Zur Kritik an Adopt a Revolution

Vorbemerkung: Die “Informationsstelle Militarisierung” (IMI) sandte einigen Beiratsmitgliedern von Adopt a Revolution am 23. März 2012 einen Text mit harscher Kritik an der deutsch-syrischen Solidaritätsinitiative. Dieser Text enthielt neben solidarischer Kritik auch sachliche Fehler. Trotz des Einwands einiger Mitglieder des Beirats veröffentlichte die IMI ihren Text mir nur geringfügigen Korrekturen, statt eine Debatte über die […]

Vorbemerkung: Die “Informationsstelle Militarisierung” (IMI) sandte einigen Beiratsmitgliedern von Adopt a Revolution am 23. März 2012 einen Text mit harscher Kritik an der deutsch-syrischen Solidaritätsinitiative. Dieser Text enthielt neben solidarischer Kritik auch sachliche Fehler. Trotz des Einwands einiger Mitglieder des Beirats veröffentlichte die IMI ihren Text mir nur geringfügigen Korrekturen, statt eine Debatte über die politischen Positionen zu suchen. Nach der Veröffentlichung antwortete Christine Schweitzer vom Bund für Soziale Verteidigung auf den Text. Im folgenden dokumentieren wir dieses Schreiben, eine Antwort der IMI gab es dazu nicht.

An
Christoph Marischka und Jürgen Wagner
IMI

Betrifft: Eure Schreiben zu Adopt a Revolution an „die Trägerorganisationen“ vom 23. März 2012 und an die deutschen Beiratsmitglieder und Unterstützerorganisationen vom 30.März

Hamburg, 4. April 2012

Lieber Jürgen, lieber Christoph,

Die VertreterInnen der deutschen Unterstützerorganisationen, Mitglieder des Beirats und Vertreter von Adopt a Revolution haben sich zweimal über Euren Text unterhalten. Ich bin gebeten worden, eine Antwort an Euch zu formulieren.

Generell schätzen wir, dass Euer Papier uns vorher zur Stellungnahme zugegangen ist, und dass Ihr in der zweiten Version des Papieres ein paar faktische Irrtümer zur Struktur der Initiative bereinigt habt. Wir wundern uns aber weiterhin, warum Ihr Adopt a Revolution (AaR) nicht direkt in den Austausch einbezogen habt. Wir hatten versucht, in unserer Antwort auf die erste Fassung des Briefes – die sich untenstehend findet – Eure Kritikpunkte anzusprechen, aber Eure neue Textversion geht leider auf diese Punkte weiterhin nicht ein, so dass jetzt doch nur die Dokumentation von Stellungnahme und Gegenstellungnahme bleibt.

1. Was Ihr ansprecht, ist eine Dilemma-Situation, die eigentlich wir alle sehr spüren und mit der wir auch nicht glücklich sind. Aus dem ursprünglich rein zivilen Widerstand ist inzwischen ein „Mix“ von gewaltlosen und gewaltsamen Widerstandsformen geworden, und die überwiegende Mehrheit der Opposition unterstützt das Vorhandensein der Freien Syrischen Armee (FSA). Sogar das ein Motto einer Freitagsdemonstration vor einigen Wochen lautete: „Bewaffnet die FSA“. Es ist ein Problem, zivilen Widerstand zu unterstützen, wenn die Partner sich nicht zu bewaffnetem Widerstand abgrenzen, ja die Bewaffnung fordern. (Nicht ihre eigene – es geht in Syrien nicht um eine Volksbewaffnung, sondern die FSA wird als ‚alternative Armee‘ gesehen.)

Nachdem Anfang des Jahres einige Staaten bereit waren, zudem auch über direktere Formen einer Militärintervention (Flugverbotszone, „humanitärer Korridor“) nachzudenken, sieht es im Moment so aus, als ob diese Intervention nicht mit eigenen Truppen (die berüchtigte Kategorie der „Berater“, wie man sie in so vielen Kriegen findet, mal ausgenommen) stattfinden, sondern das Töten und Sterben den Syrern allein überlassen werden soll. Die Bekanntmachungen und Beschlüsse der Istanbuler Konferenz Ende März, die auch eine Waffenhilfe durch die Golfstaaten in Höhe von 100 Millionen Euro in den nächsten drei Monaten beinhalten, haben die Weichen jetzt wohl endgültig in Richtung eines umfassenden Bürgerkrieges gestellt, sofern der Friedensplan von Kofi Annan nicht doch noch erfolgreich ist. Wie groß die Chancen dafür sind, ist schwer zu sagen, auch wenn die Tatsache, dass er von Russland unterstützt wird, etwas Grund zu Hoffnung gibt.

