Bremer Friedenspreis: Laudatio und Dankesrede

Am 27. November 2015 wurde Adopt a Revolution Internationale Bremer Friedenspreis 2015 in der Kategorie “Beispielhafte Initiative” verliehen. Die beiden anderen PreisträgerInnen sind der somalische Blogger Farah Abdullahi Abdi und die irische Mediatorin Mary Montague. Lesen Sie hier die Laudatio von Ivesa Lübben und unsere Dankesrede! In ihrer beeindruckenden Laudatio zeichnet Ivesa Lübben die Entwicklungen in […]

Am 27. November 2015 wurde Adopt a Revolution Internationale Bremer Friedenspreis 2015 in der Kategorie “Beispielhafte Initiative” verliehen. Die beiden anderen PreisträgerInnen sind der somalische Blogger Farah Abdullahi Abdi und die irische Mediatorin Mary Montague.
Lesen Sie hier die Laudatio von Ivesa Lübben und unsere Dankesrede!

In ihrer beeindruckenden Laudatio zeichnet Ivesa Lübben die Entwicklungen in Syrien seit Anfang 2011 nach. Dabei geht sie insbesondere auf die Rolle unserer Kollegin, der Menschenrechtsanwältin und Aktivistin Razan Zaitouneh, ein. Razans Schicksal ist eng verwoben mit dem Fortgang der Ereignisse in Syrien – am 10. Dezember 2013, dem internationalen Tag der Menschenrechte, wurde sie mutmaßlich von islamistischen bewaffneten Einheiten verschleppt. Bis heute fehlt jede Spur von ihr und den anderen Verschleppten. Wir danken Ivesa Lübben herzlich für diese Laudatio!

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Alan Hassaf, liebe Sophie Bischoff, lieber Ferdinand Dürr,

Sie drei sind heute hier, um den Bremer Friedenspreis 2015 für die Organisation Adopt a Revolution entgegenzunehmen. Damit soll Ihr zivilgesellschaftliches Engagement in Syrien gewürdigt werden. Ich glaube, dass es auch in Ihrem Sinne ist, wenn ich in die Würdigung Ihrer Arbeit auch Ihre Partnerorganisationen in Syrien einschließe. Wie eng – ja quasi familiär sie miteinander verbunden sind, sagt ja schon das Wort Adopt, auf Deutsch „adoptieren“. Ihre PartnerInnen treten unter Einsatz ihres Lebens und das ihrer Familien für eine bessere und friedlichere Zukunft ihres Landes ein. Oft genug wurden auch Sie Zeuge, wie manche von ihnen in Syrien in Gefängnissen verschwanden, ihr Leben verloren oder fliehen mussten, weil ihre Arbeit zwischen den vielen Kriegsfronten zerrieben wurde.

Die Menschenrechtsanwältin Razan Zaitouna

Eine von Ihren PartnerInnen ist die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Razan Zeitouna, die Gründerin der der Union der Lokalen Koordinationskomitees. Razan Zeitouna versuchte, die vielen lokalen Initiativen, die sich infolge des Aufstandes 2011 gebildet hatten, unter einem Dach zusammenzufassen. Im Dezember 2013 wurde sie zusammen mit ihrem Mann Wael Hamada und zwei Freunden vermutlich von Salafisten aus Douma, einer Kleinstadt bei Damaskus, entführt.

AnwohnerInnen des Ortes und desertierte Soldaten hatten Douma im Oktober 2012 aus den Händen der syrischen Regierungs-Armee befreit. AktivistInnen wie Razan Zeitouna und ihre Freunde hatten gehofft, in den befreiten Gebieten Grundlagen für ein demokratisches Syrien legen zu können. Mit viel Engagement und Euphorie begannen sie, unter schwierigsten Bedingungen Lehrpläne für die örtlichen Schulen umzuschreiben. Sie gaben Zeitungen heraus, dokumentierten Menschenrechtsverletzungen des Regimes wie auch von Oppositionsgruppen und organisierten Wahlen für Stadträte. Razan gründete ein Frauenzentrum; man plante den Aufbau einer örtlichen Polizei und von unabhängigen Gerichten. Dabei war Douma von den Truppen des Regimes umstellt und komplett abgeriegelt. Es wurde täglich bombardiert und viele der BewohnerInnen hungerten.

