In einem Interview mit The Syrian Observer berichtet Yasser Munif über seine Beobachtungen und Erfahrungen der alternativen Verwaltungsstrukturen in der Stadt Manbij, welche im Gouvernorat Aleppo nur 30 Minuten von der türkischen Grenze entfernt liegt. Trotz des Mangels an Know-how und Finanzierung habe die Stadt viele Institutionen wieder aufbauen können. Die Situation ist durchaus eine Herausforderung, so hat sich die ursprüngliche Bevölkerung von 200.000 aufgrund des Zuzugs von Binnenflüchtlingen nicht nur verdoppelt; die Stadt war auch immer wieder Gewalt seitens des „Islamischen Staates im Irak und der Levante“ (ISIS) ausgesetzt. Zudem leben viele wirklich arme Menschen in der Stadt, die sich von Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Tee und Zucker ernähren müssen. Obst oder Gemüse können sie sich schon lange nicht mehr leisten.
Die alternativen Institutionen zum früheren Staat, die in Manbij aufgebaut werden konnten, sind konkret: ein Revolutionsrat, ein Sharia-Gericht und eine Polizei. Der Polizei gehören bisher nur 60 Personen an. Es ist ihnen nicht möglich, die 80 Brigaden in den Griff zu bekommen, die versuchen, Kontrolle über die Stadt auszuüben – aber es ist ein Anfang. Zudem wurde die erste und bisher einzige Gewerkschaft gegründet. Sie ist bereits aktiv in der Forderung nach höheren Löhnen. Zur Frage, ob die lokale Bevölkerung diese Ordnung akzeptiert, meint Munif, dass sich die Revolutionäre teilweise durchaus von der Bevölkerung entfremdet hätten. So durften „Nicht-Revolutionäre“ nicht bestimmten revolutionären Institutionen beitreten. Munif erläutert, dass die Institutionen bisher keine Wege der Selbstfinanzierung gefunden hätten. Zudem weist er auf das scheinbare Paradox hin, dass das Regime zwar strukturell nicht mehr in der Stadt vorhanden sei, aber durch das Zahlen von Gehältern an all jene, die nicht offen als Revolutionsbefürworter bekannt seien, an seiner Zukunft arbeite: der Möglichkeit, eines Tages nach Manbij zurückkehren zu können. Dies ginge sogar so weit, dass ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen ihr Gehalt in Aleppo abholen müssten: Auf dem Weg dorthin müssen jene mehrere Regimecheckpoints passieren und müssen somit darauf achten, in Manbij nicht zu offen revolutionär aktiv zu sein. Damit hat sich das Regime ein Instrument der indirekten Kontrolle erschaffen.
Informed Comment berichtet, dass sich während der Evakuierung von ZivilistInnen aus dem seit über einem Jahr belagerten Homs Dutzende Frauen geweigert haben, die Gegend ohne ihre männlichen Verwandten zu verlassen.Wie der SPIEGEL zuvor berichtete, ist es männlichen Personen zwischen 15 und 55 Jahren nicht gestattet, die belagerte Gegend von Homs zu verlassen. Was mit jenen Personen nach der Evakuierungsaktion geschehen wird, ist unklar, lässt jedoch Schlimmes vermuten. Bereits zuvor hatte das Regime in anderen Regionen, z.B. dem Großraum Damaskus, nach Zusagen der sicheren Passage gerade Männer gezielt an den Checkpoints festgehalten. Update, 11.02.: Ab Sonntag wurden laut Berichten des SPIEGEL auch Männer zwischen 15 und 55 Jahren aus den belagerten Gebieten herausgelassen. Allerdings beschuldigt das Hilfswerk UNHCR die syrische Regierung, 300 Männer zwischen 15 und 55 Jahren festgenommen zu haben. Laut dem Gouverneur von Homs müssten diese Männer zunächst einen “juristischen Prozess” durchlaufen.
