Erneutes Statement der Familie Razan Zeitounehs – #Free Razan

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen In einem sehr schön formulierten Absatz im Artikel „Das Volk will die Gefängnisse stürzen“ [in Arabisch], schrieb Razan [im März 2011]: Willkürliche Festnahmen sind Verbrechen, die tagtäglich in Syrien begangen werden. Und es wird zunehmend unverantwortlicher, Stillschweigen darüber zu bewahren und ebenso uns damit abzufinden, diese Taten nur […]

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen

In einem sehr schön formulierten Absatz im Artikel „Das Volk will die Gefängnisse stürzen“ [in Arabisch], schrieb Razan [im März 2011]:

Willkürliche Festnahmen sind Verbrechen, die tagtäglich in Syrien begangen werden. Und es wird zunehmend unverantwortlicher, Stillschweigen darüber zu bewahren und ebenso uns damit abzufinden, diese Taten nur zu verurteilen; nur daran zu appellieren, sie zu unterlassen. Denn Appelle und Aufrufe sind nicht im Stande, den Verlust unserer Jugend und die Zerstörung ihrer Familien zu verhindern. Genug ist genug, Schluss: Eher schließen wir uns jenen Inhaftierten an, als weiter nur über ihr Schicksal zu grämen!

Free Razan_erneutes Statement Familie Razan Zeitouneh
Eine von der VDC Syria veröffentlichte Collage zeigt die vier entführten MenschenrechtsaktivistInnen: Razan Zeitouneh, Wael Hamada, Nazim Hamad und Samira al-Khalil (von oben links nach rechts unten).

Mehr als drei Monate sind vergangen, seitdem Razan entführt wurde [am 10. Dezember 2013]. Es ist eine bittere Trauer, die wir empfinden; ein Gefühl der Ohnmacht, das uns davon abhält, etwas zu unternehmen, um sie zu befreien. Dieser lange Zeitraum ist vergangen, ohne dass irgendwelche ernsthaften Maßnahmen unternommen oder irgendeine gleich wie geartete Suche von jenen militärischen Kräften, die diese Region kontrollieren, durchgeführt worden wäre; es wurden auch nie irgendwelche regelmäßigen Ergebnisse der „Ermittlungen“ veröffentlicht. Zudem waren alle Appelle und Aufrufe, unsere vier Kinder – Razan Zaitouneh, Wael Hamada, Nazim Hamad und Samira Khalil – zu befreien, vergeblich, da bislang keine veritable Lösung zu ihrer Freilassung präsentiert werden konnte.

In einer Diskussion zwischen Razan und einem Kämpfer – beschrieben in einem ihrer Artikel – sagte jener zu ihr: „Derjenige, der nicht von einer militärischen Kraft unterstützt wird, wird nicht in der Lage sein, weiterzumachen.“ Razan antwortete selbstbewusst „Seit Beginn der Revolution habe ich nie militärische Unterstützung erhalten, und trotzdem: Ich mache weiter!“ Der Kämpfer beharrte jedoch: „DU wirst nicht weiter machen!“

In der Tat, er sollte Recht behalten. Razan fühlte sich – in den befreiten Gebieten – der Unterstützung durch die Zivilbevölkerung sicher, weshalb sie keinen Grund sah, sich von militärischen Kräften beschützen zu lassen. Und hier schließt sich die Frage an die kämpfenden Truppen in Duma an: „Habt ihr sie im Stich gelassen?“

Wir, die Familie von Razan Zaitouneh – der Menschenrechtsaktivistin, der Anwältin, der Autorin und vor allem, dem menschlichen Wesen – geben diese Erklärung mehr als drei Monate nach ihrer vorsätzlichen Entführung heraus: Einer Entführung, zu der sich bis heute keine Partei bekennt, verantwortlich erklärt oder auch nur irgendeine Erklärung abgegeben oder Forderung an uns gerichtet hätte – mit der klaren Absicht, Zeit zu schinden und die freie Stimme unserer Tochter und die ihrer KollegInnen zu unterdrücken; sie dazu zu zwingen, das Schreiben aufzugeben und ihr Recht auf Redefreiheit und Meinungsäußerung zu unterbinden.

Razan wurde am 11. März 2014 durch das Weltwirtschaftsforum in der Schweiz als eine der Young Global Leaders geehrt, die sich dafür eingesetzen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie war eine von 199 Frauen aus 99 Ländern weltweit, die dafür ausgezeichnet wurden, dass sie – vor ihrem vierzigsten Lebensjahr – einen Erfolg in ihren Heimatländern erreicht haben, der andere Menschen um sie herum inspirieren konnte und einen dauerhaften Eindruck in ihren Gesellschaften hinterlassen wird. Wir – Razans Familie – zollen unsere Anerkennung gegenüber den Gebern, dass sie unsere Tochter geehrt haben. Diese Auszeichnungen bezeugen die symbolische Rolle Razans in der Revolution und dem Streben nach Freiheit für das Land.

