Palästinensische Aktivisten in Syrien

“Seit Beginn der Revolution empfinden wir uns als Syrer” Hasan war ein schüchterner Mensch. Eigentlich zu schüchtern für jemanden, der journalistische Ambitionen hegt, aber davon wusste er wohl selbst nichts – bis vor 15 Monaten. Er sah sich selbst in erster Linie als palästinensischen Flüchtling mit wenig Anbindung an Syrien, jenes Land, in dem er […]

“Seit Beginn der Revolution empfinden wir uns als Syrer”

Hasan war ein schüchterner Mensch. Eigentlich zu schüchtern für jemanden, der journalistische Ambitionen hegt, aber davon wusste er wohl selbst nichts – bis vor 15 Monaten. Er sah sich selbst in erster Linie als palästinensischen Flüchtling mit wenig Anbindung an Syrien, jenes Land, in dem er geboren wurde und sein gesamtes bisheriges Leben verbrachte. Es schien, als sei er eines der vielen Opfer der verfehlten palästinensischen Exilpolitik und der Rivalitäten zwischen den verschiedenen Fraktionen.

Aber seit über einem Jahr nun ist er in die syrische Revolution involviert. Zuversichtlich, redegewandt und leidenschaftlich bei der Sache, hat er sich scheinbar zu einem anderen Menschen gewandelt.

Hasan gehört einer geheimen Mediengruppe an, die von Syrern und syrischen Palästinensern aus allen Teilen des Landes gegründet wurde. Sie haben Videos von Demonstrationen, Interviews mit Ex-Häftlingen und mit den Familien der Märtyrer aufgezeichnet. Sie haben über die Revolution berichtet, sie live dokumentiert.

“Das ist das erste Mal, dass wir uns syrisch fühlen”, erzählt Hasan. Es steht in einem krassen Widerspruch zu dem, was er und seine Freunde vor über anderthalb Jahren noch gesagt hätten. “Bei dieser Intifada geht es um ganz Syrien, da dieses Land Syrer und Palästinenser beherbergt. Wir sind von Anfang an dabei gewesen.”

Der Begriff Intifada wird üblicherweise mit dem palästinensischen Kampf assoziiert. Mit der syrischen Revolution aber hat er nun eine neue Aktualität hinzugewonnen. “Es ist unsere Pflicht, diesem Land etwas zurückzugeben”, meint Hasan.

23 Millionen Menschen leben in Syrien, davon etwa 500 000 Palästinenser. Sie leben in neun offiziellen Flüchtlingslagern (Deraa, Hama, Homs, Jaramana, Khan Dunoun, Khan Eshieh, Neirab, Qabr Essit, Sbeineh) und drei inoffiziellen Camps (Yarmouk, Ein el-Tal, Lattakia).

Sowohl die UNRWA als auch die GAPAR (General Administration for Palestine Arab Refugees) der syrischen Regierung stellen den Palästinensern seit nunmehr über 60 Jahren Hilfsleistungen zur Verfügung.

Syrien wurde im Allgemeinen zugestanden, unter den arabischen Staaten den besten Umgang mit seiner palästinensischen Bevölkerung zu pflegen. Sie wurden nicht eingebürgert, wie in Jordanien und ihnen wurden auch nicht elementare soziale und bürgerliche Rechte vorenthalten, wie im Libanon. Trotzdem hat die syrische Regierung versucht, die politische Führung der Palästinenser zu spalten und in deren Reihen eigene Vertreter zu etablieren.

Die relativ faire Behandlung von Palästinensern in Syrien hat die syrische Armee jedoch nicht daran gehindert, während des Bürgerkrieges im benachbarten Libanon Übergriffe auf palästinensische Flüchtlinge zu verüben. Eine Tatsache, die sich bei den Palästinensern in Syrien tief ins Gedächtnis eingegraben hat und bis heute gegenwärtig ist.

Hasan und andere junge Aktivisten haben sich gegen die vom Regime unterstützten und streng kontrollierten palästinensischen Parteien, wie z.B. die Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC), Fatah al-Intifada (besteht aus Abtrünnigen von Yasser Arafat’s Fatah) und Sa’iqa (palästinensischer Zweig der Baath-Partei) engagiert.

