Amude: Den Frieden bewahren

Wie ein von Adopt a Revolution unterstütztes Zentrum der Zivilgesellschaft die friedliche Koexistenz im Norden Syriens fördert, um der Instrumentalisierung alter Konflikte vorzubeugen.

Das Erbe der Diktatur wiegt schwer in Syrien – auch an jenen Orten, die während des Krieges von der schlimmsten Gewalt verschont blieben. Ein von Adopt a Revolution unterstütztes Zentrum der Zivilgesellschaft versucht in Amude deshalb, den Austausch zwischen den diversen ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen zu fördern. „Das Baath-Regime hat regiert, indem es die Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielte“, erklärt Abdelrahim. Er ist einer der Koordinatoren des Zentrums und studierte arabische Literatur. „Schon Anfang der 70er begannen sie, den sogenannten ‚arabischen Gürtel’ zu errichten, ein gewaltiges Arabisierungsprojekt, in dessen Rahmen zehntausende Kurden enteignet wurden, und man arabische Bevölkerung aus Aleppo und Raqqa rund um die kurdischen Ortschaften ansiedelte und sie so voneinander trennte.“

2004 kommt es bei einem Fußballspiel zwischen Deir ez-Zor und dem Nachbarort Qamishli zu Ausschreitungen, nachdem die Fans der Gastmannschaft rassistische Gesänge angestimmt und den irakischen Diktator Saddam Hussein gefeiert hatten, der Ende der 80er zehntausende Kurden mit Giftgas massakriert hatte. „Statt als Mediator zu agieren, stellte sich das Regime auf die Seite der arabischen Fans“, erinnert sich Abdelrahim. Die Sicherheitsdienste eröffnen das Feuer auf die sich formierenden kurdischen Demonstranten vor den Toren des Stadions, woraufhin es zu Protesten in ganz Nordsyrien kommt. Das Assad-Regime schlägt sie gewaltsam nieder. Dazu bewaffnet es auch einen lokalen arabischen Clan, der bis heute in der Region die Assad-loyale Miliz National Defence Forces dominiert.

Altes Misstrauen

„Viele Kurden entwickelten das Gefühl, dass Araber für ihr Leid verantwortlich sind, ohne wirklich zu unterscheiden zwischen dem Regime, mächtigen Arabern und einfachen Menschen. Araber beäugten Kurden immer kritisch als Separatisten und die Christen fühlten sich seit jeher bedrängt und waren deshalb isolationistisch“, erklärt Abdelrahim. „Deswegen fühlten wir die Notwendigkeit, Konflikten entgegenzuwirken – wir fürchteten, dass das Regime diese nur zu aktivieren brauchte, wie es das schon so oft getan hatte, um zurückzukehren.“

Und so gründen sie 2013 das Newroz-Zentrum. Zuvor waren Abdelrahim und seine Mitstreiter bereits in den Lokalen Koordinationskomitees aktiv gewesen. Diese Keimzellen der Revolution bildeten in den ersten Jahren das Herz des friedlichen Widerstands. Doch mit der zunehmenden Militarisierung sahen sie ihre Spielräume immer weiter schrumpfen. „Syrien soll ein ziviler Staat werden, geführt von Zivilisten“ – diese Kernforderung der syrischen Revolution ist noch immer ihr Leitmotiv. Doch damit sie Realität werden kann, gilt es, die Kapazitäten aufzubauen, die die Diktatur so lange im Ansatz zu ersticken wusste. Dazu soll das Newroz-Zentrum beitragen.

„Viele Kurden waren 2011 besonders enthusiastisch, als die Revolution begann“, erzählt Abdelrahim. Viele ihrer arabischen Nachbarn seien jedoch anfänglich zögerlich gewesen, was das alte Misstrauen bestärkte. Später hätten sie dann alle Seite an Seite gegen Assad demonstriert – bis der Ruf nach Föderalismus lauter und die kurdische Flagge dominanter wurde.

Demonstration während des Qamishli-Aufstands von 2004

Die panarabische Ideologie

Diese Skepsis gegenüber dem Föderalismus entstamme vor allem der arabisch-nationalistischen Ideologie des Regimes, meint Abdelrahim. „Das Baath-Regime hat diesen arabischen Chauvinismus schon in der Schule verbreitet und das hat natürlich Folgen“, sagt er. „Ein anderer Aspekt ist tatsächlich die Furcht vor einer Spaltung des Landes – aber das ist weniger wichtig als die Regime-Ideologie.“

Mustafa, der Direktor des Zentrums wirft ein: „Das Regime hat immer Probleme angeheizt – doch es gab immer auch viele Menschen, die ihnen entgegenwirkten. Das Regime hat sich so sehr an der kurdischen Flagge auf Demonstrationen in mehrheitlich arabischen Städten gestört, weil Einheit die größte Gefahr für Damaskus ist.“

Hinzu kommt mittlerweile auch die türkische Propaganda, die den Föderalismus als solchen diffamiert und Konflikte anzuheizen versucht.

Wenn sie friedliche Koexistenz forderten, so bedeute das jedoch trotz aller Widrigkeiten nicht, dass es diese nicht gebe: „Aber es geht uns darum, an ihr zu arbeiten, es besser zu machen und diesen Zustand permanent festzuschreiben.“

Druck von der Politik

Wann immer sich etwas politisch tue, bestehe Redebedarf. Das Referendum in Irakisch-Kurdistan habe etwa bei vielen noch einmal die Furcht vor Unabhängigkeitsbestrebungen wachgerufen. Auch die Reform des Schulcurriculums im Norden sorge viele arabische und christliche Familien. „Wir schauen uns dann an, wer eine nennenswerte Basis hat, wer Charisma hat, um Menschen zu überzeugen. Solche Leute versuchen wir von allen Seiten zusammenzubringen, sodass sie diese Probleme und ihre Lösung hier debattieren können“, sagt Abdelrahim. „Das können auch Stammesälteste oder Kleriker sein, die dann in ihre Gemeinden wirken und diesen Gedanken der Einheit verbreiten und der Instrumentalisierung alter Konflikte vorbeugen.“

Dabei steht ihnen allzu oft die autoritäre Politik der dominanten kurdischen Partei PYD im Weg. Die Behörden fordern Genehmigungen für jede einzelne Aktivität, die sie durchführen wollen. Bei größeren Veranstaltungen braucht es zusätzlich noch die Genehmigung der Asayish, der Polizeikräfte. Hinzu kommt eine generelle Registrierungspflicht für zivile Organisationen – vielen Initiativen erhielten im Laufe dieses Prozesses keine Genehmigung und mussten dichtmachen. Das Newroz-Zentrum erhält seit Monaten überhaupt keine Antwort von den Behörden, macht aber weiter.

„Solange sich die politischen Fraktionen in dieser Region nur auf einzelne ethnische oder religiöse Identitäten berufen, solange wird es keinen echten Frieden, keine echte Koexistenz geben“, meint Abdelrahim. „Aber ob im Irak oder im Libanon – die Vergangenheit hat doch so oft gezeigt, dass das keine Lösung ist.“

Jan-Niklas Kniewel