Aktuelle Ausgabe v. Dezember 2015

Zivilgesellschaft, die Perspektive schafft

In Daraa bieten zivile Initiativen vielfältige Ansätze für Gegenwart und Zukunft. Fachkräfte im Land zu halten, wird zentral. „Sicherheit“ und „Stabilität“ bleiben auch in der Region Daraa große Worte. Wie im übrigen Land sind dort, wo im März 2011 der Funke des Aufstands gegen die Assad-Diktatur übersprang, Strom- und Wasserversorgung Ausnahme statt Regel. Die Infrastruktur […]

Aktuelle Ausgabe v. Dezember 2015

In Daraa bieten zivile Initiativen vielfältige Ansätze für Gegenwart und Zukunft. Fachkräfte im Land zu halten, wird zentral.

„Sicherheit“ und „Stabilität“ bleiben auch in der Region Daraa große Worte. Wie im übrigen Land sind dort, wo im März 2011 der Funke des Aufstands gegen die Assad-Diktatur übersprang, Strom- und Wasserversorgung Ausnahme statt Regel. Die Infrastruktur hat unter den Kämpfen schwer gelitten, Waren des täglichen Bedarfs sind teuer. Auch im Süden zwischen Damaskus und der Grenze zu Jordanien sieht es aus wie im gesamten Kriegsgebiet, mit explodierenden Fassbomben, zerstörten Städten und einer Fluchtbewegung in Richtung Europa. Doch zeichnet Daraa eine Zivilgesellschaft aus, die den Blick nach vorne richtet.

Militärisch ist die Provinz umkämpft, doch das Regime hat in den vergangenen Monaten an Boden verloren. Damit vergrößert sich der Spielraum der AktivistInnen: Die syrische Zivilgesellschaft füllt Räume immer dort, wo Rebellen und AktivistInnen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene an einem Strang ziehen. In Daraa genießen zivile Akteure bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens deutlich größere Freiheiten als in vielen Regionen Nordsyriens, denn extremistische Milizen sind in der Provinz schwach. Eindrucksvolles Beispiel zivilgesellschaftlicher Stärke ist das Projekt Olivenzweig, das für viele Aufbruch und Hoffnung auf eine Zukunft vor Ort verkörpert. Mit neun Häusern, in denen Kindergärten, Schulen und psychosoziale Unterstützung untergebracht sind, erreicht die Initiative mehr als 3.000 Kinder. Die Räumlichkeiten sind freundlich und farbenfroh gestaltet, die BetreuerInnen organisieren regelmäßige Feste. So bieten sie den Kindern eine Alternative zum alltäglichen Krieg.

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Denn gemäß dem Duktus der syrischen Armee, „Assad oder wir brennen das Land nieder“, zerstört das Regime gezielt Infrastruktur, wo es sich zurückzieht. Das hat Kalkül: Wer sich nicht unterwirft, wird bestraft. Diese Zerstörung jeglichen öffentlichen Lebens macht es der Opposition im ganzen Land so schwer, stabile Alternativen aufzubauen. Hier setzt in der Provinzhauptstadt Daraa eine alternative Stadtverwaltung an: Ihr ist es gelungen, viele der öffentlichen Angestellten zu übernehmen und weiter Dienstleistungen anzubieten. Die Gehälter sind bescheiden, aber sie geben den Menschen mit einer finanziellen Anerkennung ein Stück Würde zurück. Für die verbliebene Bevölkerung bedeutet das wenigstens sporadische Wasser- und Stromversorgung und den regelmäßigen Abtransport von Müll. Gerade in den heißen Sommermonaten sind Wasser und Müllentsorgung zentral, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. Im westlichen Umland der Stadt Daraa haben sich AktivistInnen der ersten Stunde des Aufstands zusammengeschlossen, um diese Missstände zu bekämpfen: In Jasem und Tsil haben Freiwillige eine regelmäßige Müllabfuhr initiiert.

Bestandteil dieses Projekts, unterstützt von Adopt a Revolution in Kooperation mit medico international, ist auch Aufklärung in Gesundheitsfragen. Denn bei unzureichender medizinischer Versorgung ist Prävention unumgänglich. So planen etwa junge Frauen, alle Häuser zu besuchen, um gezielt über Hautkrankheiten aufzuklären. Betroffene Frauen würden darüber mit den in großer Mehrzahl männlichen Ärzten kaum sprechen. Das besondere Gewicht der Zivilgesellschaft in der Provinz Daraa verdeutlicht eine Konferenz, ausgerichtet vom lokalen Mediennetzwerk Nabaa. Im Herbst 2015 brachten die AktivistInnen Initiativen der Zivilgesellschaft und die oppositionelle Verwaltung zusammen, um über Auswanderung zu diskutieren. Zentrales Thema war nicht die Flucht vor Gewalt, sondern der Mangel an Fachkräften, der Daraa droht. Die AktivistInnen wollen daher ExpertInnen motivieren, sich vor Ort praktisch in den zahlreichen Zukunftsprojekten zu engagieren, statt ins Ausland zu fliehen. Denn für den Aufbau einer langfristigen Perspektive unabhängig vom Regime in Damaskus sind Fachkräfte unerlässlich.

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