Berichten zufolge wird das in den südlichen Vororten von Damaskus gelegene Flüchtlingslager Yarmouk, wie andere Flüchtlingslager höchstwahrscheinlich auch, von der PFLP-GC überwacht. Diese Fraktion spielt nunmehr gegenüber den Bewohnern der Lager dieselbe Rolle wie das syrische Regime gegenüber seiner eigenen Bevölkerung.
Die PFLP-GC ist mit syrischer Unterstützung 1968 als Splittergruppe der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) von George Habash entstanden und hat während der jetzigen Revolution bereits gegen ihre eigenen Leute angekämpft, um die Interessen des syrischen Regimes zu verteidigen.

Im Juni 2011 schickte die PFLP-GC Jugendliche aus Yarmouk in die Golanhöhen. Ihnen wurde angekündigt, nach Palästina zu marschieren. Bei dem Versuch wurden sie von der israelischen Armee beschossen. 32 Menschen, darunter eine junge Syrerin, kamen damals ums Leben. Als ihre Leichen nach Yarmouk überführt wurden versammelten sich wütende Bewohner des Lagers vor dem Büro der PFLP-GC in Khalsa.

Die Menge beschuldigte das Regime und seine palästinensischen Vertreter für den Ausverkauf des Blutes ihrer Kinder verantwortlich zu sein. Es war offensichtlich, dass der Trip in den Golan organisiert wurde, um den Fokus der Öffentlichkeit von der fortwährenden Repression in den syrischen Städten abzulenken. Die PFLP-GC antwortete auf die Demonstration mit Schüssen, mindestens zehn Personen wurden getötet sowie Dutzende verletzt.

“Sie massakrieren die Leute einfach”, seufzt Hasan. Die Kontrolle der PFLP-GC über die Lager, insbesondere Yarmouk, konnte sich nur dadurch festigen, dass andere palästinensische Fraktionen schwiegen und die Hamas sich ganz zurückzog. Die politische Führung der Hamas hatte ihren Sitz in Damaskus, bis es wegen der Revolution zum Zerwürfnis kam.

Andere palästinensische Parteien sind, da sie in Syrien bleiben, dazu gezwungen sich öffentlich gegenüber dem Regime neutral zu positionieren. Als Folge dessen haben sie die meisten ihrer jungen Mitglieder verloren, die mit der Revolution sympathisieren.

“Ich habe syrische Freunde, die im Gefängnis sind. Ich kenne Syrer, die in diesem Aufstand gestorben sind”, sagt Hasan. “Es ist nicht weit von uns, von Palästina. Es ist direkt vor unserer Haustür und die Parteien können die Palästinenser nicht daran hindern auf die Straße zu gehen.”

Seit einigen Wochen schon, wenn nicht gar Monaten demonstriert Yarmouk in Solidarität mit Homs und anderen belagerten syrischen Städten.

“Wir versuchen den Syrern soweit es geht zu helfen. Aber wir haben in den Lagern auch unseren eigenen Kampf gegen die PFLP-GC und auch gegen das Schweigen der palästinensischen Gruppierungen, das wir nicht akzeptieren können”, sagt Hasan. Die Mehrheit der Flüchtlinge, erklärt er, sei besorgt, wie es nach der Revolution weiterginge.

Eine offene Beteiligung ihrerseits wird dazu führen, dass das Regime mit harter Hand gegen sie vorgeht. Denn von der “Gastbevölkerung” wird erwartet, dass sie sich nicht in syrische Angelegenheiten einmischt. Ihr Schweigen würde allerdings wohl den Ärger jener Syrer auf sich ziehen, die sich in der Revolution engagieren.

Ob sie sich nun solidarisch mit den Revolutionären zeigen oder stumme Beobachter sind – so oder so sind sie in einer verwundbaren Position. Jegliche Beteiligung oder auch Nicht-Beteiligung würde ihnen im Nachhinein als willentlich beschlossener Standpunkt vorgeworfen werden.

“Ich kenne palästinensische Aktivisten, die Angst davor haben, was später passieren wird. Aber diese Revolution ist eine Reise, die wir auf uns nehmen müssen – gleich, wohin sie uns führen wird”, sagt Hasan. Die Mukhabarat, die syrischen Geheimdienste, sind auf ihn aufmerksam geworden, weil er sich in der Revolution engagiert hat. Er musste das Land verlassen.