Im kleinen Nachbarland Libanon finden die Syrer Zuflucht. Sie werden von Hilfsorganisationen mit dem Nötigsten versorgt. Ihre Zukunft ist ungewiss.
BEKAA – „Ich bin dankbar, allen die uns helfen. Aber schau, wie wir hier leben müssen!“ sagt Umm Mahmoud, mit verzweifeltem Blick, als sie ihre Behausung in Libanons fruchtbarer Bekaa-Ebene präsentiert. Sie wohnt jetzt mit ihren vier Kindern, allesamt jünger als zehn Jahre, und ihrem Mann in einem bescheidenem beigefarbenem Gebäude – einem verlassenen Hühnerstall, in dem schon seit langem kein Geflügel mehr über den unverputzten Boden scharrt. „Das hier war selbst für die Tiere nicht mehr zumutbar“, sagt sie.
Umm Mahmoud gehört zu den Flüchtlingen, rund 150 Familien, die in den vergangenen Wochen in der Gegend um das Dorf Jadeit al-Faki Obdach gefunden haben. Die regionale Verwaltung hat schnell und unbürokratisch reagiert, auch Schulen und andere Gebäude für die Syrer freigegeben.
Nun liegen ein paar Matratzen auf dem Boden. Pappe deckt die Löcher der kaputten Wellblechdächer notdürftig ab. Die Fugen zwischen den Steinen lassen die Sonne durchscheinen. Noch. Was aber. wenn sich die Kämpfe in Syrien noch länger hinziehen und die Familie nicht in die Heimat zurückkehren kann? Ab Oktober sinken hier die nächtlichen Temperaturen unter Null, ab Dezember fällt Schnee, der gewöhnlich rund drei Monate lang liegen bleibt. Dann steigen auch die Tagestemperaturen kaum mehr über den Gefrierpunkt.
„Ich kann nur jeden Tag glücklich über mein Leben sein, an die Zukunft kann ich nicht denken, was soll das werden, unser Haus wurde vor sechs Monaten zerstört“ erzählt sie und kann die Tränen nicht mehr unterdrücken. Ihr Mann habe zum Glück Arbeit als Erntehelfer gefunden, berichtet Umm Mahmoud: „Aber mehr als sieben US-Dollar pro Tag kann er nicht verdienen, man kann hier nur fünf Stunden pro Tag arbeiten, dann wird es zu heiß“.
Sie trägt eine lange Hose, ein billiges schwarzes Polyestherkopftuch und eine ebensolche Abbaya, wie das traditionelle lange Gewand konservativer Musliminnen genannt wird, und blickt mit Tränen in den Augen auf ihre fröhlich in der Hitze herumtollenden Kinder. Sie weiß, dass sie angesichts der Umstände in ihrer Heimat, dem Ort Quseir nahe der Rebellenhochburg Homs, dankbar sein muss.
Ihr Nachbar Abu Tarek ist deutlich besser gestellt. Auch er floh vor der Gewalt aus Quseir mit seiner Frau und den neun Kindern. Er bezeichnet sich als „so unpolitisch, wie man in Syrien gewesen sein sollte“, wenn man Ruhe vor dem Regime haben wollte. Der Präsident sei nun einmal dagewesen, und es sei, sagt er, bis vor anderthalb Jahren eigentlich allen Syrern klar gewesen, dass „bei uns kein ‚arabischer Frühling‘ Einzug halten würde“.
Tagelang zu Fuss auf der Flucht
Abu Tarek war zufrieden mit seinem Leben, er hatte es Dank der neuen ökonomischen Freiheiten, unter der Syriens Wirtschaft seit der Reform einiger Gesetze 2004 gedieh, zu einer eigenen Autowaschanlage gebracht. Als ein Panzer der staatlichen syrischen Armee die im Erdgeschoss liegende Waschanlage und die darüber liegende Familienwohnung beschoss und zerstörte, floh er mit seiner Familie in den Libanon. Damals, im Januar, war die elfköpfige Familie tagelang zu Fuss unterwegs, im Schnee. Zum Glück hatte er genügend Geld gespart und konnte sich und seiner Familie so ein geräumiges leerstehendes Landhaus mieten.