Ein solches Dilemma wird man, wenn man sich im internationalen Kontext engagiert, immer wieder erleben. (Man denke nur an die Frage der Unterstützung von bewaffneten Befreiungsbewegungen in den 70er und 80er Jahren.) Wie positioniere ich mich, wenn in einem anderen Land Menschen für Gerechtigkeit aufstehen, sie aber entweder geschlossen oder zu einem Teil den Weg eines bewaffneten Kampfes wählen? (Nur eine Anmerkung am Rande: Viele Linke, die heute die syrische Opposition kritisieren, standen damals auf der anderen Seite, als für Waffen für El Salvador gesammelt wurde oder bewaffnete Freiwilligenbrigaden in Nicaragua Erntehilfe leisteten. )

Adopt a Revolution hat sich zu einem Zeitpunkt, als die FSA noch kaum eine Rolle spielte, für den Weg entschieden, den zivilen Widerstand zu unterstützen. Solange es diesen zivilen Widerstand weiterhin gibt, sehe ich keinen Grund, mit der Unterstützung des Projektes aufzuhören. Diesen zivilen Widerstand gibt es weiterhin. Jeden Freitag gehen viele Tausende auf die Straße; im Großraum Damaskus finden bis zu 20 Proteste jeden Tag statt. Wenn in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck besteht, als ob in Syrien inzwischen überall gekämpft würde, so ist das falsch. Leider erfährt man das nur, wenn man sich die Websites und Facebook-Einträge aus Syrien selbst ansieht, denn die internationalen Medien ignorieren ihn weitgehend. Auch Al Jazeera ist da keine Ausnahme mehr – vielleicht kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Al Jazeera von denselben Golfstaaten unterstützt wird, die jetzt 100 Millionen Euro für die Aufrüstung der Freien Syrischen Armee zugesagt haben. Über enge Kontakte zu den unterstützten Komitees tut AaR sein Bestes, sicherzustellen, dass die (sehr bescheidenen) Fördermittel zweckentsprechend eingesetzt werden. Viel mehr als das Geld selbst aber ist, glaube ich, für die Syrerinnen und Syrer die symbolische Wirkung der Unterstützung von Bedeutung, nämlich das Gefühl, nicht allein gelassen zu werden. Dies ist für mich ein ganz entscheidender Aspekt: Je mehr Beachtung und Unterstützung der zivile Widerstand findet, desto größer sind die Chancen, dass es nicht zu einem flächengreifenden Bürgerkrieg in dem Land kommt. Ziviler Widerstand hat, wie Ihr ja auch anerkennt, ein sehr großes Wirkungspotential, m.E. ein größeres, als viele Menschen in Syrien derzeit glauben mögen.

2. Ohne Euch unterstellen zu wollen, dass Ihr diese Position voll teilt, so scheint mir Eure Stellungnahme doch in die Kategorie jener Kritik bestimmter linker Kreise zu passen, deren Grundproblem bei der Unterstützung des syrischen Protestes eigentlich nicht die Gewalt ist, sondern etwas ganz anderes: Nämlich dass der syrische Widerstand sich gegen ein Regime richtet, dass als eines der wenigen in der Region nicht die US / westliche neoimperialistische Politik unterstützt. Die Formulierung „So wurde zu bedenken gegeben, dass die Kampagne eine extrem einseitige Sichtweise über die Verhältnisse im Land transportiert und ihre Fokussierung auf einen anti-westlichen Akteur, während in vielen pro-westlichen Ländern Aktivisten ebenfalls unterdrückt würden, Fragen aufwerfe“, erweckt den Eindruck, dass die Situation schon nicht so schlimm sei und wenn man schon jemanden unterstützen solle, dann doch lieber jemanden, der bei der Frage nach Gut und Böse auf der „richtigen“ Seite, sprich: der anti-amerikanischen Seite verortet ist. Dieser Argumentation begegne ich tatsächlich im Moment praktisch jeden Tag, da sie auch gegen das von Andreas Buro, Clemens Ronnefeldt, Karl Grobe-Hagel und mir verfasste Dossier des Monitoring-Projektes zu Syrien erhoben wird. (Auch dieses Dossier müsste übrigens inzwischen überarbeitet werden, da sich die Situation in dem Land so schnell verändert.) Ich bin überzeugt, dass Eure Position hier differenzierter ist – schließlich kenne und wertschätze ich Eure Arbeit zu Fragen von Militarisierung sehr. Aber trotzdem haben wir hier, und ich spreche an diesem Punkt für alle UnterstützerInnen von Adopt a Revolution, tatsächlich einen nicht auflösbaren Dissens, auf den Ihr leider auch in Eurer überarbeiteten Fassung Eurer Stellungnahme überhaupt nicht eingeht:

