Seit Beginn der Revolution in Syrien meldet sich der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer regelmäßig zu Wort. Aktuell erläutert er, „woran Syrien wirklich zerbricht“ (Tagesspiegel). Er argumentiert: „Die USA schlachten das falsche Schwein“ – Assad. Todenhöfer vergleicht Syrien mit dem Irak 2002/03: „Auch damals war ich erschüttert über die Unwahrheiten, die westliche Politiker über das Land verbreiteten.“ Syrien sieht Todenhöfer nur noch als Terrorbasis der Al-Qaida und spricht von einem „Terrortsunami“. Die Lösung des Konflikts sei nur möglich, wenn man die „Propagandalügen“ entfernt, die die „Analyse erschweren“. Um den Terror in Syrien, der Region Nahost und langfristig für Europa zu stoppen, müssten die USA zwangsläufig mit Assad reden – der eh nicht die Hauptlast der Opferzahlen zu tragen habe. Persönlich abgeklärt hat Todenhöfer mit Assad bereits folgendes: „Für einen „fairen Frieden“ wäre Assad zu weitreichenden Zugeständnissen bereit.“ Todenhöfers Fazit ist folglich: „Die USA sollten nachdenken, wer gefährlicher ist: Al Qaida oder Assad.“ Mit dieser Verkürzung des syrischen Konflikts bedient Todenhöfer gängige Klischees im Westen und macht Assad für weite Kreise der deutschen Öffentlichkeit wiederholt salonfähig.
Kaum tiefer als Todenhöfer stapelt Patrick Cockburn in seinem Kommentar (Independent), in dem er sich ebenfalls über die ausländische Berichterstattung auslässt: „I can’t think of any other war or crisis I have covered in which propagandistic, biased or second-hand sources have been so readily accepted by journalists as providers of objective facts.“ Syrien sei die größte Verzerrung sei dem 1. Weltkrieg. Die Berichterstattung sei katastrophal; noch schlimmer aber sei, dass auf Basis dieser Annahmen politische Pläne entworfen würden. Cockburn hat sich kürzlich in Mittelsyrien (regimegehaltene Gebiete zwischen Damaskus und der Küste) selbst ein Bild der Lage gemacht. Die anti-Assad-Kräfte seien zwar nicht homogen, doch gebe es kaum Unterschiede mehr zwischen Islamisten und regulären Rebellen. Nicht die Ideologie, sondern das Geld zähle aktuell mehr in Syrien – so ziehen die reichen Islamisten die verarmten Rebellen an. Dass die westlichen Medien oft die anti-Assad-Linie hofierten, liege auch an der medialen Unprofessionalität des syrischen Staates. Immerhin einen Gedankengang Cockburns kann man teilen: Dass mehr Waffen (allein) den Konflikt in Syrien nicht lösen werden.
Auch der Autor Navid Kermani schrieb kürzlich über die Lage in Syrien – „Fürs gute Gewissen ist es zu spät“ (SZ). Kermani sieht keine Lösung für Syrien mehr, doch Nichtstun sei die schlechteste Handlungsvariante für Syrien. Trotz der Katastrophe in Syrien schwiegen die Intellektuellen und Literaten hierzulande – obwohl Syrien eine Somalisierung drohe. Aufgrund der Geografie sollte Syrien die Europäer interessieren, sei es auch nur aus reinem Egoismus über die eigene Sicherheit. Kermani beklagt die Einmischung der vielen ausländischen Kräfte, aber noch viel mehr, dass sich niemand von außen – und v.a. nicht der Westen – für Demokratie engagiere. Die Involvierung islamistischer und konfessionell agierender Kräfte benennt Kermani, allerdings sei der Konflikt noch nicht vollends in einen konfessionellen Konflikt umgeschlagen. Das Regime und die islamistischen Kräfte befeuerten allerdings beide nach Kräften das konfessionelle Element des Konflikts. Was allerdings selten hervorgehoben wird in Europa: Die syrischen Kirchen haben mit ihrer Assad-Treue und dem Schweigen über die Regimegewalt die Lage der Christen in Syrien nicht befördert. Europa habe sich aufgrund der Geschichte nicht als Oberlehrer der Toleranz zu benehmen, wohl aber andere Staaten über den Irrweg der ethnischen Säuberungen zu warnen. Hier appelliert Kermani: „Wer, wenn nicht die Menschen des Wortes, wären verpflichtet, an die Verantwortung zu erinnern, die Europa damit auch für Syrien trägt?“
Ein sehr gutes und ausführliches Interview zu Syrien bietet die Heinrich-Böll-Stiftung mit der HBS-Büroleiterin Beirut, Bente Scheller. Sie geht auch auf die gezielte Politik des Regimes ein, den Konflikt zu konfessionalisieren und zu brutalisieren. Die Regierung habe damit bewusst auf den wunden Punkt des Westens gezielt: Die Angst vor Islamismus und Extremismus. Das Regime versuche daher, sich als Bollwerk gegen diese Strömungen zu porträtieren, was gut funktioniert habe: „Man sieht, dass die Angst davor einen Großteil der [westlichen] Berichterstattung prägt.“ Die fehlende Solidarisierung mit den SyrerInnen in Deutschland sieht Scheller als Problem. Trotzdem könnte z.B. Deutschland die Hilfen ausbauen; so sollte mehr für die Binnen-, v.a. aber auch die Exilflüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens getan werden. Die Aufnahme von Flüchtlingen und syrischen Angehörigen in Deutschland könnte erleichtert werden.