Mit der Brutalität der syrischen Sicherheitsapparate gegenüber den AktivistInnen wuchs der Einfluss radikaler, islamistischer Gruppen, die von reichen Golfarabern unterstützt wurden, und denen die säkularen Ambitionen der zivilgesellschaftlichen AktivistInnen zunehmend ein Dorn im Auge waren. Bis heute weiß niemand, wo Razan Zeitouna ist und ob sie überhaupt noch lebt. Douma steht exemplarisch für die syrische Tragödie, die inzwischen in Form von hunderttausenden Flüchtlingen auch in Deutschland angekommen ist. Die meisten dieser Flüchtlinge flohen übrigens – wie Ihre Organisation kürzlich in einer Umfrage nachwies – vor dem Assad-Regime.

“2011 war Syrien ein weißer Fleck auf der Landkarte”

Als Adopt a Revolution im Herbst 2011 gegründet wurde, war Syrien – anders als das Urlaubsland Ägypten – für die meisten Menschen in Deutschland noch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Es war ein Land, das sich nach außen abgeschlossen hatte. Aber auch nach innen war Syrien verschlossen. Aus Angst vor den 16 Geheimdiensten traute sich niemand, seine politische Meinung offen zu sagen. Selbst SyrerInnen im Ausland schwiegen zu den politischen Verhältnissen in ihrem Land. Sie wollten in Syrien lebende Verwandte nicht gefährden.

Aber 2011 änderte sich alles. Im Januar 2011 besetzten hunderttausende Ägypter und Ägypterinnen den zentralen Tahrir-Platz in Kairo und forderten “Aish, Hurriya, Karama insaniya“: Brot Freiheit, Menschenwürde. Nachdem das Mubarak-Regime auf ihre Forderungen nicht reagierte, skandierten sie „al-shaab yurid Isqat al-nidham“: das Volk will den Fall des Regimes. Damals fieberten die Menschen in Deutschland vor den Bildschirmen mit ihnen. Auch in Syrien verfolgten die Menschen die Aufstände in Tunesien und in Ägypten. Auch sie wollten Brot; und noch mehr sehnten sie sich nach Freiheit und Menschenwürde.

Inspiriert von dem Sturz Ben Alis in Tunesien und Mubaraks in Ägypten schrieben Anfang März 2011 Schulkinder in der Stadt Deraa, im Süden Syriens, die Parole „das Volk will den Fall des Regimes“ an die Mauern ihrer Schule. Diese Parole hatten sie täglich in den Direktübertragungen der Satellitensender aus Tunis und Kairo gehört. Die Kinder wurden verhaftet und gefoltert. Als ihre Eltern vom Gouverneur von Deraa die Freilassung ihrer Kinder forderten, wurden sie verhöhnt. Ganz Deraa ging daraufhin auf die Straße.

Deraa wurde zum Fanal für den syrischen Aufstand. In den folgenden Monaten demonstrierten in ganz Syrien Menschen für politische Reformen. Und als das Regime mit Gewehrkugeln reagierte, forderten auch sie einen politischen Machtwechsel. Überall entstanden Volkskomitees, die die Proteste koordinierten und sich über Facebook und andere digitale Medien koordinierten. Jeder Freitag stand unter einem anderen Motto, über das die Aktivisten und Aktivistinnen im Internet abstimmten:

Der Freitag der Würde, der Freitag der freien Frauen, der Freitag der Märtyrer, der Freitag der Stämme, Azadi. Azadi ist kurdisch und bedeutet Freiheit. Damit wollten die AktivistInnen zeigen, dass auch die KurdInnen gleichberechtigter Teil eines zukünftigen demokratischen Syrien sein sollten. Im Juli 2011 demonstrierten allein in Hama 400.000 Menschen – faktisch die ganze Stadt. In Hama war 1982 ein Aufstand der Muslimbrüder blutig niedergeschlagen worden. Damals starben zwischen 10.000 und 35.000 Menschen.