In jüngster Zeit fanden weltweit zahlreiche Demonstrationen statt, bei denen Bilder von Razan hochgehalten wurden, die mit Solidaritätsbekundungen für sie sowie für Wael, Nazim und Samira überschrieben waren. Darüber hinaus haben viele internationale humanitäre Organisationen, Menschenrechtsorganisationen und bedeutende politische Akteure die Entführung in öffentlichen Erklärungen verurteilt. Wir sind dankbar für all die geäußerte Sympathie. Und doch, trotz alledem, konnten wir bis heute kein wirklich hilfreiches Ergebnis verzeichnen; abgesehen von dem Umstand, dass von internationaler offizieller Seite die Unversehrtheit unserer Kinder bestätigt wurde. Wir schätzen die Bemühungen jedes Einzelnen hoch. Wir sind jedoch auch überrascht darüber, dass die Institutionen, die uns diese Versicherungen aussprechen, weder aktiv werden, um Razan und ihre Kollegen zu befreien, noch uns Informationen über den Aufenthaltsort der Entführer bereitstellen.

So wenden wir – Razan Zaitounehs Familie – uns hiermit an jeden Einzelnen in den Gebieten Ghoutas, insbesondere in Douma: Helft uns dabei, dieses Rätsel zu lösen und einen Weg zur sofortigen Freilassung der Entführten zu finden. Ebenso rufen wir alle Eltern in Ghouta auf, uns jedwige hilfreiche Information bereitzustellen. Wir appellieren an jeden Vater und an jede Mutter, die nachempfinden können, was wir fühlen. Es gibt keine Rechtfertigung für die Entführung unserer Kinder noch für das anhaltende Leid der Eltern. Es ist furchtbar genug, dass der Vater des Aktivisten Wael Hamada – Razans Ehemann – in der Bitterkeit sterben musste, seinen Sohn  nicht wiedersehen zu können sowie von seinem Schicksal keinerlei Kenntnis zu haben.

Des Weiteren fordern wir Zahran Aloush  – den Obersten Kommandeur der Islamischen Front, der größten militärischen Gruppierung in Ost-Ghuta – auf, öffentlich Stellung zu  beziehen und darzulegen, aus welchen Gründen bis heute weder nach unserer Tochter gesucht noch uns in irgendeiner Weise Hilfe bei unserer eigenen Suche bereitgestellt wurde. Wir machen ihn voll verantwortlich für den Fall, dass Razan oder ihren KollegInnen etwas zustoßen sollte. Die Entführung fand schließlich in jenem Gebiet statt, das unter Zaloushs Befehlsgewalt steht. Darüber hinaus appellieren wir an die ganze Welt, die verschiedenen Interessensgruppen der Region unter Druck zu setzen, damit diese uns dabei unterstützen, unsere Tochter und ihre KollegInnen zu finden.

Mit besten Grüßen,

Razan Zeitounehs Familie

April 2014

Diese Erklärung wurde Mitte April 2014 auf der Website des Violations Documentation Center in Syria (VDC) veröffentlicht. Die VDC wurde einst von Razan Zeitouneh ins Leben gerufen. Diese Fassung ist eine durch Adopt a Revolution erstellte Übersetzung. Adopt a Revolution verurteilt die Entführung von Razan Zeitouneh und ihren MitstreiterInnen aufs Schärfste und verlangt weiterhin deren sofortige Freilassung – wer auch immer Urheber der Entführung sein mag. Seit Beginn des AaR-Projektes arbeitete das Team eng mit Razan Zeitouneh zusammen. Just am Tag ihres Verschwindens – dem Internationalen Tag der Menschenrechte 2014 – erschien Zeitounehs Leitartikel in der dritten Adopt a Revolution-Zeitung, hier nachzulesen.

Zur Kontextualisierung des Statements: Am 10. Dezember 2013 wurden neben Razan Zeitouneh auch ihr Ehemann & Kollege Wael Hamada sowie die KollegInnen Nazim Hamad und Samira Khalil verschleppt. Die Entführung geschah im Damaszener Vorort Douma, der seit langem unter Kontrolle der (bewaffneten) Opposition steht. Von daher gibt es nicht nur von Seiten der Familie Zeitounehs, sondern auch z.B. vom bekannten syrischen Oppositionellen Yassin al-Haj Saleh seit längerem (in)direkte Vorwürfe gegenüber Zahran Aloush und der bewaffneten Opposition in Douma, nichts gegen die anhaltende Entführung zu unternehmen. Al-Haj Saleh ist der Ehemann von Samira Khalil.