Während des nun über 15 Monate andauernden Volksaufstands in Syrien ist es in den Kurdengebieten des Landes vergleichsweise ruhig geblieben. Zwar kommt es auch dort – wie etwa am letzten Freitag (01. 06. 2012) – immer wieder zu Demonstrationen gegen das Assad-Regime. Jedoch scheint es so, als habe sich der kurdische Teil der syrischen Bevölkerung bisher nicht mehrheitlich entschieden die Revolution entschlossen zu unterstützen. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Gescheiterter Aufstand 2004
Die Kurden werden in Syrien, wie auch in den anderen Staaten der Region benachteiligt. Die syrischen Kurden gerieten zuletzt im Jahr 2004 heftig mit der Staatsmacht an einander. Während der Unruhen im Norden Syriens wurden 30 Menschen getötet und mehr als 160 verletzt. Damals erfuhren die Kurden nur geringe Solidarität ihrer syrischen Landsleute. Eine Erfahrung, die sie heute vorsichtig sein lässt, wenn es darum geht sich mit den Aufständischen zu solidarisieren. Das Verhältnis zwischen Kurden und Arabern im Norden Syriens ist historisch belastet. In den 1960er und 1970er Jahren unternahm die damalige syrische Regierung Anstrengungen, um die Homogenität der kurdischen Gebiete aufzubrechen und den arabischen Charakter der Region zu stärken. Zu diesem Zweck wurden arabische Stämme in den entsprechenden Gegenden angesiedelt. Aus dieser Geschichte resultieren Spannungen zwischen Kurden und Arabern, die bis in die Gegenwart anhalten.
Ängste der Minderheiten und Taktierereien der PKK
Auch die Position als Minderheit im syrischen Staat spielt eine Rolle bei der Stellung, die die Kurden gegenüber der Revolution einnehmen. Auch wenn sie mit 10-15 % die größte Minderheit des Landes sind, wissen sie, dass sie auch im postrevolutionären Staat keine dominierende Stellung einnehmen werden. Das Ziel der Wortführer muss daher sein, für die eigene Bevölkerungsgruppe im Zuge eines Machtwechsels eine Verbesserung der Lage zu erreichen. In der Unübersichtlichkeit der aktuellen Ereignisse ist nicht gesichert, dass sich die Situation der Kurden in einem von der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit getragenen Staat verbessert. Die Zurückhaltung und die Sorgen werden von der Propaganda des Regimes nach allen Regeln der Kunst bedient, ebenso wie bei den anderen Minderheiten des Landes.
Die PYD, der syrische Ableger der PKK gilt als die einflussreichste politische Organisation der Kurden in Syrien. Sie stellt sich bisher gegen eine uneingeschränkte Teilnahme an der Revolution und verfolgt eigene Absichten. Diese sind nicht ohne weiteres klar. Wohlwollend interpretiert könnte die PYD abwarten und sich erst in dem Moment der Revolution anschließen, in dem der Sturz des Regimes gesichert ist, da sie eventuelle Vergeltungsaktionen ausschließen möchte. Kritischer gesehen ist auch eine Kooperation mit dem Regime nicht undenkbar. Im Kampf der PKK mit dem türkischen Staat hatte die Kurdenorganisation in der Vergangenheit bereits mit dem syrischen Regime zusammen gearbeitet. So lebte PKK-Führer Öcalan in Damaskus, bis er 1998 auf türkischen Druck hin ausgewiesen wurde. Es scheint denkbar, dass das Assad-Regime der PYD Freiräume im Kampf gegen die türkische Armee im Gegenzug dafür anbot, dass die Organisation eine massenhafte Beteiligung der Kurden an der Revolution unterbindet. Das Regime zöge aus so einer Verabredung doppelten nutzen. Es schwächt die Opposition und erhält einen Trumpf gegenüber der Türkei, deren Regierung sich seit März 2011 von einem engen Verbündeten zu einem erbitterten Gegner wandelte. Der Umgang des syrischen Regimes mit den Kurden seit Ausbruch des Aufstandes unterscheidet sich vom Vorgehen im Rest des Landes. Während Sicherheitskräfte und Milizen in vielen Regionen mit grausamer Gewalt auf Proteste reagieren wendet die Regierung in den Kurdengebieten eine andere Strategie an. Kurz nach Beginn der Unruhen im April 2011 schuf sie für mehrere zehntausend Kurden die Möglichkeit die bisher versagte Staatsbürgerschaft zu erlangen. Außerdem wurden Proteste nicht mit der gleichen Härte niedergeschlagen, wie in anderen Landesteilen. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass ein nicht unerheblicher Teil der kurdischen Bevölkerung daran zweifelte, dass es im eigenen Interesse lag sich gegen das Regime zu stellen. Die Ermordung des progressiven Politikers Meshaal Tammo im Oktober 2011 zeigte, dass das Regime aber nicht nur Zuckerbrot für die Kurden bereithielt. Tammo hatte eine Verbesserung der Lage der Kurden in einem gesamtsyrischen Kontext abgestrebt und war einer Beteiligung an der Revolution gegenüber aufgeschlossen gewesen. Die verhältnismäßige Vorsicht, mit der das Regime den kurdischen Teil der Bevölkerung behandelt mag auch mit einem weiteren Faktor zusammen hängen. Die beiden größten und strategisch wichtigen Städte des Landes Damaskus und Aleppo haben eine große kurdische Bevölkerung von jeweils mehreren hunderttausend Personen. Sie könnten den Kontrollverlust des Regimes an diesen zentralen Orten beschleunigen.
