Diktatur wie gegen dschihadistischen Terror. Derzeit unterstützt Adopt a Revolution landesweit 14 Gruppen bei ihren Projekten. Helfen Sie mit!

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