Die Vergessenen in der Wüste Jordaniens: Die Geschichte Bassems

Das haschemitische Königreich Jordanien hat bisher – laut Angaben des UNHCR – mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. In der letzten Presseschau wurde über die Lage jener Menschen berichtet, die außerhalb des Flüchtlingscamps Zaatari leben und sich durch den Alltag schlagen. Momentan befinde ich mich in Jordanien und habe mit einer großen Anzahl von SyrerInnen […]

Das haschemitische Königreich Jordanien hat bisher – laut Angaben des UNHCR – mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. In der letzten Presseschau wurde über die Lage jener Menschen berichtet, die außerhalb des Flüchtlingscamps Zaatari leben und sich durch den Alltag schlagen.

Momentan befinde ich mich in Jordanien und habe mit einer großen Anzahl von SyrerInnen gesprochen, die in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, leben. Freunde berichteten mir, dass sie ebenfalls syrische Flüchtlinge in Wadi Rum angetroffen hätten, die in den für Touristen errichteten Beduinencamps Arbeit gefunden haben und dort leben. Das Wadi Rum ist das größte Wadi in Jordanien, steht seit 2011 auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO und liegt östlich der Stadt Aqaba im Süden des Landes. Im Dorf Wadi Rum wohnen mehrere hundert Beduinen, die sich auf den Tourismus als Haupteinnahmequelle spezialisiert haben. Vor allem ausländische BesucherInnen suchen die Region auf, um die Gegend zu erkunden.

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Sand und Felsen, soweit das Auge reicht – das Wadi Rum im Süden Jordaniens. (c) Mohammed

Ein Campleiter hatte mir telefonisch bestätigt, dass er einen syrischen Flüchtling beschäftigt. Ich beschloss daraufhin, mir selbstständig ein Bild von der Lage der SyrerInnen zu machen. Im Touristenlager angekommen, lernte ich Bassem* kennen. Er ist 28 Jahre alt, verheiratet und kommt ursprünglich aus Dar’aa, einer Stadt im Süden Syriens. Im Juli 2013 floh er aus der umkämpften Region und fand in Amman eine temporäre Zuflucht. „Seit dem Beginn der Proteste habe ich unermüdlich an Demonstrationen teilgenommen, bis der bewaffnete Widerstand überhandnahm. Die sich stetig verschlechternde Lage zerstörte meine Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Not und war auch der Grund für meine Flucht. In Amman wohnte ich bei meinem älteren Bruder und seiner 6-köpfigen Familie, doch mir war klar, dass es nicht auf Dauer sein kann“, so Bassem, während er sich eine selbstgedrehte Zigarette anzündet.

„Meine Eltern und mein jüngerer Bruder sind bis heute in Dar’aa, meine Frau blieb bei ihrer Familie, doch ich versprach ihr, sie später nachzuholen. Nach knapp einer Woche hielt ich es nicht mehr aus. Die Enge trieb mich in den Wahnsinn. Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern, einer kleinen Kochnische und einer Toilette, die außerhalb der Wohnung lag und mit den Nachbarn geteilt werden musste. Ich schlief zusammen mit meinem Bruder und seinen zwei Söhnen im Wohnzimmer, die Frauen im anderen Raum. SyrerInnen haben es in Jordanien momentan sehr schwer, Arbeit zu finden. Meine Versuche und Anfragen blieben leider erfolglos. Viele Geschäftsleute hatten Angst, mich einzustellen und lehnten daher sofort ab. Einige erklärten sich bereit und boten einen Lohn an, der weit unterhalb des Gehalts für jordanische ArbeiterInnen liegt. Wo ist da die Gerechtigkeit? Wie soll ich so meine kleine Familie ernähren?“

Nachdem er zu der Einsicht kam, in Amman kein Leben aufbauen zu können, suchte Bassem nach Alternativen. Per Zufall traf er in einem Café einen Campleiter aus Wadi Rum, der ihm das Angebot unterbreitete, im Beduinenlager zu arbeiten und dort zusammen mit seiner Frau zu leben; dazu ein Gehalt, das in Jordanien ungefähr im unteren Durchschnitt liegt. Bassem sagte zu, da seine finanziellen Reserven aufgebraucht waren. Im Camp angekommen, musste er sich an die Wüste und ihre klimatischen Gegebenheiten gewöhnen.

