Razan Zaitouneh und die Douma4
Freiheit für die „Douma 4“, die nun seit genau einem Jahr entführt sind. Quelle: Kollektiv „The Syrian People Know Their Way“.

Douma 4 erhalten den Petra-Kelly-Preis

Razan Zaitouneh gilt als eine der Ikonen des zivilen Widerstands in Syrien. Gemeinsam mit weiteren AktivistInnen, darunter dem seit Februar 2012 vom Assad-Regime inhaftierten Mazem Darwish, gilt sie als Gründerin des Netzwerks der Lokalen Koordinationskomitees (LCC). Zudem war sie bis zu ihrer Entführung im Dezember 2013 Sprecherin des Violations Documentations Centers (VDC), das Menschenrechtsverbrechen in […]

Razan Zaitouneh und die Douma4
Freiheit für die „Douma 4“, die nun seit genau einem Jahr entführt sind. Quelle: Kollektiv „The Syrian People Know Their Way“.

Razan Zaitouneh gilt als eine der Ikonen des zivilen Widerstands in Syrien. Gemeinsam mit weiteren AktivistInnen, darunter dem seit Februar 2012 vom Assad-Regime inhaftierten Mazem Darwish, gilt sie als Gründerin des Netzwerks der Lokalen Koordinationskomitees (LCC). Zudem war sie bis zu ihrer Entführung im Dezember 2013 Sprecherin des Violations Documentations Centers (VDC), das Menschenrechtsverbrechen in Syrien dokumentiert.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wael Hamadeh sowie den AktivistInnen Nazem Hammadi und Samira al-Khalil, der Ehefrau des Intellektuellen Yassin Haj al-Saleh, wurde Razan von bewaffneten Unbekannten in Douma verschleppt. Douma befindet sich unter der Kontrolle der Islamischen Armee (Jaish al-Islam) unter Führung von Zahran Alloush. Razan und ihr Team hatten in der Vergangenheit wiederholt Drohungen erhalten, da sie auch Menschenrechtsverbrechen seitens syrischer Oppositioneller öffentlich machten. Mit der Kampagne „Free Douma 4“ verlangen die Angehörigen der Verschleppten gemeinsam mit internationalen Unterstützern, deren Freilassung.

Adopt a Revolution arbeitet seit Ende 2011 intensiv mit Razan Zaitouneh, Wael Hamada und dem AktivistInnen-Netzwerk der Lokalen Koordinationskomitees LCC zusammen. Die Entführung im Dezember 2013 hat uns verstört und entsetzt. Der Vorfall zeigt, dass der zivile Widerstand gegen die Assad-Diktatur auch von konservativen oppositionellen Kräften unter Druck gesetzt wird. Umso dringender braucht die junge syrische Zivilgesellschaft unsere Solidarität und unsere Unterstützung im Kampf gegen Diktatur und islamistischen Terror.

Wir begrüßen die Entscheidung der Heinrich-Böll-Stiftung, Razan und ihre KollegInnen mit dem Petra-Kelly-Preis auszuzeichnen und gratulieren den PreisträgerInnen.

Im Folgenden dokumentieren wir die Erklärung der Heinrich-Böll-Stiftung zur Verleihung des Petra-Kelly-Preises.

Am 09. Dezember 2013 wurden Razan Zeitouneh, ihr Ehemann Wael Hamadeh, Samira al-Khalil und Nazem Hammadi von unbekannten Bewaffneten entführt. Mitte Dezember 2013, wenige Tage nach Razans Entführung, richtete sich ihre Familie in einem Brief an die Öffentlichkeit. Vierzig NGOS, darunter auch das Institute for War and Peace Reporting, veröffentlichten eine Petition zur Freilassung der vier in sechs Sprachen.

Die vier wurden in einer Gegend entführt, die von der aus den Golf-Staaten unterstützten Jaish al-Islam (Armee des Islam) kontrolliert wird. Anführer der Gruppe ist Zahran Alloush. Einige Jahre zuvor hatte Razan Zeitouneh in ihrer Funktion als Anwältin Familienangehörige von Zahran Alloush verteidigt, die das syrische Regime wegen Terrorismus angeklagt hatte. Da Alloush und Jaish al-Islam die Suche nach den Vieren bislang nicht unterstützten, in der Gegend jedoch weiterhin die mächtigste Kraft sind, wendet sich eine im Juni 2014 gestartete Kampagne zur Freilassung der „Douma4“ direkt an Alloush und seine Gruppe. Es ist die erste systematische Aktion in sozialen Medien, mit denen militante Gruppen der Opposition öffentlich an ihre Verantwortung in der Revolution erinnert werden.

