Konterrevolutionäre im Westen – Wie mediale Reflexe die Revolution diskreditieren

Anmerkung von Adopt a Revolution: Der folgende Artikel spiegelt nicht die Meinung des Projekts wieder, sondern ist ein Gastbeitrag von Roman. Leider hatten wir es zuvor versäumt, dies deutlich zu kennzeichnen. Künftig werden wir bei der Auswahl der Blogbeiträge sorgfältiger sein und sie deutlicher kennzeichnen. Der These des Artikels, dass militärische Abschreckung einen positiven Effekt […]

Anmerkung von Adopt a Revolution: Der folgende Artikel spiegelt nicht die Meinung des Projekts wieder, sondern ist ein Gastbeitrag von Roman. Leider hatten wir es zuvor versäumt, dies deutlich zu kennzeichnen. Künftig werden wir bei der Auswahl der Blogbeiträge sorgfältiger sein und sie deutlicher kennzeichnen.
Der These des Artikels, dass militärische Abschreckung einen positiven Effekt auf den Erfolg der unbewaffneten Proteste in Syrien haben könnte, stimmt die Initiative nicht zu und hat dies bereits in der Vergangenheit mehrfach verneint (nachzulesen hier). Auch in der Frage, welche Optionen dem Widerstand aktuell bleiben, bezieht Adopt a Revolution klar eine andere Position, wie in diesem Kommentar für die Tageszeitung taz beschrieben haben.

——————————————————————-

Die Lage in Syrien ist im Juli 2012 so verfahren, dass niemand mehr zufrieden ist mit der Situation. Dem Regime entgleitet zunehmend die Kontrolle über das Land, aber auch die Opposition hat keinen Grund zur Freude. Die Frage nach einer ausländischen Militärintervention spaltet sie und jede Seite kann gute Argumente für sich verbuchen. Die Befürworter erhoffen sich von einer Intervention ein schnelles Ende des Blutvergießens, das in der letzten Woche ein auch für Syrien bisher unbekanntes Ausmaß angenommen hat. Die Gegner befürchten noch mehr Tote Zivilisten als Folge von Luftangriffen und sehen in Waffenlieferungen eine schwere Hypothek für das post-revolutionäre Syrien. Von welcher Seite die momentanen Verhältnisse auch betrachtet werden, eine ideale Lösung gibt es nicht.

Dass es zu dieser Zwangslage gekommen ist liegt auch an der Haltung des Westens gegenüber dem Regime von Bashar al-Assad. Sicher Syrien liegt anders als Libyen im Zentrum der so genannten arabischen Welt und ist ein wichtiger Baustein in der regionalen Machtstruktur. Und sicher ist eine Intervention aus militärischer Sicht sehr schwierig und schlecht zu planen. Große Mittel müssten aufgebracht und die Leben zahlreicher ausländischer Soldaten gefährdet werden. Zudem besteht die Gefahr einer weiteren regionalen Eskalation, die den Libanon und Israel und sogar auch den Iran beeinträchtigen könnte. Das Alles sind gute Gründe nicht militärisch in Syrien zu intervenieren. Dennoch haben die Führer der mächtigsten westlichen Staaten einen Fehler gemacht, als sie ein militärisches Eingreifen von vornherein strikt ablehnten. Das Assad-Regime musste und muss bis heute zu keiner Zeit mit ernsthaften und zeitnahen Konsequenzen für die brutalen Morde an seiner Zivilbevölkerung fürchten. In diesem politischen Weltklima hat es seinen schlimmsten Schergen freie Hand gegeben. Gefahr droht ihm nur noch vom bewaffneten Teil der Aufständischen. Die gemeinhin als Freie Syrische Armee (FSA) bezeichneten Milizen wären ohne die Waffenlieferungen einiger Golfstaaten hoffnungslos unterlegen. Was seit fast 16 Monaten in Syrien passiert ist für die menschliche Zivilisation im 21. Jahrhundert zutiefst beschämend. Es wäre einfach für den Westen gewesen eine größere Abschreckung aufrecht zu erhalten.

Es ist klar, dass nicht allein militärische Überlegungen den Ausschlag gegeben haben. Die Region ist schon seit Jahrzehnten viel zu sehr politisiert und ideologisiert, vor Ort und in der westlichen Sicht. Mehrere Faktoren haben dazu geführt, dass sich das Assad-Regime noch heute weitgehend unbehelligt an der Niederschlagung des Aufstands versuchen darf.

