„In Erbin gab es zwanzig obererdig gelegene Schulen, von denen mehr als 15 direkt bombardiert und schwer beschädigt wurden“, sagt Abdulsattar Sharaf. Er ist einer der AktivistInnen des Komitees Erbin, das ein ganzes Netzwerk unterirdischer Schulen betreibt. „Es ist für die SchülerInnen unter der Erde viel sicherer als über der Erde. Ich habe selbst einmal einen Angriff durch die russische Luftwaffe miterlebt, als gerade ca. 300 SchülerInnen im Keller waren. Das Gebäude wurde getroffen, doch Gottseidank ist niemandem etwas passiert.“
Die Bildung kann nicht mehr auf Frieden warten
Wegen der immensen Gefahren seien 2013 noch viele Kinder nicht zur Schule gegangen, sagt Abdusattar. Doch mittlerweile können die Familien nicht mehr auf Frieden warten, um ihre Kinder wieder zur Schule zu schicken. Sonst drohe eine Generation von AnalphabetInnen. „Jetzt, 2016, wollen die SchülerInnen wieder zur Schule gehen, was lernen. So hatten wir früher nur 1000 SchülerInnen, jetzt sind es 5000. Die Zahl der Lehrer dagegen ist gleich geblieben oder sinkt eher noch“, sagt Abdulsattar. Viele Menschen sind aus Erbin geflohen, es mangelt an ausgebildeten Kräften.
Im Zivilen Zentrum, das wie die Schulen ebenso unter der Erde liegt, werden daher unter anderem LehrerInnen weitergebildet. „Die Lehrer, die jetzt unterrichten, sind teilweise selber noch Studierende, wir waren aber gezwungen, sie als Lehrer einzustellen, weil uns keine andere Wahl blieb“, sagt Abdulsattar. Also organisieren sie Fortbildungen, in denen fertig ausgebildete, erfahrene LehrerInnen ihr Wissen weitergeben.
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Schule ohne Indoktrination
Wie viele zivilgesellschaftliche Organisationen ist auch das Komitee Erbin im Zuge des Aufstands von 2011 entstanden. „Ich bin ich ja selbst für die Revolution aktiv, aber in der Schule sprechen wir mit den SchülerInnen nicht über das Regime und steuern sie nicht in eine bestimmte Richtung,“ sagt Abdulsattar. „Wir bieten den Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule des Regimes schicken wollen oder die nicht wollen, dass die Schule eine bestimmte Ideologie vertritt, etwas an. Wir hissen in den Schulen nicht das Banner der Revolution“, sagt Abdulsattar.
In anderen Schulen sei das anders. In manchen hingen die Flaggen bewaffneter Gruppen. Manche Milizen betreiben eigene Schulen, etwa die „Armee des Islam“. „In diesen Schulen geht es sehr stark um Indoktrinierung, da ist die Hälfte der Stunden Religionsunterricht und nur die andere Hälfte andere Fächer wie Physik, Chemie, Naturwissenschaften und Englisch“, sagt Abdulsattar.
Widerstand gegen Islamismus und die Willkür der Bewaffneten
Nicht nur im Bildungsbereich versuchen islamistische und dschihadistische Milizen Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen. Und von diesen Milizen gibt es viele in Ost-Ghouta. Abdulsattar zählt einige auf. „Ahrar al-Sham, Faylaq al-Rahman, Jaysh al-Islam… Die Jaysh al-Islam („Armee des Islam“) hat sich nach Grabenkämpfen mit anderen Bewaffneten aus Erbin zurückgezogen“, berichtet er, „aber vor allem der Sicherheitsdient von Faylaq al-Rahman mischte sich überall ein und nahm willkürlich Leute fest“.
Als die Zivilbevölkerung Erbins gegen die Miliz auf die Straße geht, reagiert diese zunächst mit Gewalt: „Wie das Assad-Regime haben sie auf die Demonstranten geschossen“, sagt Abdulsattar. „Als eine Frau so schwer verletzt wurde, dass sie wenig später starb, hat das die Leute so aufgebracht, dass es zu einem regelrechten Aufstand kam. Darauf waren die Milizen nicht vorbereitet, und das al-Rahman-Korps musste seine Truppen aus der Stadt abziehen. Die Demonstrationen haben ihr Ziel erreicht: Die Kämpfer halten sich jetzt nur noch an der Front auf, wo sie gegen das Assad-Regime kämpfen.“
Nach zähen Verhandlungen, an denen auch Abdulsattar als Delegierter teilnahm, habe die Einmischung in die zivile Verwaltung inzwischen nachgelassen, aber nicht vollständig aufgehört. Der zivile Widerstand gehe daher weiter, sagt Abdulsattar Sharaf – Widerstand gegen die Milizen, und zugleich Widerstand gegen das Regime, dass die Stadt aus der Luft bombardiert – und zunehmend auch an der Front in die Offensive geht. „Gott weiß, was die nächste Zeit bringen wird, die Ereignisse überschlagen sich gerade. Hoffentlich geht alles glatt, aber es ist gefährlich.“
Zentren der Zivilgesellschaft vernetzen zivile Initiativen, um ihre Kräfte zu bündeln, fördern den Erfahrungsaustausch der Gruppen untereinander und unterstützen die Bevölkerung bei der Selbsthilfe. So schaffen sie vor Ort Strukturen, mit deren Hilfe sich die Menschen mit friedlichen Mitteln gegen Diktatur und Dschihadismus zur Wehr setzen.
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