Razan Zeitouneh: Rechtsanwältin, Autorin und Aktivistin. Seit 2000 setzte Razan sich für die Rechte politischer Gefangener unabhängig von deren politischer Ausrichtung ein. Dieses bedingungslose Engagement für Menschenrechte im autoritären System Syriens stand für eine neue Form des Widerstands in Syrien – ein Versuch, den Staat bei seinen eigenen Regularien zu packen und sich durch die willkürliche Auslegung der Gesetze in Syrien nicht beirren zu lassen. Im Jahr 2005 gründete Razan Zeitouneh die Menschenrechtsorganisation SHRIL (Syrian Human Rights Information Link), im Rahmen derer sie akribisch Namen und Daten Verhafteter und Verschwundener zusammentrug und Menschenrechtsverbrechen für alle öffentlich im Internet dokumentierte. Mit Beginn der syrischen Revolution setzte sie diese Arbeit im Violations Documentation Centers (VDC) fort. Razan Zeitouneh schrieb in der ZEIT das „Syrische Tagebuch“.

Samira Al-Khalil war unter Präsident Hafez al-Assad von 1987 bis 1991 in Haft. Nachdem Bashar al-Assad an die Macht gekommen war, engagierte sie sich in der Demokratiebewegung, die sich während des ersten „Damaszener Frühlings“ 2000 gründete und nach dessen Niederschlagung 2001 neu formierte. Sie beteiligte sich an den „Komitees zur Wiederbelebung der Zivilgesellschaft“ und schrieb mit an der „Damaszener Erklärung“ und der „Damaskus-Beirut-Erklärung“ – zwei Manifesten, mit denen Vertreter/innen der Zivilgesellschaft das syrische Regime zu politischen Reformen bewegen wollten. Nachdem sie in Damaskus-Stadt nicht mehr sicher war, zog sie in die Ghouta (Oasen-Umland von Damaskus) und unterstütze dort das Violations Documentation Center.

Wael Hamadeh, der Ehemann von Razan Zeitouneh, engagierte sich in den Jahren vor der Revolution in einer oppositionellen Partei und seit 2011 in den „Lokalen Koordinierungskomitees“, die sich unter anderem um die Verteilung humanitärer Hilfe kümmerten. Dabei wurde er zwei Mal verhaftet, unter Anderem auch, um die im Untergrund lebende Razan Zeitouneh zur Preisgabe ihres Aufenthaltsortes zu zwingen.

Nazem Hammadi, Rechtsanwalt und Dichter. Neben seiner Arbeit beim VDC organisierte er gemeinsam mit Wael Hamadeh Hilfslieferungen, die über das Netzwerk der Lokalen Koordinierungskomitees liefen. Zum Zeitpunkt seiner Entführung bereitete Hammadi die Veröffentlichung seines zweiten Gedichtbandes vor.

Das Violations Documentation Center

Das Grundanliegen des Violations Documentation Center besteht darin, Informationen über Verstöße gegen das Humanitäre Völkerrecht in Syrien öffentlich zugänglich zu machen. Die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Razan Zaitouneh gründete die Dokumentationsstelle im April des Jahres 2011 in Douma, einem Vorort von Damaskus und selbst Schauplatz brutaler Kampfeinsätze des Regimes und aufständischer Gruppen. Seitdem überwachen, sammeln und dokumentieren über 30 Mitglieder der unabhängigen NGO unter ständiger Gefährdung Menschenrechtsverbrechen in Syrien, von wem sie auch begangen werden. Somit werden nicht nur die Verbrechen des syrischen Regimes dokumentiert, sondern ebenso jene Vergehen, die von informellen Körperschaften oder ausländischen Kämpfern in Syrien begangen werden.

Neben ihrem Anspruch, Menschenrechtsverbrechen aller Konfliktparteien zu dokumentieren, basiert eines der Grundprinzipien des Violations Documentation Centers auf der Validität der bereitgestellten Informationen. Grundlage ist die Überzeugung, dass eine gründliche und nachprüfbare Recherche relevanter Informationen selbst ein Menschenrecht sowie eine ethische und humanitäre Pflicht gegenüber den Opfern und deren Familien darstellt. Daher stellt das Zentrum seine Daten in einem sorgfältig angelegten, mehrstufigen Prozess zusammen – all dies inmitten der zutiefst instabilen Umstände, denen die Aktivisten während ihrer Arbeit innerhalb Syriens ausgesetzt sind.

Damit schafft die Organisation unter schwierigsten Umständen ein Gedächtnis der syrischen Zivilgesellschaft, das den Grundstein für eine kollektive Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen in der Zeit nach dem Konflikt darstellt.

Razan Zaitouneh wurde in der Vergangenheit bereits mit weiteren, internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments und der Anna-Politkowskaya-Preis.