Die wöchentlichen Slogans waren jedoch auch Zeugnis der wachsenden Frustration über das Schweigen des Auslandes gegenüber der Brachialgewalt, mit der das syrische Regime die Proteste niederschlug: Euer Schweigen tötet uns, hieß es an einem Freitag. Tod ist besser als die Demütigung, an einem anderen. Und nachdem das syrische Regime dazu überging tödliche Fassbomben über Demonstrationszügen und rebellische Dörfer abzuwerfen, wurden die Slogans zu Hilferufen wie an dem Freitag für eine Flugverbotszone.

“Adopt a Revolution hat nicht geschwiegen – im Gegenteil”

Adopt a Revolution hat nicht geschwiegen. Im Gegenteil: Wie kaum jemand anderes in Deutschland haben Sie versucht das Schweigen zu brechen und Unterstützung für die junge syrische Zivilgesellschaft zu mobilisieren. Im Frühjahr 2011 – genau zu der Zeit, als die ersten Demonstrationen in Syrien begannen – reiste Elias Perabo, ein junger Umweltaktivist, nach Beirut – eigentlich um sich einmal eine Auszeit zu gönnen. In Beirut lernte er Rami Nakhle, einen bekannten syrischen Blogger kennen. Rami schmuggelte seinen deutschen Freund ein paar Mal über die Grenze nach Syrien, wo Elias an mehreren Demonstrationen teilnahm. Er erlebte, wie sich junge SyrerInnen organisierten. Sie erklärten ihm, was sie brauchten. Gemeinsam mit Rami Nakhle entwickelte Elias daraufhin das Konzept für Adopt a Revolution.

Die Idee bestand darin, in Deutschland finanzielle und politische Patenschaften für einzelne Komitees zu organisieren. Die Komitees hatten sich inzwischen zu dem Netzwerk der Lokalen Koordinationskomitees zusammengeschlossen, deren Sprecherin Razan Zeitouna wurde, von der seit Dezember 2013 jede Spur fehlt. Durch die Patenschaften sollte nicht nur Transparenz geschaffen werden, sondern für die deutsche Solidaritätsbewegung sollten die Aktivisten und Aktivistinnen ein Gesicht bekommen. Dadurch sollten sich die deutschen Unterstützer besser in die schwierige politische, aber auch menschliche Situation der SyrerInnen hineinversetzen. Für die AktivstInnen in Syrien sollte eine kontinuierliche und verlässliche Unterstützung garantiert und das Gefühl der Isolation durchbrochen werden. Vielleicht hofften Sie auch, dass sich hieraus Kontakte entwickeln würden, die die Komitees später einmal beim Aufbau eines demokratischen Syriens begleiten würden.

Jedes Komitee erstellte eine Liste über monatliche Ausgaben, die über die Patenschaften gedeckt wurden: Für Kameras, um die Aktionen, aber auch die Menschenrechtsverletzungen des Regimes und später auch bewaffneter Rebellen zu dokumentieren; für Laptops und Handys; für Mieten, um Wohnungen anzumieten, in denen AktivistInnen, die vor dem Regime fliehen mussten, versteckt wurden. Manche Komitees brauchten auch Spenden für den Unterhalt von Familien von Gefangenen und Getöteten. Bedingung für die Unterstützung war, dass die Komitees am friedlichen Widerstand festhalten; dass sie keine Waffen kaufen; dass sie Menschen- und Minderheitenrechte achten und für Demokratie eintreten. Das Prinzip gilt für Sie bis heute.

