Das Team von Yalla Shabab beim Ausladen von Hilfsgütern. Obwohl es ein kleines Team ist, bewirken sie Großes, weil jeder Einzelne bestens vernetzt ist.

„Vor Angst springen Menschen von ihren Balkonen“

Jenderis ist eine der am stärksten betroffenen Städte in Nordsyrien. Das Yala Shabab Team hat am ersten Tag mit unserer Unterstützung mit der Nothilfe begonnen und betreibt diese bis heute autark und mit Weitsicht. Im Gespräch berichtet uns Yazin von Yala Shabab auch über die großen psychologischen Dimensionen der Erdbeben und regt telefonische Betreuung aus dem Ausland an.

Das Team von Yalla Shabab beim Ausladen von Hilfsgütern. Obwohl es ein kleines Team ist, bewirken sie Großes, weil jeder Einzelne bestens vernetzt ist.

Wer ist Yalla Shabab und was macht ihr?

Wir kommen immer dann zusammen, wenn besondere Ereignisse passieren, auf die schnell reagiert werden muss. Wie jetzt bei den Erdbeben. Yalla Shabab besteht aus insgesamt zehn Personen. Das klingt sehr wenig, aber wir haben alle ganz unterschiedliche Backgrounds und jeder Einzelne von uns ist sehr gut vernetzt, sodass wir ein sehr großes Netzwerk haben, auf das wir jederzeit zugreifen können. Wir haben uns bewusst für diese kleine und lose scheinende Struktur entschieden. Wir möchten keine große NGO werden oder mit diesen zusammenarbeiten. Denn deren Strukturen verhindern meist eine schnelle Reaktion und Hilfe. Das ist nicht in unserem Sinne. Deshalb bleiben wir bewusst klein, weil wir so präzise und effektiv arbeiten können.

Ihr lebt selbst in Jenderis und seid dort jetzt auch tätig. Die Stadt ist in Nordsyrien am schlimmsten betroffen. Was könnt ihr tun, um dort zu helfen?

Die meisten konzentrieren sich gerade auf die Beschaffung von Zelten, um die Menschen zu versorgen. Wir sehen die Notwendigkeit, aber wir denken auch, dass diese Lösung zu kurz gedacht ist. Anstatt eine Familie, deren Haus oder Wohnung beschädigt ist, mit einem Zelt zu versorgen, engagieren wir Bauingenieure, die den Schaden beurteilen. Und wenn sie grünes Licht geben, helfen wir dabei die Wohnungen wieder in Stand zu setzen. Das ist besser als jetzt Zeltstädte aufzubauen, die nicht mal halten. Derzeit weht ein heftiger Wind und reißt die Zelte mit sich.

Gleichzeitig sind wir mit der Lebensmittelversorgung beschäftigt. Dabei konzentrieren wir uns mehr und mehr auf Einzelfälle. Gerade erstellen wir eine Übersicht über Personen mit besonderen Bedarfen. Darunter sind beispielsweise Menschen, die ihre gesamte Familie verloren haben oder vor denen eine längere medizinische Behandlung liegt. Die Liste hilft dabei, dass uns niemand durchrutscht, aber auch, dass wir den monatlichen Bedarf der Betroffenen richtig einschätzen können, um sie dann verlässlich ein paar Monate zu begleiten und zu unterstützen.

Ihr seid seit dem ersten Tag der Erdbeben nonstop im Einsatz. Wie haltet ihr das aus? Hattet ihr zwischendurch mal Zeit durchzuatmen?

Ich rede einfach mal von mir und du kannst dir dann denken, wie die Lage hier allgemein ist. Tagsüber funktioniere ich, da fühle ich mich wie ein normaler Mensch, weil ich arbeite und dabei viel verdrängen kann. Aber ab Sonnenuntergang bis zum nächsten Morgen bin ich ein anderer Mensch. Ich kann nicht schlafen. Ich schlafe maximal eine Stunde und dann schrecke ich schweißgebadet aus Alpträumen hoch. Ich träume davon einem Erdbeben oder einer Überflutung entkommen zu müssen.

Meine Arbeit rettet mich deshalb derzeit. Ich kann Hilfe leisten und organisieren und die Situation für viele etwas verbessern. Emotionale Hilfe kann ich allerdings nicht leisten, da komme ich an meine Grenzen. Ich kann die Menschen nicht trösten und ihnen beistehen. Mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht wie. Gerade sind die Menschen hier auch noch nicht bereit psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich kann nicht genau erklären warum. Aber es ist dringend notwendig. Für mich, für sie, für alle. Die Ängste und Trauma sind so groß, das bei jedem kleineren Beben immer wieder Menschen panisch von ihren Balkonen springen egal aus welchem Stockwerk.


Wir haben über eine Stunde mit Yazin gesprochen, eher er wieder los musste. Nicht alles davon haben wir aus Rücksicht auf ihn veröffentlicht. Am Ende des Telefonats hat Yazin uns gesagt, dass ihm das Gespräch sehr gut getan hat, weil er einfach mal erzählen konnte, was passiert und wie es ihm geht. In Syrien kann er das nicht, weil alle dasselbe zu sagen haben, jede*r ist betroffen und traumatisiert. Er wünscht sich, dass nichtbetroffene Arabisch und Kurdisch sprechende Menschen aus dem Ausland wie bei einem Tandem in Zukunft mit den betroffenen Leuten vor Ort sprechen. Davon verspricht er sich ein wenig Erleichterung, wie bei unserem Telefonat, bei dem wir einfach zugehört haben.