Abu Tarek ist Sunnit. Er versucht den Ramadan einzuhalten, ist aber trotzdem wie so viele Syrer dieser Tage zum Kettenraucher geworden (was während des Heiligen Monats natürlich untersagt ist). Jetzt arbeitet er eng mit der katholischen Caritas und freiwilligen Helfern verschiedener christlicher Sekten in Bekaa zusammen. Er hilft bei der Registrierung der Flüchtlinge, einem mittlerweile schon gut eingespielten Procedere zwischen dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), den Ärzten ohne Grenzen, Medico International, dem Internationalen und dem Libanesischen Roten Kreuz und dem Roten Halbmond. Je nach Region sind weitere internationale und lokale Hilfswerke dabei.
Die Flüchtlinge müssen unbewaffnet sein. Sonst gäbe es keine Hilfe. „Dann überprüfen wir ihre Papiere und versuchen so gut wie möglich auszuschließen, dass gewaltbereite oder auch regimetreue Syrer dabei sind“, erklärt Abu Tarek. Jeder, der sich an ihn oder das UNHCR wendet, erhält einen Essensgutschein im Wert von 30 US-Dollar pro Monat, pro Kopf, auch für die Kinder. Aber nicht alle wollten sich registrieren lassen.
Viele hätten Angst vor der schiitischen Hisbollah, die immer noch zu Präsident al-Assad steht, und über einen hervorragenden Geheimdienst verfügt. Immer wieder machen Gerüchte die Runde, dass sunnitische Syrer misshandelt und getötet werden, doch Abu Tarek als respektierter Organisator freut sich darüber, dass er das bislang dementieren kann, und über die Zurückhaltung der Schiiten. „Wir haben doch alle schon so viel Angst, schlimmste Erinnerungen im Kopf, Angst um unsere Freunde und die Familienmitglieder, die es noch nicht raus geschafft haben“, berichtet er, „zum Glück ist bisher hier noch nie etwas passiert.“
Die vielen schulpflichtigen syrischen Kinder haben nach den Sommerferien offiziell noch die Möglichkeit, in reguläre lokale Schulen zu gehen, doch da allein in der vergangenen Woche rund 26.000 Syrer neu in den Libanon gekommen sind, wird sich bald die UN um die Beschulung kümmern.
Alle zwei Wochen kommt das mobile Krankenhaus
Das Internationale Rote Kreuz verteilt auf seinen regelmäßigen täglichen Touren über das weitläufige Gebiet voller alter, nun durch Menschen bewohnten Hühnerfarmen, Hygieneartikel und bringt Verwundete und Kranke in die umliegenden Krankenhäuser.
Das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen kommt alle 15 Tage mit einem mobilen Krankenhaus durch die Ebene gefahren, um direkt vor Ort zu behandeln. Die Organisationen bezahlen auch kostspielige Operationen für Verwundete Rebellen der Freien Syrischen Armee. Samar el-Kadi, Pressesprecherin des Internationalen Roten Kreuzes in Beirut, beschreibt es so: „Es ist uns egal, ob jemand Pro-Regime war, für den Aufstand, ob er ein flüchtender verletzer Rebell oder es ein Kind ist, das seine Eltern verloren hat. Wir kümmern uns um alle, und diese alle werden stündlich sehr viel mehr. Eine Krankenstation haben wir direkt an der libanesisch-syrischen Genze aufgebaut, die Umstände erfordern besondere Maßnahmen.“
Gastbeitrag von CNN award Gewinnerin, taz- und Buchautorin Jasna Zajcek. Auch erschienen auf taz.de.