Später kamen anspruchsvollere Projekte hinzu. So unterstützen Sie in Erbin und Deraa Initiativen, die Schulen aufbauen oder wieder in Betrieb nehmen. Damit soll verhindert werden, dass ganze Generationen ohne Bildung aufwachsen. Zugleich stellen diese Schulen eine Alternative zu den Koran-Schulen islamistischer Gruppen da. In dem Dorf Talbise und im kurdischen Manbej unterstützen Sie Medienzentren, die über Untergrundzeitschriften und eine Radiostationen eine Gegenöffentlichkeit herstellen und Informationen nach außen kommunizieren.

Als Sprachrohr der AktivistInnen nicht nur Freunde gemacht

Durch den direkten Kontakt zu den vielen Initiativen in ganz Syrien wurde Adopt a Revolution zu einem wichtigen Sprachrohr der demokratischen syrischen Revolution in Deutschland. Damit haben Sie sich nicht nur Freunde gemacht. 2014 wollte das Leipziger Finanzamt, wo Ihr Verein registriert ist, Ihnen die Gemeinnützigkeit sogar rückwirkend entziehen. Die Begründung lautete: der Verein verfolge politische Ziele und sei deshalb nicht förderungswürdig. Einige syrische AktivistInnen warfen Ihnen vor, durch die Ablehnung von Schutzzonen oder Flugverbotszonen die befreiten Gebiete dem Terror des Assad-Regimes auszuliefern.

Aber auch aus Reihen der Friedens-, Soldidaritäts- und antimilitaristischen Bewegung kam Kritik. Für Adopt a Revolution sei die Ablehnung militärischer Gewalt ein Lippenbekenntnis. In Wirklichkeit würden Sie durch die Unterstützung von Gruppen, die in der Nationalen Syrischen Koalition, mitarbeiten, einen bewaffneten Regimewechsel unterstützen. Zur Erklärung für die hier Anwesenden: Die Nationale Koalition ist das breiteste syrische Oppositionsbündnis, dem neben zivilen Organisationen – darunter die Lokalen Koordinationskomitees – eben auch die Freie Syrische Armee angehört, die von desertierten Soldaten gebildet wurde.

Tatsächlich steht Adopt a Revolution vor einem Dilemma. Sie mussten mit ansehen, wie einige der AktivistInnen der ersten Stunde sich angesichts der Gewalt des Regimes eine Kalaschnikow kauften und sich bewaffneten Gruppen anschlossen. Manche Komitees mussten erlebten, wie sich die Menschen von ihnen abwandten, weil sie nicht in der Lage waren, die Dörfer und Städte gegen die Fassbomben des Assad-Regimes zu verteidigen. Die Komitees in den Befreiten Gebieten arbeiten bei der Verteidigung ihrer Dörfer und der Organisierung des Alltags mit Einheiten der Freien Syrischen Armee und anderen bewaffneten Gruppen zusammen – manchmal besser, manchmal schlechter. Aus dem anfänglich friedlichen Widerstand ist ein Mix aus zivilen und gewaltsamen Formen des Widerstandes geworden.

Selbst Ikonen des friedlichen Widerstandes wie die mutige Razan Zeitouna, die Menschenrechtsanwältin, die unter Bashar al-Assad politische Gefangene verteidigte, die Aktivistin, die selbst dann noch, als islamistische Gruppen Douma kontrollierten, Projekte aufbaute und die sich weigerte, ihr Haar zu bedecken, haben die Existenz der Freien Syrischen Armee nicht prinzipiell infrage gestellt, sondern gefordert, dass sich der bewaffneten Arm der Opposition den zivilen Komitees unterordne.

