Aber zunächst geht es um das Leben. Es geht um Amal.* Ihre Mutter erinnert sich an das strahlende Lächeln ihrer Tochter, an die Wärme, mit der sie auf andere zuging. Doch Amals Leben nimmt schon früh eine dunkle Wendung. Sie ist noch ein Kind als der Krieg in Syrien ausbricht. Mit 13 Jahren wird sie verheiratet. In Syrien keine Seltenheit. So grausam es klingt, viele Familien glauben, dass ihre Töchter dadurch sicherer sind, besser geschützt vor Missbrauch. Doch oft passiert das Gegenteil, wie auch bei Amal. Warum die Tochter sich bald wieder scheiden lässt, darüber schweigt ihre Mutter.
Mit 17 heiratet Amal erneut, bekommt drei Kinder. Doch dann greifen die Truppen des Assad-Regimes ihre Heimat in Idlib an. Sie muss fliehen. Im Flüchtlingslager beginnt ein anderes Leben – ein härteres. Die Familie hat kaum Geld und ihr Mann verbietet ihr, das Zelt zu verlassen. Unsere Partner*innen in Syrien warnen vor der enormen psychischen Belastung, der Frauen in den Lagern ausgesetzt sind. Häusliche Gewalt, soziale Isolation, kein Netz, das sie auffängt. Gleichzeitig gibt es in den Camps – Zelt an Zelt – kaum Privatsphäre. Amal erträgt es nicht länger. Sie entscheidet sich, erneut auszubrechen – und reicht die Scheidung ein.
Doch der Preis ist hoch. Sie riskiert, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren. Ihre Familie gibt ihr die Schuld an der gescheiterten Ehe. Was Amal schließlich dazu bringt, sich das Leben mit 21 Jahren zu nehmen, bleibt unklar. Vermutlich war es nicht ein einzelner Auslöser, sondern eine erdrückende Summe von vielen. Wie viele Frauen und Mädchen in Syrien Suizid begehen, ist unbekannt. Die Familien wollen oft nicht, dass diese Todesursache dokumentiert wird. Die Dunkelziffer dürfte also hoch sein.
„Es bricht mir das Herz, dass ich ihr nicht geholfen habe“, bereut ihre Mutter. „Ich hoffe, dass Mädchen und Frauen, die mit psychischen Problemen kämpfen, sich Unterstützung suchen, damit sie nicht so leiden müssen wie meine Amal.“