Stellenweise große Nähe zwischen westlicher Berichterstattung und Regimepropaganda

Medienschelte ist einfach und populär wie billig. Daher soll hier ein fairer Umgang vorherrschen. Allerdings fällt auch nüchtern betrachtet ins Auge, dass sich die Sichtweisen westlicher Berichterstattung mit der des Regimes in Teilen erstaunlich gut decken. Sicherlich muss anerkannt werden, dass die Nachrichtenlage sehr unübersichtlich ist. Unabhängige Journalisten durften lange nicht offiziell ins Land. Seitdem die FSA bestimmte Teile des Landes aber dauerhaft kontrolliert hat sich die Situation etwas verändert. Trotzdem sollte sich jeder Medienschaffende bewusst sein, welche Gefahr – ganz abgesehen von der Verpflichtung zur Neutralität, die natürlich in beide Richtungen gilt – sich aus der wenn auch vielleicht unbewussten Übernahme von Propaganda eines menschenverachtenden Regimes ergibt.

Deutlich wird das etwas an der Diskussion um die Beteiligung internationaler Djihadisten am Aufstand in Syrien. Es wäre unglaubwürdig deren Anwesenheit zu leugnen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon machte al-Qaida nahestehende Täter etwa für Anschläge in Damaskus im Mai 2012 verantwortlich. Radikale Islamisten versuchen das Chaos des Bürgerkrieges für ihre Zwecke zu nutzen. Aber nicht alle Autobombenanschläge werden von Islamisten verübt. Die syrische Opposition hat darauf hingewiesen, dass das Regime selbst Anschläge inszeniert hat, um die Aufständischen in Verruf zu bringen und das Volk hinter sich zu einen. Deserteure der syrischen Armee haben bei ihrem Übertritt Belege für dieses Vorgehen der Regierungstruppen gesichert.
Die große Präsenz islamistischer Terroristen in den westlichen Medien und die Ängste der hiesigen Bevölkerungen vor dem Islam als der großen Unbekannten bereiten einen fruchtbaren Boden für die Vorstellung der gesamte Aufstand sei inzwischen von Islamisten dominiert, die einen Gottesstaat in Syrien errichten wollen. Hier befinden wir uns genau in der Sichtweise und Sprachregelung des Regimes. Von Beginn an wurden alle, die gegen Assad waren als Terroristen abgestempelt, die zu bekämpfen es Recht und Pflicht der Regierung sei. Friedliche Demonstranten und Aktivisten wurden und werden auf diese Weise verunglimpft. Der Islam ist im Westen heute allgemein der Rückständigkeit und Brutalität verdächtig. Ängste zu schüren fällt daher nicht schwer. Die Propaganda des Regimes ist im Grunde aus eigener Sicht sehr effektiv und erfolgreich. Das beruht nicht zuletzt auf einer genauen Beobachtung westlicher Mediendiskurse durch Assad und seine Berater. Aufsehen erregte die aufgeflogene Verbindung einer Assad-Getreuen zu hochkarätigen us-amerikanischen Journalisten. Die langjährige ABC News Korrespondentin Barbara Walters hatte im Dezember 2011 ein exklusives Interview mit dem syrischen Präsidenten geführt. Damals hatte Assads Medienberaterin Sheherazad Jaafari beim Zustandekommen des Gesprächs geholfen. Als Gegenleistung hatte Walters im Anschluss versucht Jaafari mit einem Praktikum bei einem us-amerikanischen Nachrichtenkanal und einem Studienplatz an der Columbia-University zu versorgen.

Gerade angesichts der Professionalität der Medienstrategie des syrischen Regimes dürfen westliche Journalisten sich nicht zu Handlangern dieser Propagandamaschine machen. Genau das passiert aber immer wieder. Drei relativ prominente Beispiele sollen dafür als Beleg gelten.

