alternative Medien, humanitäre Hilfe, Giftgas-Untersuchungen

Die Süddeutsche Zeitung berichtet von der unabhängigen Zeitung Souriatna (deutsch: “unser Syrien”), die innerhalb Syriens sowie in den Flüchtlingslagern im Libanon und der Türkei kostenlos verteilt wird. Sie gehört zu den hunderten von neuen Zeitungen, Radious und Internet-Publikationen, die seit Beginn der Aufstände entstanden sind. Da Souriatna alle SyrerInnen erreichen soll, setzen ihre MacherInnen auf Print, […]

Die Süddeutsche Zeitung berichtet von der unabhängigen Zeitung Souriatna (deutsch: “unser Syrien”), die innerhalb Syriens sowie in den Flüchtlingslagern im Libanon und der Türkei kostenlos verteilt wird. Sie gehört zu den hunderten von neuen Zeitungen, Radious und Internet-Publikationen, die seit Beginn der Aufstände entstanden sind. Da Souriatna alle SyrerInnen erreichen soll, setzen ihre MacherInnen auf Print, denn in Städten wie Aleppo haben Menschen nur für ein paar Stunden am Tag Strom. Für den Herausgeber der Zeitung, der unter dem Decknamen Jawad Al Muna arbeitet, sind unabhängige Medien wie Souriatna ein essentieller Teil der Revolution: “Wir wollen Syrien demokratisch machen. Dafür brauchen wir unabhängige Medien, die nah an den Menschen sind”. Allerdings ist auch in den vom Assad-Regime befreiten Gebieten die Situation für die Journalisten von Souriatna oft schwierig. In vom IS kontrollierten Städten wie Raqqa können sie nur verdeckt arbeiten und als die Zeitung im vergangenen Januar „Je suis Charlie“ auf ihren Titel brachte, wurden Redaktionsräume von vermutlich der Nusra-Front nahestehenden Kämpfern zerstört. Die Arbeit der Zeitung wird durch internationale Kooperationspartner, darunter auch Adopt a revolution, ermöglicht. Die Arbeit stehe aber dennoch immer “auf brüchigem Fundament”: in Syrien selbst gibt es kaum noch Finanzierungsquellen und ausländische staatliche Geldgeber leisten fast ausschließlich humanitäre Unterstützung.

Das diese Art von Gegenöffentlichkeit in Syrien notwendig ist, zeigt auch ein Blick auf die offizielle Berichterstattung: In den Teilen des Landes, die noch vom Assad-Regime kontrolliert werden, versucht die Regierung krampfhaft, eine Fassade der Normalität aufrechtzuerhalten, wie eine Reportage des Wall Street Journal beschreibt. Opernaufführung, die nur durch behelfsmäßige Stromgeneratoren möglich sind, und Poolpartys trotz Wasserknappheit in Damaskus; volle Badestrände und ausgebuchte Hotels in Tartous und Lattakia, nur einige Kilometer von der Front entfernt – den Eindruck zu erzeugen, dass die Dinge ihren geregelten Lauf gingen, gehöre zu den Legitimierungsgrundlagen der Regierung. Dementsprechend finden sich auf den verschiedenen Medienkanälen des Regimes – sei es im Fernsehen oder auf Instagram und Twitter – zwischen Berichten von der Front ständig Bilder von Bashar und Asma Al Assad beim Besuch des syrischen Paralympics-Team, von Festprozessionen oder Salsa-Partys.

Der Alltag eines großen Teils der Bevölkerung sieht freilich anders aus. Die Internetplattform Damascus Bureau veröffentlichte diese Woche eine Reihe von ins Englische übersetzten Augenzeugenberichten, zum Beispiel aus Aleppo, der Stadt im Norden Syriens, die  von der Frontlinie in eine von der Regierung und eine von ihren Gegnern kontrollierten Bereich geteilt wird. Im Viertel Bustan al Qasr befand sich lange der letzte Übergang von der einen Seite auf die andere – den Einheimischen bekannt als die Passage des Todes. Eine junge Frau berichtet von ihrer kurzen Reise durchs Niemandsland, die im Visier der Scharfschützen zu einer Ewigkeit wird. Für die BewohnerInnen der Stadt zieht derweil noch eine weitere Bedrohung herauf: Wie ARA News am vergangenen Freitag berichtete, haben IS-Truppen ihre Belagerung einer strategisch wichtigen Stadt im Norden Aleppos verstärkt, deren Eroberung ihnen die Kontrolle über weite Teile des Umlands ermöglichen könnte – essentiell für die Versorgung der noch von der Opposition gehaltenen Stadtteile.

Während 420 000 vom Bürgerkrieg eingekesselte Menschen in Syrien keine humanitäre Hilfe durch Hilfsprogramme der Vereinten Nationen mehr erhalten können, wie UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien dem Sicheheitsrat in New York am vergangenen Donnerstag berichtete, hat der UN-Sonderbotschafter für Syrien, Staffan de Mistura, einen neuen Ansatz für die Vorbereitung von politischen Verhandlungen präsentiert: In vier Arbeitsgruppen, koordiniert von einer internationalen Kontaktgruppe, sollen die „relevanten Kräfte Syriens“ Lösungen zu Fragen wie dem Schutz der Zivilbevölkerung, Sicherung der Grundversorgung, Wiederaufbau und militärischen Problematiken vorlegen. Die Frage nach der Beteiligung von Vertretern des Assad-Regimes oder gar Bashar Al Assad selbst soll bewusst noch nicht diskutiert werden. Auch wenn sich im Ausland präsente syrische Oppositionelle an dem neuen Prozess beteiligen sollten, ist fraglich, ob sich die in Syrien kämpfenden Gruppen daran gebunden fühlen würden.

Zumindest gegenüber der Öffentlichkeit macht sich Bashar Al Assad über die Frage nach seiner Nachfolge allerdings keine Sorgen: Wie er dem Hisbollah-Sender Al Manar anvertraute, zählt er auf die Unterstützung Russlands und des Iran, die im Gegensatz zu den USA und dem Westen ihre Verbündeten nicht im Stich ließen. Einen ausführlichen Bericht über das Interview gibt es von der Nachrichtenagentur SANA.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte derweil, dass ein internationales ExpertInnenteam, das den Einsatz von Giftgas gegen die Zivilbevölkerung in Syrien untersuchen soll, sobald wie möglich seine Arbeit in Syrien und den angrenzenden Ländern aufnehmen soll, soweit der Sicherheitsrat in den kommenden Tagen kein Veto einlegt. 90 Tage nach Beginn der Mission soll es einen ersten Bericht vorlegen. AktivistInnen vor Ort berichteten, dass Truppen der Regierung immer wieder Fassbomben mit Giftgas über Wohngebieten abwerfen.

Zudem mehren sich die Berichte, dass die Truppen des Islamischen Staates ebenfalls über Giftgas verfügen. Laut der Syrian American Medical Society und anderen Hilfsoganisationen wurden vergangene Woche nach einem Mörserangriff der Islamisten auf eine von der Freien Syrischen Armee verteidigten Ort in der Nähe von Aleppo über 50 Personen mit Symptomen behandelt, die auf den Einsatz von Senfgas hindeuten, so die Washington Post. Ähnliche Berichte gab es schon zuvor aus anderen Teilen Syriens und dem Irak.