Für mich / uns geht es bei der Beurteilung der Aufstandsbewegung um deren Anliegen um die Probleme in dem Land. Die herrschenden Regime in Syrien, dem Iran oder Nordkorea, um nur drei Länder zu nennen, die derzeit in den Schlagzeilen stehen, sind weit oben auf den Schwarzen Listen, die sich mit Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung politischer Aktivitäten und willkürlicher Staatsgewalt befassen. Ebenso wie der Irak, Saudi Arabien und manche andere enge Verbündete der USA. Mit ungleichen Maßstäben zu messen ist doch genau das, was wir den USA und den europäischen Regierungen immer wieder vorwerfen – blind zu sein bei den eigenen Verbündeten und mit Gewalt zu drohen denjenigen, die sich politisch gegen den ‚Westen‘ stellen.

3. Was ich (bzw. wir alle) sowohl in dem Papier zu Adopt a Revolution wie auch in Eurer IMI-Studie zu Syrien vermisse(n), ist eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Situation und den Anliegen der Opposition in Syrien. Euer Titel spricht provokatorisch von „Bürgerkriegspatenschaft“, aber in dem Text spielt die Arbeit von AaR dann praktisch keine Rolle. Weder setzt Ihr Euch mit den syrischen Partnern von AaR auseinander (LCC, SRGC, ASKYA), noch damit, ob Koordinierungskomitees die richtigen sind, die unterstützt werden sollten. In der von Adopt a Revolution erstellten TAZ-Beilage vom vorletzten Märzwochenende stellt Adopt a Revolution die vier Säulen des syrischen Widerstandes dar. Die Komitees, den Syrischen Nationalrat (SNC) , das Nationalkomitee für den demokratischen Wandel (NCC) und die Freie Syrische Armee. Adopt a Revolution arbeitet nur mit den Komitees zusammen und hat bisher auch nicht die andere Oppositionsarbeit kommentiert. AaR sieht es nicht als seine Aufgabe an, zu definieren, wer eine legitime Vertretung des syrischen Volkes darstellt.

Ihr schreibt, „Große Teile der syrischen Opposition fühlen sich von [dem Syrischen Nationalrat] nicht vertreten“ und zitiert Louay Hussein. Hier eine kurze Einschätzung zum Konflikt zwischen SNC und NCC: Der SNC ist sehr heterogen, besteht aus fast allen wichtigen syrischen Gruppen (religiöse, ethnische, Frauen, Jugend etc.), agiert aber fast nur im Ausland, auch wenn es Mitglieder im Inland gibt (die aus Schutz nicht benannt werden können). Er hat sich im Herbst 2011 gegründet und genoss lange Zeit die Anerkennung des Widerstandes auf der Straße. Allerdings sind die Mitglieder intern zerstritten und der Output des Rates war nach Wahrnehmung vieler SyrerInnen in letzten Monaten gleich null, was dazu führte, dass die Anerkennung des Rates bei den Protestierenden rapide gesunken ist. Auch die lange Zurückhaltung des Rates, was die Bewaffnung der FSA betraf, hat dazu geführt, dass er an Zuspruch seitens der Proteste verloren hat. Jetzt gerade ist auf dem Oppositionstreffen in Istanbul noch ein interner Konflikt mit seinen kurdischen Mitgliedern entstanden.

Der NCC besteht vor allem aus Teilen der historischen Opposition, einigen Linken und kurdischen Parteien. Sie setzen noch auf Verhandlungen mit dem Regime (wenn auch unter Bedingungen), Ein Großteil ihrer Mitglieder ist bekannt. In der Widerstandsbewegung haben sie aufgrund ihrer Verhandlungsbereitschaft von Anfang an nur sehr bedingt Zuspruch. (Es gibt sogar eine große Abgrenzung von Teilen der Proteste gegenüber den NCC).
Daraus folgt für mich, dass Eure Behauptung, dass Hussein für „große Teile“ der Opposition spreche, mindestens ebenso zweifelhaft ist wie der Anspruch des Nationalrates, die gesamte syrische Opposition zu vertreten.

