Eine Impression zum Film “Our terrible country” von Mohamad Ali Atassi und Ziad Homsi

Der junge Regisseur Ziad Homsi begleitet den Intellektuellen und Oppositionisten Yassin Al Haj Saleh. Ein Doppelporträt zweier Generationen in der syrischen Revolution. Duma, zerschossen, vom Krieg ausgeblutet und zerstört. Die Zurückgebliebenen halten eine Waffe in den Händen. Die Stadt gilt als befreit. Doch Warlords treiben ihr Unheil. Der Regisseur Ziad schießt mit der Kamera, mit […]

Der junge Regisseur Ziad Homsi begleitet den Intellektuellen und Oppositionisten Yassin Al Haj Saleh. Ein Doppelporträt zweier Generationen in der syrischen Revolution.

Duma, zerschossen, vom Krieg ausgeblutet und zerstört. Die Zurückgebliebenen halten eine Waffe in den Händen. Die Stadt gilt als befreit. Doch Warlords treiben ihr Unheil. Der Regisseur Ziad schießt mit der Kamera, mit dem Gewehr. Er hat keine Brille auf. Er scheint blind auf die gegenüberliegende Häuserfront zu feueren. Ohne ein konkretes Ziel. Irgendwo kommen Schüsse her. Irgendwo sitzt der Feind. Die Salve ist seine Antwort. Die Kämpfenden versuchen sich des alten dämonischen Bildes des hartnäckigen Diktators Assad zu entledigen. Doch Relikte aus einer anderen Zeit, wie eine übriggebliebene Hausüberschrift “Assad wir lieben dich”, verweisen darauf, dass der Dämon noch lange keine Vergangenheit ist.

Auf dieser Reise des Ungewissen poträtiert der junge Ziad Homsi den etablierten Oppositionisten Yassin Al Haj Saleh. Mit seiner Handkamera verfolgt er unmittelbar das Geschehen und wird so selbst zum Teil der Geschichte. Er ist zugleich Zeichnender und Gezeichneter. Seine enge Bindung zu Yassin wird im ersten Interview mit dem Oppositionisten und seiner Frau Samira Khalil deutlich. Durch die Vertrautheit gelingt es ihm, ein starkes und bis jetzt das letzte gemeinsame Interview mit den beiden zu führen. Yassin wirkt zurückhaltend, liebevoll ist der Umgang zwischen ihm und Samira. 2002 haben sie geheiratet, vor 11 Jahren und immernoch scheinen sie wie ein junges Pärchen. In Damaskus sahen sie Yassins Freiheit gefährdet. Weshalb sie durch einen Tunnel in das befreite, jedoch abgeriegelte Duma flohen. Schon lange ist Yassin eine Symbolfigur des Widerstands. Ein Jahr studierte er in Damaskus Medizin, bevor er 1980 vom Sicherheitsdienst des Regimes festgenommen und für 16 Jahre ins Gefängnis gesperrt wurde. Ein verlorenes Leben. Ohne Anklage. Mit dem Vorwurf des Aufrührertums.

Das Dasein in Duma gleicht einem Horrorszenario. Fast alle Häuser sind zerstört. Die Stadt wird nicht mehr vom Regime kontrolliert, aber im gleichen Zuge wurde das alltägliche Leben ausgelöscht. Es sind Schattendaseine, die durch die Gassen huschen, um nicht von Scharfschützen erschossen zu werden. Das Leben der Zurückgebliebenen in Duma ist geprägt vom Kriegsalltag, von Operationen, der im Kampf Verwundeten, vom Einsammeln der Toten, von der Säuberung der Körper für die letzte Ruhestätte. Der Versuch, die Stadt an diesem Nullpunkt ihrer Existenz wieder aufzubauen, ist ein gefährliches Unterfangen. Mit Besen und Schaufeln bewaffnet, versucht die kleine Gruppe von AktivistInnen die Straßen zu säubern. Ein Passant weist die Gruppe darauf hin, die Frauen dürften nicht ohne Kopftuch auf der Straße sein.

