Mehrere Menschenrechtsgruppen, darunter Amnesty International und Human Rights Watch haben heute in einem Aufruf die Freilassung der drei Medienaktivisten Mazen Darwish, Hussein Ghrer und Hani Zaitani gefordert. Ihnen soll am Sonntag der Prozess gemacht werden. Bei Verurteilung drohen ihnen 15 Jahre Gefängnis.
Ihr Vergehen ist, dass sie schrieben, bloggten, redeten. Sie alle arbeiteten für das Syrische Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit in Damaskus. Am 16. Februar 2012 wurden sie zusammen mit Mansour Omari und Abdel Rahman Hamada, zwei weiteren Mitarbeitern des Medienzentrums, verhaftet. Am 27. Februar deutete die syrische Justiz an, sie könnten wegen der Progagierung terroristischer Akte angeklagt werden.
Ich habe Hussein Ghrer im Jahr der Revolutionen Anfang Mai 2011 kennen gelernt – vor fast genau zwei Jahren. Die Deutsche Welle Akademie hatte uns zu einem Bloggertreffen nach Kairo eingeladen. Einen herrlichen Nachmittag verbrachten wir gemeinsam mit zwei weiteren Bloggern, Razan Ghazzawi und Michael Seemann, und Husseins Frau im Al Azhar-Park und interviewten junge Leute und ein paar Familien zur Revolution in Ägypten.
Wir lagen im Gras, aßen Kebab und spielten in einem Springbrunnen. Wie Urlaubsfotos wirken die Bilder, die wir an diesem Tag machten.
Hussein war nachdenklich. Vor allem die Ängste der Kopten, die wir trafen, machten ihm Sorgen. Den zunehmende Konfessionalismus in Syrien sah er als eins der größten Probleme. Aber gerade hatte er gute Erfahrungen gemacht. Er hatte mit den Bewohnern seines Stadtviertels über einen Forderungskatalog an die Regierung diskutiert. „Vor allem ein Punkt war kritisch,“ erzählte er. „Wir wollen einen demokratisch gewählten Präsidenten gleich welcher Religion. Aber die Leute in meinem Viertel fanden das gut.“
Als seine Mitaktivistin Razan vorschlug, man solle fordern, dass der Präsident weiter ein Allawit sein solle, aber demokratisch gewählt, lachte er. „Das ist eine irre Idee. Aber du hast recht, das wäre gut. Wir müssen den Allawiten die Angst nehmen.“
Hussein lachte viel. Als wir abends in einem libanesischen Restaurant aßen, sagte ich, dass seine Frau und er ein interessante Päarchen seien und deutete auf sein Bier. „Wir sind tolerant,“ antwortete er. „Ich mit ihrem Kopftuch und sie mit meinem Bier,“ und sie lachten beide. Wir redeten über Kindererziehung. Die beiden haben zwei Söhne, sie sind genauso alt wie meine Töchter. Der Kindergarten seines Sohnes koste ihn 2000 Dollar im Jahr, sagte Hussein. „Wir haben einen günstigen gefunden“, sagte seine Frau, „aber ich muss weit dorthin fahren.“
„Und du?“ fragte ich Hussein. „Bringst du deinen Sohn nicht in den Kindergarten?“ Er schaute etwas verlegen und zwinkerte mir grinsend zu: „Das sollte ich, nicht? Ich weiß. Nach der Revolution.“
Im Dezember 2011 wurde er erstmals verhaftet. Mit ihm noch andere Mitarbeiter des Medienzentrums. Die Kampagne zur Freilassung der AktivistInnen war damals enorm. Viele Menschen bloggten und twitterten oder setzten in ihr Facebook-Foto ein Bild mit „FreeHussein“ oder „FreeRazan“ ein. Nach zehn Tagen wurde Hussein wieder freigelassen. Ich wünschte ihm ein glückliches Neues Jahr und fragte, ob seine Frau und seine Kinder sicher seien oder ob ich bei einem Visum für die drei behilflich sein könnte.
Hussein bedankte sich für die Kampagne. Er schrieb: „Ich wurde kaum gefoltert wegen Euch allen.“
Das mit dem Visum habe ich probiert. Vielleicht war es naiv zu denken, das Auswärtige Amt würde etwas unternehmen bei der Frau eines so prominenten Revolutionsaktivisten. Aber es ging nichts. Wir schrieben uns noch ein paar Mal in der Sache. Doch alle Grenzen Europas schienen dicht zu sein. Kurz darauf wurde er wieder verhaftet.
Lange hört man nichts. Es war nicht einmal klar, in welches Gefängnis er verbracht wurde. Im Sommer letzten Jahres begann er einen Hungerstreik, um für die Freilassung aller politischen Gefangenen zu kämpfen. Er war wie die anderen beim Geheimdienst der Flugstreitkräfte inhaftiert. Schließlich wurden Mansour Omari und Abdel Rahman Hamada im Februar diesen Jahres freigelassen. Von Mazen Darwish, Hussein Ghrer und Hani Zaitani hörte man, dass sie gefoltert worden seien und ihr „physischer und psychologischer Zustand“ bedenklich sei.
Das letzte, das Hussein auf seinem Blog schrieb war:
Silence doesn’t serve us after today. We don’t want a country where we get imprisoned for uttering a word. We want a country that embraces and welcomes words.
Am 19. Mai soll Hussein Ghrer mit seinen Mitstreitern vor dem Damaszener Terrorismus Gericht erscheinen. Er ist angeklagt nach Artikel 8 des syrischen Terrorismusgesetzes wegen Propaganda für terroristische Akte.