Gerade angesichts dieser wichtigen Rolle, die die Kurden zum Zünglein an der Waage machen könnte muss es sie Aufgabe der Opposition sein diese wichtige Gruppe definitiv auf die Seite der Revolution zu ziehen und die typischen Ängste der Minderheit glaubwürdig zu zerstreuen.
Uneinigkeit im Syrischen Nationalrat (SNC)
Der Syrische Nationalrat vereint eine Vielzahl von Gruppen, die am Sturz des Baath-Regimes von Präsident Assad arbeiten – unter ihnen auch Vertreter der Kurden. Unter dem Vorsitz von Burhan Ghalioun bemüht er sich um internationale Anerkennung als legitime Vertretung des syrischen Volkes. Eine Schwachstelle des SNC, dessen Mitglieder zumeist schon Jahrzehnte im Exil leben, ist dessen mangelhafte Verbindung zu den Aktivisten vor Ort, die den Aufstand unter großen Gefahren organisieren. Eine andere ist die Schwierigkeit zwischen den diversen im SNC vertretenen Gruppen einen Konsens zu erreichen. Das betrifft die verschiedensten Fragen, wie etwa jene nach der Haltung, die der Rat zum Thema militärische Intervention einnimmt. Kontrovers wird auch über die neue Gesellschaftsordnung debattiert, die in Syrien nach dem Fall Assads installiert werden soll. Hier pochen die Kurdenvertreter innerhalb des SNC auf eine weitgehende Anerkennung ihrer Rechte als Minderheit und bevorzugen eine staatliche Ordnung, die dezentral ist und Selbstverwaltung ermöglicht. Andere Mitglieder des SNC stehen solchen Tendenzen ablehnend gegenüber, unter ihnen naturgemäß Vertreter der sunnitischen Mehrheit. Sie fürchten den Zerfall des multireligiösen und multiethnischen Landes. Sie empfinden das Bestehen der Kurden auf föderalen Strukturen als Einfallstor für separatistische Bestrebungen. Umgekehrt brauchen die Kurden die Sicherheit, dass sich ihre Situation in einem neuen Staat verbessert, um sich vollumfänglich an der Revolution zu beteiligen. Hinzu kommt, dass der SNC wichtige Unterstützung von der türkischen Regierung erhält, was die Kurden misstrauisch macht. Sie fürchten Ankara könnte sich durch die Finanzierung des SNC erkaufen, dass eine neue syrische Regierung autonome kurdische Gebiete, wie sie im Irak nach 2003 entstanden sind, verhindert. Im März diesen Jahres eskalierte der Streit, woraufhin die kurdischen Vertreter ein Treffen des Rates unter Protest verließen und ihren Austritt aus dem SNC bekannt gaben. Nachdem ein Kompromiss erzielt wurde kehrten sie allerdings in das Gremium zurück. Die Nagelprobe, wie die Opposition es mit den Rechten der Minderheiten und insbesondere denen der Kurden hält steht allerdings noch bevor, wenn sich das Land vom Regime befreit hat und es darum geht eine neue Verfassung zu schreiben.
Adopt a Revolution arbeitet mit den kurdischen Aktivisten der Assembly of Syrian Kurdish Youths Abroad zusammen.