Sich dem Dilehmma stellen

Adopt a Revolution hat sich diesem Dilemma gestellt. So heißt es in einer Stellungnahme von Ihnen: „Es ist ein Problem, zivilen Widerstand zu unterstützen, wenn sich die Partner nicht vom bewaffneten Widerstand abgrenzen, ja die Bewaffnung fordern.“ Sie haben sich zu einer Zeit entschieden, den zivilen Widerstand zu unterstützen, als die Freie Syrische Armee noch keine Rolle spielte. Und Sie weisen darauf hin, dass es nach wie vor zivile Gruppen gibt. Sie versprechen, alles dafür zu tun, dass die Fördermittel nicht zweckentfremdet eingesetzt werden. Wichtiger aber als das Geld ist Ihnen die symbolische Unterstützung. Denn – so schreiben sie: „Je mehr Beachtung und Unterstützung der zivile Widerstand findet, desto größer sind die Chancen, dass es nicht zu einem flächengreifenden Bürgerkrieg in dem Land kommt.“

Aber auch wir, die wir hier in Frieden leben, müssen uns fragen, ob es uns moralisch zusteht, AktivistInnen, die erlebt haben, wie ganze Familien von Fassbomben ausgerottet wurden oder die vom Islamischen Staat bedroht werden, das Recht auf Widerstand zu verweigern. Haben wir uns jemals Gedanken darüber gemacht, wie wir uns in einer solchen Situation verhalten würden? Haben wir den syrischen AktivistInnen Alternativen anzubieten?

“Haben wir den AktivistInnen Alternativen anzubieten?”

An dem Tag, an dem Douma mit Giftgas angegriffen wurde, wurde Razan Zeitouna Zeugin, wie verzweifelte Eltern nach den Leichen ihrer Kinder suchten. Sie traf Ärzte, die weinend zusehen mussten, wie ihre Patienten starben, weil ihnen die Medikamente fehlten. Sie schrieb in ihr Tagebuch: „Ich versuche immer wieder in Zeitlupe den Tag noch einmal vor meinen Augen zu rekonstruieren in der Hoffnung in Tränen ausbrechen zu können, wie es normale Menschen tun würden. Ich bin entsetzt über dieses Gefühl von Betäubung in der Brust, dieses Durcheinander von Bildern, die sich in meinem Kopf bewegen. Dies ist doch keine normale Reaktion nach einem Tag, an dem ich über Körper gestiegen bin, die in langen Korridoren Seite an Seite aufgereiht waren, eingerollt in weißes Leinen und alte Wolldecken, die nur die blau angelaufenen Gesichter freilassen, mit getrocknetem Schaum vor dem Mund, der sich manchmal mischt mit einem Rinnsal von Blut.“ Soweit das Zeugnis von Razan Zeitouna.

Nicht nur durch die Militarisierung und das Schüren konfessioneller Gegensätze verlieren die Konfliktlinien an Konturen. In Syrien werden viele regionale Stellvertreterkriege geführt: Zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, zwischen sunnitischen und schiitischen Extremisten, zwischen der Türkei und der PKK – um nur einige zu nennen. Hinzu kommt die globale Konkurrenz um Einflusssphären. Und keine der beteiligten Konfliktparteien hat ein Interesse an der Demokratiebewegung – im Gegenteil: Alle scheinen sich verschworen zu haben, die weitere Ausbreitung der demokratischen Utopie in der Region zu verhindern. Es gibt heute sogar Stimmen, die das Assad-Regime zum Partner im internationalen Kampf gegen den Islamischen Staat machen möchten. Sie übersehen, dass die Gewalt des einen, die Gewalt des anderen bedingt. In den ersten Monaten des Aufstandes hatte das Assad-Regime die meisten Jihadisten aus seinen Gefängnissen freigelassen mit dem Auftrag, die Revolution zu infiltrieren. Bis Ende 2014 kämpfte weder der Islamische Staat gegen das Assad-Regime, noch das Assad-Regime gegen den Islamischen Staat. Beide richteten ihre Waffen gegen die demokratische syrische Opposition.

Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbak beschreibt in ihrem Buch „Die gestohlene Revolution“ IS-Jihadisten, die sie an der Grenze zu Syrien beobachtet hat: „Jetzt kam zu dem hasserfüllten despotischen Assad-Nihilimus noch ein religiöse Selbstmord-Nihilismus hinzu, der im Tod eine Erweckung des Lebens sah. Doch der erste Nihilismus war die Mutter des zweiten.“ So Samar Yazbak.

Ist unter den Bedingungen der Verselbständigung der Gewalt, der wachsenden konfessionellen Spaltungen eine demokratische Lösung in Syrien überhaupt noch denkbar? Viele Stimmen sind pessimistisch. Der syrische Philosoph Sadiq al-Azm glaubt, dass es für die Unterstützung eines zivilen Entwicklungsweges zu spät ist. Das Wechselspiel zwischen Aufstand und Unterdrückung des Aufstandes hätten sich verfestigt und viele junge Leute hätten sich radikalisiert. Der Ökonom Arif Dalila, einer der Wortführer des viel zu kurzen Damaszener Frühlings von 2000, zweifelt gar daran, dass es jemals wieder ein Syrien geben wird, so wie man es kannte.

Und trotzdem formieren sich immer wieder aufs Neue zivilgesellschaftliche Netzwerke. Vor Beginn der Revolution gab es ein paar hundert Vereine. Die meisten von ihnen wurden vom Regime kontrolliert. Heute, im 5. Jahr des Aufstandes, gibt es mehr als 5.000. Bis heute demonstrieren die Menschen in Kafr Nabel, die durch ihre Karikaturen weltweit berühmt geworden sind, mit immer neuen Bildern: in den letzten Wochen prangerten sie die Bombardierung ihrer Dörfer durch russische Flugzeuge an. Auch in den vom Regime kontrollierten Gebieten organisieren Menschen die Versorgung von Binnen-Flüchtlingen und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen. Selbst in den vom Islamischen Staat besetzten Gebieten agieren zivile Widerstandsgruppen im Untergrund und erinnern an das Schicksal von Millionen von Menschen, die zur Geisel des IS geworden sind. So dokumentiert eine Gruppe mit dem Namen Raqqa wird im Stillen geschlachtet unter Einsatz ihres Lebens die Verbrechen der selbsternannten Emire, aber auch die Folgen der Bombardements der internationalen Anti-IS-Koalition für die Zivilbevölkerung. Erst kürzlich wurden zwei von ihnen hingerichtet.

Es ist diese Zivilgesellschaft, an deren Seite Sie – Herr Hassaf, Frau Bischoff und Sie Herr Dürr – all die Jahre standen. Sie haben die Gründung zivilgesellschaftlicher Zentren unterstützt, in denen sich Angehörige verschiedener konfessioneller, religiöser und ethnischer Gruppen begegnen und wo sie über Wege zu einer offenen und toleranten Gesellschaft debattieren können. Kürzlich veröffentlichten Sie den Aufruf von Nicht-Regierungsorganisationen in Syrien, die bedingungslose Verhandlungen aller Konfliktparteien unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft fordern. Planet Syrien nennt sich die Initiative. Die syrischen AktivistInnen rufen die internationale Zivilgesellschaft dazu auf, den Friedensprozess gemeinsam mit ihnen zu begleiten, damit ihre Stimme auch außerhalb Syrien gehört wird.

