Der Arzt aus der umkämpften Stadt Aleppo will seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Auch nicht den seines Krankenhauses oder andere Details, die Aufschluss über seine genaue Lage geben könnten. Er möchte sich und sein Hospital schützen. Das allein sagt vielleicht schon mehr über die Situation von Medizinern in Syrien, als alle noch so erdrückenden Statistiken. Nennen wir ihn im Folgenden Abdullah. Er ist Arzt in einem gemarterten Land. Eines, in dem Krankenhäuser und medizinisches Personal seit Jahren Ziel systematischer Angriffe sind. Fast 700 Ärzte hat das Assad-Regime allein bis Juni 2016 getötet – alle aufständischen Gruppen zusammen – ISIS eingeschlossen – kamen zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal auf dreißig, wie die Organisation Physicians for Human Rights dokumentierte.
Seit Russland vor einem Jahr anfing, in Syrien auf den militärischen Angriff zu setzen, habe sich vieles für die Menschen der Stadt verändert. „Es gibt mehr Zerstörung, ausgerichtet auf Schaden an der zivilen Infrastruktur. Die russischen Flugzeuge sind zielgenauer, ihre Bomben und Raketen töten effektiver“, berichtet er. Außerdem habe sich die Zahl der Angriffe erhöht – wenn nicht gerade eines der brüchigen Waffenstillstandsabkommen in Kraft war. Woran all das nichts geändert habe, sei der Anteil der Zivilisten auf seinem Behandlungstisch. Er sei weiterhin überbordend.
Die Ärzte zahlen dafür mit einem hohen Preis. Weil es vermehrt zu Angriffen auf die Versorgungsroute der Stadt gekommen ist, können die Ärzte Schwerverletzte nicht mehr gen Norden transferieren. Für viele bedeutet das den Tod. „Auch die Krankenhäuser sind häufiger Ziel von Angriffen geworden“, sagt Abdullah. „Diese Angriffe schlagen schwere psychologische Narben, schockieren und zwingen viele zur Flucht.“
Physicians for Human Rights hat seit Beginn der Invasion 16 Angriffe durch russische Kampfjets auf Krankenhäuser dokumentiert. In weiteren 35 Fällen ist unklar, ob Jets des Assad-Regimes oder Russlands für die Angriffe verantwortlich waren. Die Organisation Syrian Network für Human Rights zählt Angriffe auf 59 medizinische Einrichtungen. Amnesty International hat Russland und dem syrischen Regime systematische Angriffe auf die medizinische Infrastruktur – und somit Kriegsverbrechen – zur Last gelegt. „Das wirklich Ungeheuerliche ist, dass das Auslöschen von Krankenhäusern Teil ihrer militärischen Strategie geworden zu sein scheint“, gab die Analystin Tirana Hassan zu Protokoll. 14 Angriffe auf medizinische Einrichtungen durch Russland und das syrische Regime zwischen Oktober 2015 und Februar 2016 vermochte die Organisation allein in der Provinz Aleppo zu zählen. Acht der Kliniken mussten anschließend den Betrieb einstellen.
„Es haben wieder mehr Ärzte Aleppo verlassen. Dieser Mangel führt zu großem Leid unter den Zivilisten“, sagt Abdullah. Insbesondere Spezialisten gebe es immer weniger. Nur ein einziger Gynäkologe existiere noch in Ost-Aleppo, Spezialisten für Gefäß-, Neuro- oder Thoraxchirurgie gebe es gar keine, ebenso keine HNO-Ärzte. „Weil es immer weniger Ärzte gibt, müssen die Verbliebenen immer länger arbeiten. Oft arbeitet das Personal hier 19 Stunden am Tag. Es ist ein Tal der Müdigkeit und des Leids in dem wir schuften. Wir haben Probleme mit unseren Familien, unseren Frauen deswegen.“
Und doch seien viele geblieben, um dem Tod zu trotzen und den Menschen zu helfen. Während sie immer neuen Waffen widerstehen müssen. Insbesondere der verstärkte Einsatz von Brandbomben sorge für schockierende Szenen in Abdullahs Krankenhaus.
Russland sei nicht über den Weg zu trauen, warnt er. „Sie sind ein Partner im Mord am syrischen Volk. Sie töten täglich Menschen und verteidigen dieses mörderische Regime in den Vereinten Nationen. Russland kann keine neutrale Partei oder ein Partner auf dem Weg zum Frieden sein. Sie sind ein kriminelles Regime.“
Heute vor einem Jahr begannen die russische Luftangriffe in Syrien. Tausende Angriffe und zehntausende Bomben folgten. Zahlen, Fakten, Stimmen und Einschätzungen finden Sie in unserem Dossier, das die Folgen der Intervention bilanziert.