Deutschland, quo vadis?

“Welche Form der Gewalt könnte brutaler sein, als wenn ich zu Assads Botschaft gehe und Geld an das Regime zahle, das meinen Vater seit mehr als neun Jahren verschwunden hält?”, fragt die syrische Aktivistin Wafa Mustafa und klagt in ihrem Gastbeitrag die deutsche Bundesregierung an.

Die syrische Aktivistin Wafa Mustafa ist 2016 nach Deutschland geflohen, ihre Mutter und Schwestern leben in Kanada und den USA. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie selbst Haft- und Foltererfahrungen hinter sich und ihren Vater seit drei Jahren nicht mehr gesehen – er ist gewaltsam in Assads Folterknästen verschwunden. Bis heute gibt es keine Informationen über seinen Verbleib. Trotzdem wurde Wafa von der Ausländerbehörde gezwungen, in der syrischen Botschaft ihren Pass zu erneuern. Um das zu umgehen, sollte sie das gewaltsame Verschwinden ihres Vaters beweisen – das ist unmöglich. Weil sie ohne Pass keine Chance hat ihre Familie zu besuchen, hat sie sich schließlich dem Zwang gebeugt.


Im vergangenen Februar hat das Oberlandesgericht in Koblenz das erste Urteil im Prozess zum syrischen Folter- und Haftsystem gefällt, das bis an die Spitze des Assad-Regimes in Syrien führt. Die Verurteilung eines ehemaligen syrischen Geheimdienstbeamten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit war ein bedeutender Schritt und Hoffnungsschimmer für uns Syrer*innen, die Folter in syrischen Gefängnissen überlebt haben.

Solche Prozesse sind in Deutschland möglich, weil sie sich zum einen rechtlich auf den Grundsatz der universellen Gerichtsbarkeit stützen. Dies ermöglicht die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung derartiger Verbrechen unabhängig davon, wo sie begangen wurden und unabhängig von der Nationalität der Verdächtigen oder der Opfer. Zum anderen basieren diese Prozesse aber auch auf den politischen Behauptungen Deutschlands, Kriegsverbrechen nicht zu tolerieren und den Tätern keinen sicheren Hafen zu bieten.

Der Koblenzer Prozess hat auch bestätigt, was wir Syrer*innen längst wussten: Syrien unter dem Assad-Regime ist ein Folterstaat. Die in Deutschland durchgeführte Untersuchung der Regime-Verbrechen hat bewiesen, dass die Folter in Assads Syrien systematisch und weit verbreitet ist. Inhaftierung wird als Mittel zur Unterdrückung von Regimegegnern und zum Machterhalt Assads eingesetzt – um jeden Preis.

Deutschland muss sich bekennen – mit allen Konsequenzen

Während Deutschland jedoch behauptet, dass es die Bemühungen um Gerechtigkeit anführt, haben die deutschen Behörden nie aufgehört, syrische Geflüchtete zu zwingen, ihre Pässe in Assads Botschaft zu erneuern und dasselbe Terrorregime zu finanzieren, vor dem sie geflohen sind. Durch diese Politik finanziert und stärkt Deutschland einen autoritären und international sanktionierten Staat. Es unterstützt Menschenrechtsverletzungen, indem es zulässt, dass das Assad-Regime weiterhin brutal gegen sein eigenes Volk vorgehen kann.

Der Krieg in Syrien ist noch nicht vorbei. Die Inhaftierungen, das Verschwindenlassen, die Repressionen und Folter sind noch nicht beendet. In Syrien fallen noch immer Bomben. Das Assad-Regime bombardiert täglich Teile von Idlib und Aleppo – unterstützt von Russland und iranischen Milizen. Deutschland muss seine Innen- und Außenpolitik dahingehend verändern, dass diese mit dem internationalen Recht, den universellen Werten und vor allem mit der Menschlichkeit vereinbar ist. Die Bundesregierung muss jetzt zeigen, auf wessen Seite sie steht und welche Werte sie verteidigt.