Jasmenco ist ein Kurzfilm, der die Unvorhersehbarkeit der Gewalt in Syrien durch eine musikalische und tänzerische Ausdrucksweise zeigen soll. Drei Geschwister tanzen Flamenco in einem zerstörten Altstadthaus. Es fallen Schüsse, sie tanzen weiter. Tatsächlich sei wenige Minuten nach dem Dreh des Kurzfilms eine Mörsergranate in unmittelbarer Nähe des Aufnahmeorts niedergegangen.
Auf alsharq beschäftigen sich Thomas Claes und Ilyas Saliba mit der Reduzierung des Syrien-Narrativs auf die Formel „Assad gegen die Islamisten“. Insbesondere Jürgen Todenhöfers Position stehe hier symptomatisch für die zunehmende Überbetonung der Rolle von Islamisten im syrischen Konflikt. Dies birgt eine klare Gefahr „[d]enn eine unkritische Übernahme der Position des Entweder-Oder bedeutet letztlich eine Kapitulation, intellektuell, moralisch und politisch“, so die Autoren. In einem vor den Verhandlungen von Genf II veröffentlichten Artikel positioniert sich Todenhöfer deutlich für Assad. Er reduziert nicht nur die Opposition auf bewaffnete fundamentalistische Islamisten und ignoriert damit die Vielfalt selbst dieser Strömung, sondern blendet die zivile oppositionelle Bewegung in Syrien aus. Todenhöfer formuliert zudem die These, dass Assad bisher aufgrund seines – im Westen – unterschätzten Rückhaltes im Volk nicht gestürzt wurde. Keine Erwähnung findet die aktive Unterstützung Assads durch Hisbollah-Kämpfer und iranische Revolutionsgarden, welche zu einer Konfessionalisierung und Internationalisierung des Konflikts geführt hat.
Zudem argumentiert Todenhöfer in einer deutlichen „Westen-Syrien-Dichotomie“, wenn er glaubt, dass Assad langfristig die beste Lösung für Syrien sei: „Gewiss, für den Westen mag die Gewaltherrschaft Assads kurzfristig mehr Sicherheit bringen. Nicht jedoch für die Menschen in Syrien, deren Leben tagtäglich durch Fassbomben und Folterkeller ebenso bedroht ist wie durch die Belagerung und Blockade ganzer Stadtviertel. Dennoch kommt mit dieser Behauptung unweigerlich eine Politik zum Vorschein, die in der Vergangenheit oftmals dazu beigetragen hat, arabische Diktatoren an der Macht zu halten.“ Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass die Befolgung von Todenhöfers Ratschlag eher die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung beinhaltet und somit Verhandlungen wie Genf auch immer ein Risko bergen: „Mit direkten Verhandlungen zwischen dem Westen und dem Assad-Regime geht nämlich zwangsläufig eine Marginalisierung der syrischen Opposition einher. Wenn die gemäßigte syrische Opposition und ihre politischen Organe bei den Friedensverhandlungen unter den Tisch fallen, dann würden die radikalen Kräfte des militärischen Widerstands noch mehr Zulauf bekommen und Todenhöfers Szenario würde zur selbsterfüllenden Prophezeiung“.
In einem Promovideo erzählt der Filmemacher Monzer Darwish über die Heavy Metal-Szene in Syrien während der Revolution. Das Narrativ über die Musikszene und die Revolution verschwimme eindeutig: „Syrien metalheads have been caught in two battles, the old one against society and the new with the country´s current war. And once upon a time, they were warriors.”
Für eine wöchentliche Zusammenfassung unserer Beiträge im Syrischer Frühling-Blog schicken Sie uns doch einfach eine E-Mail an: newsletter[ätt]adoptrevolution.org.
Dieser Beitrag ist lizensiert als Creative Commons zur freien Verwendung bei Namensnennung. Bei kommerzieller Weiterverwendung bitten wir um eine Spende an Adopt a Revolution.