Hat eine solche Initiative eine Chance gegen den Absolutheitsanspruch des Islamischen Staates, gegen die Barbarei des Assad-Regimes, gegen Radikalisierung verzweifelter Menschen und gegen die Interessen all der Länder, die in den Konflikt involviert sind? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass es in der Geschichte immer wieder Menschen gab, die auch in dunkelsten Zeiten die Hoffnung nicht verloren haben. Der Maler und Kommunist Matisse wurde während der deutschen Besatzung Frankreichs von Widerstandskämpfern kritisiert, weil er trotz des Krieges und der Gewalt der Nazis nicht aufhörte, schöne Bilder zu malen. Er male das Schöne, für das es zu kämpfen gilt, war seine Antwort. Adopt a Revolution hat seit 2011 an der Unterstützung einer demokratischen und friedlichen Utopie für alle Syrer – unabhängig von konfessioneller und ethnischer Zugehörigkeit – festgehalten, selbst dann noch, als einige der Protagonisten dieser Utopie selber daran zu zweifeln begannen. Sie haben dazu beigetragen, dass das Licht dieser Utopie nicht verlosch. Sie haben den AktivistInnen in Syrien das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein und sie dazu ermuntert, die Hoffnung nicht aufzugeben. Und sie haben Zeichen für die Politik gesetzt, die – sei es aus Gleichgültigkeit, Unwissenheit oder Desinteresse – in der Syrien-Krise kapituliert hat. Dafür möchte ich Ihnen im Namen aller hier Anwesenden danken.

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Die Zitate sind folgenden Werken, Artikeln oder Interviews entnommen:

  • Pollmeier, Andrea (2014): Nichthandeln verschärft Konflikt in Syrien. Interview mit Sadik J. Al-Azm. In Bender, Larissa (Hg.): Innenansichten aus Syrien. Frankfurt: Edition Faust. S. 19-28.
  • Yazbak, Samar (2014): Die gestohlene Revolution. Reise in mein zerstörtes Syrien. München: Nagel und Kimche.
  • Zeitoune, Razan: A Search for Loved Ones Among Mass Graves. In NOW, 23.08.2013. Abrufbar unter: https://now.mmedia.me/lb/en/reportsfeatures/a-search-for-loved-ones-between-mass-graves2

Die Nachrichten der Initiative Raqqa wird im Stillen geschlachtet kann man über ihre Webseite (http://www.raqqa-sl.com/?cat=1) oder ihre Facebook-Seite verfolgen (https://www.facebook.com/Raqqa.Sl). Die Menschen von Kafr Nabel stellen bis heute regelmäßig neue Karikaturen ins Netz, die man sich auf ihrer Facebook-Seite angucken kann unter: https://www.facebook.com/kafrnbl. Der Hilferuf von Planet Syrien und die Dokumentation der Kampagne findet man auf ihrer Webseite: https://www.planetsyria.org/de

Ivesa Lübben ist Politikwissenschaftlerin am Centrum für Nah- und Mitteloststudien (CNMS) der Philipps Universität Marburg.

dieschwelle2

Im folgenden dokumentieren wir die Dankesworte von Alan Hassaf von Adopt a Revolution, der seine eigene Vergangenheit als Aktivist der syrischen Studierendenbewegung anreißt, das Wegsehen Europas und der Welt anspricht und auf die Wichtigkeit der demokratischen Bewegung in Syrien eingeht.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Ivesa, liebe Stiftung die schwelle,

bereits vor 2011 setzte ich mich in Syrien als Aktivist gegen die Diktatur ein. Für eine Veranstaltung, bei der wir nichts anderes forderten, als Pressefreiheit, wurde ich verfolgt und festgenommen. In dem Gefängnis in dem ich verhört wurde, wurden hunderte, wenn nicht tausende andere gefoltert. Ich selbst hatte das Glück, nach fünf Tagen entlassen zu werden.

Wäre ich bis dahin nicht überzeugt gewesen, dann spätestens nach diesen fünf Tagen: Die Assad-Diktatur muss fallen.

Zehntausende SyrerInnen machten noch schlimmere Erfahrungen – und kamen zum gleichen Schluss. Das syrische Volk forderte friedlich den Sturz des Regimes – dieser Bewegung schloss ich mich an. Mit einer Studierendenorganisation im Untergrund brachten wir die Demonstrationen in die Zentren der Städte: Wir demonstrierten vor der Ummayyaden-Moschee in Damaskus und in der Altstadt von Aleppo. Das reichte dem Regime als Provokation, auf die sie mit Mord, Festnahmen und Folter reagierte.