„Da ich nicht mit den Touristen in den klassisch-traditionellen Zelten leben kann, habe ich ein Zelt mitgebracht, das mir die UN gegeben hat. Das steht direkt hinter dem Camp, und ich kann die sanitären Einrichtungen und die Küche des Lagers nutzen. Mein Tag beginnt damit, dass ich das Frühstück für die BesucherInnen vorbereite, danach reisen diese ab und ich räume und putze ihre Zimmer. Im Anschluss erst habe ich die Zeit zu frühstücken, ehe ich mit der Ziegenherde ausgehe und mehrere Stunden am Tag in der prallen Sonne unterwegs bin. Wieder im Camp angekommen, muss ich schon das Abendessen für die neuen TouristInnen vorbereiten, meist sind es um die 40. Im August habe ich an einem Abend für 86 Menschen gekocht! Nach dem Abendessen spüle ich ab und habe etwas Zeit für mich.“

„Seit diesem Frühling wohne ich endlich mit meiner Frau zusammen“, fährt Bassem fort. „Es ist nicht das Leben, was wir uns erhofft haben, aber wir haben genug zu essen und werden hier – in der Wüste – gut behandelt. Im Gegensatz zu den meisten Jordaniern in den Städten urteilen die Beduinen nicht sofort aufgrund meiner syrischen Herkunft, sondern geben mir die Chance, mich vorzustellen. Seit einiger Zeit gibt es auch in den umliegenden Beduinenlagern ungefähr 30 syrische Flüchtlinge, die dort leben und arbeiten. Anders als in Amman kann ich manchmal einige Augenblicke für mich erübrigen, um die friedliche Stille zu spüren. Niemand schreit mich an oder behandelt mich wie einen Menschen zweiter Klasse. In der jordanischen Gesellschaft stören mich am meisten die wachsende Diskriminierung und die unfaire Behandlung der syrischen Flüchtlinge. So musste auch ich mir Beleidigungen anhören und bekam mit, wie Menschen negativ über mich sprachen. Einige forderten sogar eine Abschiebung der SyrerInnen, weil diese angeblich ihr Land wirtschaftlich ruinierten.“

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„Einige Augenblicke für mich sein, um die friedliche Stille zu spüren“: Bassem über sein Leben in Wadi Rum. (c) Mohammed

„Was mir die Zukunft bringen wird, kann ich momentan nicht sagen. Die Geduld ist eine Tugend, die ich hier auf die harte Weise lernen musste. Ich weiß nur, dass es mir hier besser geht als in Dar’aa während des Konflikts. Zu meiner Familie, die dort geblieben ist, habe ich leider nur noch unregelmäßigen Kontakt. Meist bitten sie mich um Geld, da sich die Lage weiterhin verschlechtert hat. Das Leben in Jordanien ist jedoch viel teurer als in Syrien, sodass ich nur manchmal Geld erübrigen kann. Auf Unterstützung von Hilfsorganisationen brauchen wir hier nicht zu warten – wir sind die Vergessenen in der einsamen Wüste.“

Über seine Zukunft befragt, äußert sich Bassem so: „Ich hoffe, eines Tages in ein richtiges Haus ziehen zu können, wo meine Frau und ich unsere Ruhe und Privatsphäre haben werden. Vor allem die letzten Sommermonate haben ihr schwer zu schaffen gemacht, da sie die Hitze in der Wüste nicht gewöhnt ist. Nun, wo der Winter vor der Tür steht, wird es vor allem nachts sehr kalt.“

So wünscht sich Bassem nichts mehr, als dass der Krieg in Syrien aufhört: „Nur so kann und will ich wieder in mein altes Leben zurück, auch wenn der Anfang schwer sein mag. In Jordanien fühle ich mich wie ein ungebetener Gast und kann mich unter diesen Bedingungen nicht mit dem Gedanken abfinden, für immer hierzubleiben. Woran ich mich einfach nicht gewöhnen kann, ist die Ungewissheit: Was, wenn im Winter keine TouristInnen kommen und es für mich keine Arbeit mehr gibt? Wohin sollen meine Frau und ich dann gehen? Wie können wir unser Leben in Würde leben?“

*Name geändert