4. Ihr unterstellt Adopt a Revolution, dass es eine „Plattform für Akteure und Gruppen geworden ist, die einer militärischen Eskalation das Wort reden“. Adopt a Revolution ist ein eigenständiges Projekt, getragen von seinen Mitarbeitern (dem „Team“ , wie es auf der Website vorgestellt wird, und einem Förderverein im Hintergrund. Weder die Unterstützerorganisationen noch der Beirat können als solche für Adopt a Revolution sprechen. Ferhad Ahma und Hozan Ibrahim sind beides Mitglieder des SNC, der sich für eine Bewaffnung der Freien Syrien Armee einsetzt. Die Äußerungen, die die beiden gemacht haben, sind in ihrer Funktion als SNC Mitglieder gefallen (in diesem Rahmen standen auch die Interviews) und nicht als Beiratsmitglieder von Adopt a Revolution oder als Sprecher für LCC / Askya. Dies kann ohne Probleme von jedem nachgeprüft werden, siehe z.B. das Interview von Ferhad für die Deutsche Welle vom 16. März (http://www.dw.de/dw/article/0,,15812534,00.html). Dass dies in der öffentlichen Wahrnehmung trotzdem durcheinander geht, ist in der Tat ein Problem, über das wir diskutieren. Aber eine Anmerkung sei noch erlaubt: Wenn Ihr Beiratsmitglieder zitieren wollt, dann solltet ihr auch die anderen Stellungnahmen seiner Mitglieder und unterstützenden Organisationen erwähnen – so die inhaltsreiche Website von Medico, die etliche Texte und einen Blog zu Syrien enthält, das erwähnte Dossier zum Syrienkonflikt im Rahmen des Monitoring-Projektes der Kooperation für den Frieden, das Hintergrundpapier, das ich im Bund für Soziale Verteidigung veröffentlicht habe, die Beträge in dem vom Netzwerk Friedenskooperative herausgegebenen Friedensforum – alles Papiere, die dezidiert gegen eine ausländische Militärintervention sprechen, die Bewaffnung der syrischen Opposition als Fehler bezeichnen und die teilweise genau das vorhersagen, was laut Human Rights Watch auch schon eingetreten ist: Nämlich die Eskalation von Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten.

5. Eine Klarstellung zu einiger der Fragen wird auf der Website in nächster Zeit erscheinen – entsprechende Papiere sind schon des Längeren in der Vorbereitung. Ihr habt Recht mit Eurer Kritik, dass hier ein Defizit besteht. Es geht hauptsächlich auf Arbeitsüberlastung zurück, so war z.B. ein Text zu militärischen Interventionen schon vor vier Wochen entworfen worden. Auch Aktualisierungen anderer Texte sollen in der Zukunft zügiger erfolgen, um sie der jeweils aktuellen Lage anzupassen. Wichtig ist dabei, zu sagen, dass Adopt a Revolution auf seiner Website in erster Linie versucht, den AktivistInnen ein Sprachrohr zu geben. So wurde z.B. die Erklärung der Komitees zu der Ankündigung von Al Qaida bzw. den Anschlägen auf andere religiöse Minderheiten übersetzt und auf die Webseite gestellt, aber wenig wurde auf die Gräueltaten der syrischen Sicherheitskräfte eingegangen oder auf die Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, wie sie von Angehörigen des bewaffneten Widerstandes verübt werden (s. Bericht von Human Rights Watch). Falls Ihr Euch die TAZ-Beilage vom 21./22. März anseht, die von Adopt a Revolution erstellt wurde, dann seht Ihr auch dort, wie das Projekt in der Öffentlichkeit auftritt.

6. Was die Zusammensetzung des Beirats angeht, so liegt die Entscheidung darüber allein im Ermessen von Adopt a Revolution und dem Verein, den das Team im Hintergrund hat, (about:change e.V.), die den Beirat berufen haben, und es ist nicht unsere Sache, dazu Stellung zu beziehen. Meine persönliche Position hierzu ist, dass ein Beirat kein Körper sein muss, der mit einer Stimme spricht, sondern durchaus unterschiedliche, ja sogar konträre Positionen beinhalten kann. Gewiss werden wir im Beirat über diese Fragen sprechen – aber Eure Aufforderung, wir sollten bestimmte Mitglieder ausschließen, empfinde ich als unangemessen.

Mit bestem Gruß
Christine Schweitzer
Mitglied im Beirat von Adopt a Revolution