„Allahu akbar – Gott ist groß!“ ist einer der häufigsten Ausrufe auf Youtube-Videos aus Syrien. Immer dann, wenn Unglaubliches oder Überraschendes passiert, ist der Ruf zu hören. Mit Islamismus hat das wenig zu tun, denn landläufig bedeutet er nicht mehr als „Gott sei Dank“ oder situationsbedingt „Gott sei mit uns“. Auch Kommunisten haben ihn im Vokabular.
Unter den AktivistInnen der Lokalen Koordinierungs- und Revolutionskomitees finden sich kaum IslamistInnen. Das gleiche gilt das Nationale Koordinierungskomitee, ein Oppositionsbündnis alter linker Parteien.
Anders sieht es in der Exilopposition aus.
Denn während die säkulare Opposition in der Diktatur in sehr engen Grenzen geduldet wurde, auch wenn sie ständig mit Verhaftungen und Gefängnisstrafen rechnen musste, gab es für IslamistInnen keinerlei Toleranz. Im Jahr 1980 wurde allein die Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft unter Todesstrafe gestellt. Spätestens nach den Massakern 1982 in der Stadt Hama, bei denen Schätzungen zufolge bis zu 40.000 Menschen ums Leben kamen, gingen die meisten aktiven Mitglieder ins Exil, wo sie eine funktionsfähige Struktur aufbauten. Von ihrer Seite standen deshalb zahlreiche Politiker bereit, als es darum ging, den Syrischen Nationalrat als Auslandsvertretung der Revolution zu gründen.
Da politische Versammlungen verboten sind, sind Moscheen häufig der Ausgangspunkt für Demonstrationen. Entsprechend haben sich muslimische Geistliche früh mit der Revolution solidarisiert und ihre Gebetshäuser zur Verfügung gestellt. Mit Moaz al-Khatib wurde zudem der ehemalige Imam der Omayyaden-Moschee in Damaskus zum ersten Präsidenten der „Nationalen Koalition“, der neuen Vertretung der Opposition, gewählt. Allerdings stehen ihm mit der Menschenrechtsaktivistin Suhair al-Attasi und dem liberalen Unternehmer Riyad Seif zwei säkulare Vizepräsidenten zur Seite.
Wie groß die Zustimmung für die Islamisten in der Bevölkerung ist, kann mangels Meinungserhebungen schwer festgestellt werden. Der Blick auf andere arabische Revolutionsländer zeigt, dass keineswegs generell von einem Siegeszug der Islamisten gesprochen werden kann. Während in Ägypten Muslimbrüder und Salafisten zusammen 60 Prozent der Stimmen bekamen, gingen sie aus den Wahlen in Libyen als Verlierer hervor. Auch in Tunesien, wo moderate Islamisten mit Sozialdemokraten regieren, entfielen über 60 Prozent der Stimmen auf säkulare Parteien.
Sorge bereitet in Syrien die wachsende Zahl extremistischer Rebellengruppen. Nach der Gründung der „Nationalen Koalition“ lehnten 14 FSA-Brigaden ihre Anerkennung ab und forderten stattdessen einen islamischen Staat. Doch solche Ansichten finden wenig Zustimmung in der Opposition, zumal viele dieser Brigaden Kämpfer aus anderen Ländern rekrutieren. Allerdings sind letztere gut bewaffnet. Je wichtiger das militärische Element wird und je mehr solche fremden Kämpfer nach Syrien einsickern, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie nach dem Sturz Assads politisches Kapital aus ihrem Einsatz schlagen können.
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