Berichterstattung in der FAZ über das Massaker in al-Houla
Ende Mai 2012 wurde im zentralsyrischen Dorf al-Houla ein Massaker verübt, bei dem über 100 Menschen getötet wurden, unter ihnen viele Kinder. Die Bluttat erregte weltweit aufsehen und zog ein Debatte über die Identität von Opfern und Tätern nach sich. Anfang Juni 2012 veröffentlichte Rainer Hermann in der FAZ mehrere Artikel, in denen er die Möglichkeit nahe legte der Angriff sei von oppositionellen Kämpfern ausgegangen und wäre ein Vergeltungsakt an regimetreuen Bewohnern gewesen. Dabei stützt er sich weitgehend auf die Aussage der Nonne Agnès-Maryam aus einem Jakobskloster. Leider hat er bei seiner Recherche übersehen, dass Äußerungen eben dieser Nonne zuvor schon offenbarten wie sehr sie dem syrischen Präsidenten in der Einschätzung der Lage im Land ähnelt. Agnès-Maryam ist daher keine neutrale Beobachterin, wie Hermann es in seinem Artikel behauptet.

Das alte Bild Baschar al-Assads wirkt nach
Für die USA war Syrien wegen seiner gepflegten Feindschaft zu Israel und der engen Beziehung zum Iran schon seit langer Zeit ein “Schurkenstaat”. Aber es gab auch im Westen eine andere Sichtweise auf das Regime. Gerade der Übergang von Hafez auf Baschar al-Assad weckte die Hoffnung der Sohn könnte mit der diktatorischen Tradition des Vaters brechen. Viele Politiker und Journalisten – so muss es aus heutiger Sicht festgehalten werden – täuschten sich in dem neuen Präsidenten. Und es scheint, als taten sie dies wider besseres Wissen und aus politischen und ideologischen Gründen. Die zwischenzeitliche Annäherung Syriens und des Westens war im Kern richtig. Es wäre ein großer Erfolg gewesen Syrien durch politische Anreize aus der anti-israelischen Allianz mit dem Iran zu lösen. Manch einer muss sich aber doch vorwerfen lassen zu lange an den alten Sichtweisen festgehalten zu haben. Dadurch hat sich Syrien in den ersten Monaten ungehindert in Richtung der ausweglosen Lage von heute bewegt. Noch im Winter 2011 berichtet etwa Jürgen Todenhöfer, einst deutscher Politiker und heute Autor, in einem in der ARD ausgestrahlten Bericht über den Arabischen Frühling sehr kritisch über die Oppositionsbewegung und dafür recht wohlwollend über den Präsidenten. Er lässt Assad ausführlich zu Wort kommen und äußert ausdrücklich Sympathie für dessen “Reformschritte”. Das Ergebnis dieser Reformen kann jeder heute klar erkennen: Noch mehr Tote, Verletzte, Gefangene, Gefolterte und ein Land im Bürgerkrieg. Viel zu lange haben Teile der westlichen Eliten gebraucht um zu erkennen, dass Assad eben doch nur ein gewönhlicher nahöstlicher Diktator wie Mubarak oder Ben Ali ist. Leute wie Todenhöfer lassen sich wohl von vermeintlicher Eloquenz und Charisma Assads blenden, oder sie hängen einem romantisch-orientalistischen Bild des guten Despoten nach.

Regimefreundliche Berichterstattung auch in westlichen Medien
Stutzig macht auch immer wieder die Lektüre der Berichterstattung von Karin Leukefeld. Die freie Journalistin berichtete unter anderem für die ‘Junge Welt’ und das ‘Neue Deutschland’ aus Syrien. Dabei konnte sie sich auch zu einer Zeit noch relativ frei im land bewegen, als andere westliche Kollegen Einreise und Arbeit bereits verboten war. Auffallend ist ihre kritische Bewertung der syrischen Opposition und ihre positive Einschätzung des Regimes. Diese Sichtweise zieht sich durch die gesamte Berichterstattung. Erst in ihrem am 2.7.2012 im ‘Neuen Deutschland’ veröffentlichten Artikel legt die nahe, die Aussetzung er UN-Beobachtermission sei auf Angriffe der bewaffneten Opposition zurückzuführen. Bei Leuekfeld steckt offensichtlich die politische Prägung hinter der Verblendung. In der anti-imperialistischen Perspektive erscheint jede außenpolitische Strategie der USA und des Westens allgemein als Versuch Land und Leute unter Kontrolle zu bringen, um eigene politische und wirtschaftliche Interessen zu befriedigen. Mit dieser Prämisse im Kopf verfährt sie nach dem Prinzip der ‘Feind meines Feindes ist mein Freund’. Nur wird dabei vergessen, dass das nicht für menschenverachtende Diktatoren und Kriegsverbrecher gilt.