Yassin will seinen Bruder treffen und verlässt deswegen das “befreite” Duma in Richtung Raqqa. Der Weg ist lang und gefährlich, anstrengend und führt über feindliches Gebiet. Aus diesen Gründen treffen sie gemeinsam die Entscheidung, dass Samira zusammen mit den Freunden Razan Zaitouneh, Wael Hamadeh und Nazem Hammadi in Duma bleibt. Der Weg der Flucht aus der Stadt führt durch die Wüste. Barfüssig über den heißen Sand. Nur eine Plane ist ihr einziges Versteck in der sengenden Hitze. Es bleibt den Flüchtenden nichts anderes übrig als zu warten. Über ihnen fliegen die Bombenflugzeuge Assads. Die Situation ist angespannt, denn sie ist ungewiss. Sie wissen nicht, wer sie abholen wird. Sie wissen nicht wann. Das Ziel der Flucht ist Raqqa, die Heimatstadt Yassins. Doch auch hier können Ziad und Yassin nicht lange bleiben. Es ist zu gefährlich. Seit 2012 ist Raqqa von ISIS eingenommen. “Die Männer in Schwarz, das sind jene Männer, vor denen die Märchen seit Jahrhunderten von Jahren warnen”, resigniert Yassin. Doch die Flugzeuge Assads haben bis jetzt kein nennenswertes Quartier von ISIS angegriffen. Die Flugzeuge bombardieren Krankenhäuser, Schulen, Bäckereien. Der Staat beschützt hier niemanden mehr.

Der Weg führt weiter in die Türkei. Vorerst gibt es nur ein Oneway Ticket. Yassin wirkt wie ein fremder Körper am Ausgang der U-Bahnstation und im Getümmel der belebten Straßen. Die Gedanken an Samira, die immer noch in Syrien ist, lasten wie Blei auf ihm. Das Benzin wird knapp in Duma. Die Internetverbindung wird immer schlechter. Über Skype können sie sich kaum noch hören. Es wird höchste Zeit, dass auch sie die Stadt verlässt.

Währenddessen versucht Ziad noch einmal nach Duma zurück zu kehren. Doch nachdem er ein zweites Mal von ISIS gefangen genommen wird, geht auch er in die Türkei. In einem Restaurant treffen sie sich wieder. Ziad erlebt die Revolution als junger Mensch. Yasssin als jemand, der sein Leben lang gegen das Regime angekämpft hat. Dieser Film zeigt auf beeindruckende Weise das Aufeinandertreffen dieser beiden Generationen. In langsamen Einstellungen und ruhigen Bildern wird hier ein Moment gezeichnet, der nur einen kleinen Hoffnungsschimmer im Wirrwarr des Zerfalls und der Zerstörung übrig lässt. “Assad ist nicht mehr als eine Illusion der Menschen. Er ist nicht mehr als Du und Ich. Das eigentliche Problem, das liegt in uns.” Yassin meint, die Menschen schaffen es nicht, ihren eigenen Dämon abzustreifen und hinter sich zu lassen. Der Krieg hat etwas zerstört, was niemals wieder in Syrien aufgebaut werden kann. Assad hat einen Teil getötet, der nicht wieder aufzubauen ist, so empfinden viele SyrerInnen die sich der Gewaltspirale ausgeliefert fühlen. Aus einem Feind sind zwei geworden. Zwei Feinde einer Medaille. Auf der einen Seite ist Assad, auf der anderen ISIS, so Ziad. Dazwischen zermürbt werden die AktivistInnen einer Revolution für Freiheit und Würde.

Gegen das unerträgliche Schweigen der Welt im Syrienkrieg: Die Menschenrechtsaktivisten Razan Zeitouneh, Samira al-Khalil, Wael Hamadeh und Nazem Hammadi wurden Anfang Dezember 2013 von Unbekannten im Damaszener Vorort Douma entführt und werden seitdem vermisst.
Gegen das unerträgliche Schweigen der Welt im Syrienkrieg: Die Menschenrechtsaktivisten Razan Zeitouneh, Samira al-Khalil, Wael Hamadeh und Nazem Hammadi wurden Anfang Dezember 2013 von Unbekannten im Damaszener Vorort Douma entführt und werden seitdem vermisst.

—————–

Am 10. Dezember 2013 wird Samira Khalil zusammen mit Razan Zaitounhh, Wael Hamadeh und Nazem Hammadi von Unbekannten entführt. Seitdem gelten die vier als vermisst. Bisher fehlt jede Spur von ihnen.

——————

Im Sommer wird es eine von Adopt a Revolution organisierte Filmtour mit “Our terrible country” durch Deutschland geben. Rechtzeitig werden auf dieser Seite die Orte und Zeiten der Tour angegeben.