Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind – neben weiteren Faktoren – ein essentieller Gradmesser für den (Zu-)Stand einer Demokratie. Sie dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan stellen derzeit genau das dar: eine ernsthafte Gefährdung unseres Rechtsstaats und der universellen Menschenrechte. Denn jede einzelne Abschiebung in ein Land wie Syrien, das von brutaler Gewalt, willkürlicher Folter und systematischen Menschenrechtsverbrechen geprägt ist, verletzt die fundamentalen Prinzipien, die unsere demokratische Gesellschaft ausmachen. Dies gilt auch, so hart es klingt, für Straftäter und sogenannte Gefährder. Denn unsere Demokratie muss ihre Prinzipien auch dann verteidigen, wenn es schwierig wird – genau daran misst sich ihr Wert.
ABSCHIEBUNGEN IN UNRECHTSSTAATEN STÄRKEN NUR DIE FALSCHEN
Viel zu lange drücken Politik und Öffentlichkeit sich bereits, diese mitunter unbequeme Wahrheit anzuerkennen. Stattdessen werden Abschiebungen als vermeintliche Sicherheitsmaßnahme im Kampf gegen Islamismus propagiert. Eine trügerische Illusion mit weitreichenden Konsequenzen. Abschiebungen können zukünftige Terroranschläge oder Straftaten weder verhindern, noch das Risiko signifikant senken. Stattdessen profitieren von einem enttäuschten Sicherheitsgefühl am Ende lediglich radikale und rechtsextreme Kräfte wie die AfD. Oder das Assad-Regime und die Taliban. Denn es ist ausgeschlossen, dass diese Regime ohne Gegenleistung Geflüchtete aufnehmen.
Es gibt alternative, effektivere Wege, um Straftäter zur Rechenschaft zu ziehen, ohne dabei die Grundsätze unseres Rechtsstaates aufzugeben. Eine Verurteilung nach deutschem Recht und der Strafvollzug innerhalb des Landes bieten nicht nur Rechtssicherheit, sondern stärken auch das Vertrauen in unser Justizsystem. Abschiebungen hingegen senden das fatale Signal, dass Menschenrechte je nach politischer Lage verhandelbar sind. Keine Demokratie, die sich als solche behaupten will, kann sich das leisten. Auch die Abschiebung nach einer in Deutschland verbüßten Haftstrafe löst dieses Dilemma nicht, sondern verschärft es. Werden Straftäter im Herkunftsland erneut inhaftiert, stellt das eine doppelte Bestrafung dar und widerspricht damit dem deutschen Grundgesetz. Zudem werden die Kernaspekte einer Haftstrafe in Deutschland – Bestrafung, Schutz der Gesellschaft, aber auch Resozialisierung und Rehabilitation – untergraben.
Auch muss der Schutz von Opfern universal gedacht werden. Wenn Bundeskanzler Scholz Ängste schürt, indem er behauptet, Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder hätten in Deutschland nichts verloren, stellt sich zwangsläufig die Frage: Was haben sie dann in Syrien verloren? Dort leiden Frauen besonders unter der Gewalt von Extremisten und Waffengewalt. Anders als in Deutschland gibt es dort kein funktionierendes Rechtssystem, das sie schützt. Diese Realität macht deutlich, dass Abschiebungen keine nachhaltige Lösung bieten, sondern vielmehr bestehende Probleme verlagern.
DIE ILLUSION SICHERER REGIONEN
Mit rechtlichen Kniffen, wie der Ausweisung sogenannter „sicherer“ Regionen könnten die bestehenden Abschiebehindernisse ausgehebelt werden, sofern sich die Bundesregierung überhaupt um rechtliche Bestimmungen schert. In Dänemark wird seit Ende 2019 bereits syrischen Schutzsuchenden das Asyl verweigert, nachdem die dänische Regierung die Region Damaskus kurzerhand für sicher deklariert hat. Ähnliche Versuche unternehmen acht weitere EU-Staaten, indem sie durch Rhetorik statt durch Fakten sichere Gebiete ausweisen wollen. Doch der europäische Gerichtshof hat im Oktober klargestellt, dass nicht nur Teile eines Staates als sicher gelten können, sondern die Kriterien im gesamten Staatsgebiet erfüllt sein müssen.
Der Druck, schnelle Lösungen im Umgang mit Straftätern und Gefährdern zu finden, führt jedoch dazu, dass solche rechtlichen Grenzen ignoriert werden. Aber gerade der Versuch, Abschiebungen in vermeintlich sichere Gebiete durchzusetzen, untergräbt die grundlegenden Werte, die unsere Rechtsstaatlichkeit ausmachen. Man kann Assad nicht für seine anhaltende Brutalität, die Folter und die Ermordung von Hunderttausenden Menschen, die ihm missliebigen waren und sind, kritisieren und ihm gleichzeitig Menschen überstellen, die einem selbst unlieb sind. Gerade das bedingungslose Bekenntnis zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit unterscheidet unsere Demokratie von Diktaturen wie Syrien.
ES GEHT UM UNS, NICHT UM STRAFTÄTER
Die Erfahrung am Beispiel Afghanistan oder auch Irak zeigt, dass Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern oft nur der erste Schritt sind. Emotional aufgeladene Entscheidungen weiten oft das Feld des Machbaren. Ist der Dammbruch erst einmal passiert, fließt langsam mehr und mehr Wasser.
Die Gesellschaft lässt sich in dieser Debatte leicht täuschen, weil niemand Straftäter und Gefährder verteidigen möchte. Das ist nachvollziehbar. Doch gegen Abschiebung zu stehen, bedeutet nicht automatisch, Straftaten zu verteidigen. Ganz im Gegenteil: Der Einsatz für Menschenrechte ist ein Bekenntnis zur Ahndung von Unrecht. Um unsere demokratischen Werte zu bewahren, müssen wir nicht nur die Täter bestrafen, sondern auch Opfer schützen. Es geht um mehr als nur politische Entscheidungen, es geht um das moralische Fundament unserer Gesellschaft.