Seit die Assad-Familie 1970 die Macht an sich riss, war genau dies die Strategie des Regimes: Es herrschte mit Kontrolle, mit Angst, mit Unterdrückung. Doch 2011 verloren die Menschen ihre Angst – aber die Kontrolle blieb, die Unterdrückung nahm sogar noch zu. Das Regime ließ die Gewalt eskalieren. Es setzte Chemiewaffen ein, belagert bis heute städtische Wohngebiete, um Anwohner auszuhungern und wirft täglich Fassbomben auf zivile Ziele ab. Das Regime tötet mit wachsender Geschwindigkeit.

Was tat die Welt unterdessen? Was tat Europa, der Kontinent der Demokratie und Menschenrechte? Die Welt schaute weg, Europa übersah Syrien einfach. Diese Strategie des Wegsehens eröffnete dem dschihadistischen Terror den Raum, den er für sein Wachstum brauchte. So wie Assad vorher Zivilisten töten ließ, machen es nun die Dschihadisten – mit dem Unterschied, dass dieser Terror nun auch in Europa ankommt.

Dieser Terror zwingt Europa und den Rest der Welt endlich zur Reaktion. Genauso, wie die Flüchtlinge diese Reaktion erzwingen, die nach fünf Jahren der Katastrophe hierher fliehen. Endlich kann Europa Syrien nicht mehr ignorieren – doch leider nur im kurzsichtigen Eigeninteresse und leider zielt es nur auf eins der beiden Übel ab: Die dschihadistsichen Terroristen, während das Assad-Regime, die Ursache der syrischen Krise, in Ruhe gelassen wird, obwohl es täglich weiter tötet.

Doch was wir nicht übersehen dürfen: Inmitten von Alldem – dem Krieg, der Zerstörung, dem Leiden – gibt es zivile AktivistInnen, die für ihre Zukunft streiten, für unsere, für die syrische Zukunft. Sie bauen bereits jetzt an der Basis für eine bessere Gesellschaft, basierend auf Demokratie und Menschenrechten. Mit ihren Projekten geben sie den Menschen das Recht, in Syrien zu bleiben, und verhindern damit, dass noch mehr Menschen fliehen müssen.

Als Adopt a Revolution glauben wir noch immer an diesen zivilen Aktivismus. Wir glauben noch immer, dass zivile Aktivitäten das Rückgrat für jegliche positive Entwicklung in Syrien darstellen müssen. Doch damit diese AktivistInnen in der Lage sind, in der Zukunft ihre Rolle zu spielen, brauchen sie unsere Unterstützung – und zwar jetzt!

Liebe Stiftung schwelle, sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte Ihnen für den Bremer Friedenspreis danken! Ich danke Ihnen sowohl persönlich als auch im Namen von Adopt a Revolution. Und ich danke Ihnen im Namen derer, die sich noch immer mit zivilen Mitteln gegen die Diktatur genauso wie gegen den IS-Terror stellen.

Bevor ich ende, möchte ich als Syrer noch an Sie appellieren: Bitte schauen Sie weiter auf Syrien. Bitte lassen Sie uns nicht im Stich. Herzlichen Dank!

Seit 2011 unterstützt Adopt a Revolution die friedliche Zivilgesellschaft bei ihrer Arbeit, eine demokratische Basis inmitten von Krieg und Zerstörung aufzubauen. Helfen Sie mit – spenden Sie für zivilgesellschaftliche Projekte in Syrien und helfen Sie uns und unseren ProjektpartnerInnen, diese Arbeit weiterzuführen!

Jetzt Zivilgesellschaft stärken!

Herzlichen Dank!