Der Tagesspiegel hat zudem den libanesischen Schriftsteller Elias Khoury zur Lage in Syrien interviewt. Khoury erinnert daran, dass in Syrien alles mit einer Revolution begann und skizziert die Entwicklung des Konflikts analog der Taktik des Regimes. Khoury scheint optimistisch, dass die Revolution letzten Endes erfolgreich sein wird – auch wenn sie noch lange dauern mag. Was allerdings droht – vorangetrieben durch das Regime – ist eine regionale konfessionelle Eskalation. Dass manche (mittlerweile) das Regime für das kleinere Übel halten, lehnt Khoury ab: „Ich glaube nicht, dass es etwas Übleres als eine Diktatur und eine faschistische Partei wie die Baath-Partei gibt, die das Land regiert“, weiter: „Unabhängig davon möchte ich ungern darüber belehrt werden, wer oder was das kleinere oder größere Übel ist. Es ist einzig die Sache der syrischen Bevölkerung, darüber zu entscheiden.“ Eine Krise der Intellektuellen beklagt Khoury, fordert dann aber entschlossen: „Und wir [Intellektuellen] müssen für Hoffnung sorgen in einer Situation, in der Hoffnung rar ist. Das ist besser als in Angst zu erstarren beim Gedanken daran, was nach dem Fall des Regimes eventuell passieren könnte. Lassen wir das Regime zusammenbrechen und packen wir es an!“
Bassam Haddad, Editor bei Jadaliyya, fragt im „dritten bangen syrischen Sommer“ erkennbar pessimistisch: „What should one write about?“ Er zählt dann die verschiedensten Stränge und Ansätze auf, über die man zum Thema Syrien seit 2011 schreiben kann/konnte. Diese sicher unvollständige Aufzählung – innen-, sicherheits-, außenpolitische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Themen – verdeutlicht die vielen Dimensionen, die in Syrien nun wirken bzw. den Konflikt mitpräg(t)en. Zu einem Schluss kommt Haddad jedoch. Es gebe problematische Narrative, die weder der Situation gerecht werden noch den SyrerInnen vor Ort helfen würden: „Romanticizing the uprising despite the ugliness of significant parts of the “revolution” or denying its original legitimacy in favor solely of pointing to external conspiracies do not serve Syria, the Syrian people, or the peoples of the region. But these poles continue to dominate the discursive sphere.“
Die Traurigkeit über das für Haddad nun recht sinnfreie Schreiben bricht am Ende durch: „At the risk of sounding like a broken and dull record . . . one may, I assume, write something, though none of this will reduce or even limit the pain of Syrians and a Syria that is being gradually eroded, with its good and bad.“
Man kann Haddads Pessimismus teilen, jedoch zeigen die lokalen Initiativen und Komitees, dass es sich lohnt, weiterhin über Syrien zu schreiben. Die Arbeit der Komitees und AktivistInnen geht vor Ort weiter. Diese Arbeit nach außen zu transportieren und mit zivilgesellschaftlicher Solidarität zu unterstützen, ist Hauptantrieb für das Team von Adopt a Revolution.
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