Das Schild am Eingang macht klar, was hier nicht willkommen ist: Sexistische, rassistische oder homophobe Verhaltensweisen werden nicht geduldet. Wem etwas Entsprechendes auffällt, der soll sich bitte an der Bar melden. Den libanesischen und syrischen Gründer*innen aus der alternativen Kulturszene war klar, dass so etwas selbstverständlich sein sollte – doch selbst im weltoffenen Beirut ist eine offene Absage an Rassismus und Sexismus noch immer eine große Ausnahme.
Mit dieser offenen Einstellung ist es dem Café Riwaq gelungen, ein zentraler Anlaufpunkt für all diejenigen zu werden, die sich im konfessionalistischen System des Libanons nicht wieder finden. Sei es, weil sie als verfolgte Aktivist*innen aus dem nahen Damaskus in die Illegalität gedrängt werden, weil sie die Geschlechterrollen der traditionellen Religionsgemeinschaften hinterfragen oder weil sie sich für gesellschaftliche Partizipation jenseits des alles umfassenden Proporzsystems einsetzen. Im Café trafen sie sich alle – und im Veranstaltungsraum konnten sie ihre eigene Kultur mit Ausstellungen, Filmvorführungen oder alternativen Parties leben.
Als im Oktober 2019 die Proteste gegen die Regierung eskalierten, lag das Café weit genug abseits der großen Protestorte – was aber nicht heißt, dass hier nicht intensiv diskutiert wurde: Wie kann das durch und durch korrupte politische System jemals reformiert werden? Kann es gelingen, den alles lähmendem Proporz zu überwinden? Gibt es überhaupt eine Chance, dass die Regierung die Schuldenkrise des Landes lösen kann?
Doch dann kam die Hafenexplosion vom 4. August – die überhaupt nur möglich wurde, weil es dem politischen und juristischen Establishment des Libanon über Jahre nicht gelungen ist, unzureichend gelagerte, hochexplosive Stoffe im Hafen zu entsorgen. Der Stadtteil Mar Mikhail wurde von der Wucht der Explosion schwer getroffen und auch das Café und die komplette Inneneinrichtung sind schwer beschädigt. Doch statt den Ort aufzugeben, trafen sich die Gäste des Cafés schon in den nächsten Tagen, um gemeinsam aufzuräumen – und von hier aus die zu unterstützen, die am Rand der libanesischen Gesellschaft stehen.
Auf einem Gaskocher wurden riesige Töpfe gestellt. Jetzt kochen die Mitarbeiter*innen gemeinsam mit Freiwilligen für all diejenigen, deren Wohnungen ringsherum zerstört wurden. Statt Becher mit Kaffee werden Pappschachteln mit Essen befüllt, um die Bewohner*innen der Protestcamps zu versorgen, die vor Ministerien, Botschaften oder dem Parlament ausharrten, um politische Konsequenzen und ein Rückkehrrecht für migrantische Arbeiter*innen zu fordern, die wegen der schweren Wirtschaftskrise arbeits- und obdachlos geworden sind. Weiterhin ist das Café ein zentraler Anlaufpunkt für diejenigen, die sich im korrupten libanesischen Staat nicht wiederfinden – diesmal, um selbstorganisiert den Ausgegrenzten zu helfen.
Außer zur Durchsetzung der Ausgangssperre, ist der libanesische Staat seit der Hafenexplosion von Beirut quasi abwesend. Kein hochrangiger Politiker hat bisher die am schwersten Betroffenen Stadtviertel besucht. Stattdessen leisten Aktivist*innen das Aufräumen oder Hilfe für Bedürftige weitgehend in Selbstorganisation – wie das Café Riwaq. Helfen Sie mit, unterstützen Sie diese Arbeit mit Ihrer Spende!