Die an diesem Freitag in der Moschee von Al Moadamyeh zusammenkommen, sind nicht alle gläubige Muslime. Zahlreiche Christen und säkulare Syrer mischen sich unter die Betenden. Das Assad-Regime hat als eine der ersten Reaktionen auf die breiten Proteste im Land alle größeren Versammlungen wie Fußballspiele und Messen untersagt – nur an die traditionellen Gottesdienste vor allem freitags traut sich die Diktatur nicht ran.
Kurz nach dem Gebet treten die Menschen auf die Straße hinaus und beginnen mit einer Demonstration – für Freiheit, für Demokratie, gegen die Gewalt der Geheimdienste. Passanten schließen sich an, bis der Demonstrationszug eine beachtliche Größe erreicht. Doch schon nach ein paar hundert Metern beginnen Sicherheitskräfte, die Demonstranten anzugreifen und mit Holzlatten zu verprügeln. Auf Videos ist zu sehen, wie die Männer des Geheimdienstes auf friedliche Demonstranten einschlagen, wie sie blutüberströmte Menschen über die Straße schleifen und in Polizeifahrzeuge verfrachten. An diesem Freitag werden Hunderte festgenommen. Viele werden in Foltergefängnissen verschwinden, einige nicht wieder zurückkommen.
35 Demonstranten auf offener Straße erschossen
Diese Szenerie hat sich in Syrien in den letzten Monaten hunderte Male abgespielt – und natürlich treffen sich die Menschen nicht zufällig in den Moscheen. Lokale Komitees, in denen sich Aktivisten vor Ort zusammenschließen, organisieren den friedlichen Protest gegen das Assad-Regime, sie dokumentieren die brutalen Menschenrechtsverletzungen und verbreiten diese Informationen über das Internet. Sie kümmern sich um Verwundete und Hinterbliebene.
Anders als in anderen Städten haben die Sicherheitskräfte in Al Moadamyeh dieses Mal keine scharfe Munition eingesetzt. Mindestens 450 Demonstrationen haben an diesem Freitag in ganz Syrien stattgefunden – 35 friedlich agierende Menschen wurden auf offener Straße wegen ihres Protests erschossen.
Friedliche Aktivisten müssen in den Untergrund abtauchen
Dass in Al Moadamyeh nicht geschossen wurde, liegt vermutlich an den Beobachtern der Arabischen Liga, die seit rund zwei Wochen in Syrien unterwegs sind – mit Schwerpunkt Damaskus und den Vororten. Damit zeigt die Beobachtermission – in die viele Hoffnungen gesetzt wurden – wenigstens teilweise Wirkung: Wo die Beobachter auftauchen, geht das Regime weniger gewaltsam gegen die Protestierenden vor und es trauen sich deutlich mehr Menschen auf der Straße, zum Teil zehn Mal so viele wie sonst. Aber mit nur 150 Mitgliedern, die weder neuralgische Punkte besuchen dürfen noch in Gefängnisse vorgelassen werden, können die Beobachter gar nicht für eine wirkliche Entspannung der Lage in Syrien sorgen.
Doch die Arbeit der Komitees leidet mehr und mehr unter der sich zuspitzenden Sicherheitslage und der angespannten wirtschaftlichen Situation in Syrien. Zwar wirken die Sanktionen des Auslands, wodurch das Regime auch geschwächt wird, allerdings können sich die Aktivisten nur noch schwer aus ihrer Verwandtschaft und Nachbarschaft heraus finanzieren. Immer mehr Mitglieder der Komitees – es gibt inzwischen über 300 Komitees in fast allen Städten des Landes – müssen in den Untergrund oder regelmäßig umziehen und ihre Arbeitsstellen aufgeben sowie Kontakte zu Angehörigen abbrechen, um nicht selbst Opfer der Gewalt durch die Sicherheitsbehörden zu werden.
Adopt a Revolution
Die Arbeit der Komitees ist extrem wichtig, um den friedlichen Widerstand im Land aufrecht zu erhalten. Sie sind der Garant, dass es nicht zu einer breiten Bewaffnung der Opposition kommt, da sie sich auf gewaltfreie Proteste festgelegt haben. Seit Neuestem organisiert das Projekt “Adopt a Revolution – den syrischen Frühling unterstützen” so genannte Revolutionspatenschaften, um die Aktivisten in ihrer schwierigen finanziellen Situation zu stärken. “Adopt a Revolution” will auch das Verständnis für die Lage in Syrien verbessern. Das Projekt will eine Brücke bauen zwischen der Zivilgesellschaft hierzulande und den Menschen in Syrien und so einen Beitrag leisten, damit der syrische Frühling friedlich bleibt.
Dieser Beitrag ist auch auf spd.de erschienen.