Befragung syrischer Flüchtlinge in Deutschland – Hintergründe

Am 7. Oktober stellen wir auf der Bundespressekonferenz in Berlin die Ergebnisse der ersten großen Umfrage unter syrischen Flüchtlingen in Deutschland vor. In den vergangenen beiden Wochen haben wir fast 900 syrische Flüchtlinge befragt, warum sie geflohen sind und unter welchen Bedingungen sie sich vorstellen könnten, nach Syrien zurückzukehren. Hier finden Sie die Hintergründe zur […]

Am 7. Oktober stellen wir auf der Bundespressekonferenz in Berlin die Ergebnisse der ersten großen Umfrage unter syrischen Flüchtlingen in Deutschland vor. In den vergangenen beiden Wochen haben wir fast 900 syrische Flüchtlinge befragt, warum sie geflohen sind und unter welchen Bedingungen sie sich vorstellen könnten, nach Syrien zurückzukehren. Hier finden Sie die Hintergründe zur Befragung und die zentralen Ergebnisse.

Zur Zusammenfassung

A. Ziel der Befragung
Mit der Ankunft zehntausender syrischer Flüchtlinge in Europa verändert sich die Debatte über Fluchtursachen und lässt hierzulande die Diskussion über die europäische Syrienpolitik wieder aufleben. Bisher wurde jedoch maßgeblich über die syrischen Flüchtlinge gesprochen, anstatt ihre Meinung in die Debatte aufzunehmen. Diese erste, umfangreiche Umfrage unter geflüchteten SyrerInnen in Deutschland ist ein Versuch, diese Lücke zu füllen. Die Betroffenen wurden nach nach ihren Fluchtgründen befragt und dazu, wie sie ihre Zukunft planen. Dementsprechend umfasst die Umfrage zwei Themenkomplexe: Zum einen Fragen nach Fluchtgründen bzw. Ursachen der Vertreibung aus Syrien, zum anderen Fragen, wie sich Syrien verändern müsste, damit Menschen nicht fliehen müssten oder sogar zurückkehren könnten. Darüber hinaus wurden im Rahmen Befragung allgemeine Einstellungen zur internationalen Syrienpolitik abgefragt.

B. Kernaussagen
1. Die Menschen fliehen vor unmittelbarer Gefahr für ihr Leben. Die mit Abstand am häufigsten angegebene Fluchtursache ist Gefahr für Leib und Leben. Andere Ursachen, etwa ökonomische Gründe oder das Ziel, einen europäischen Pass zu erhalten, spielen kaum eine Rolle.

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Abbildung 1: Hauptgrund der Flucht

2. Die Gewalt des Assad-Regimes ist der zentrale Fluchtgrund. Die Befragten bezeichnen den bewaffneten Konflikt (92%), die Angst vor Verhaftungen und Entführungen (86%), sowie Fassbomben (73%), jeweils als unmittelbare Gefahr für ihr Leben. Bei all diesen Gründen gibt es eine klare Zuordnung der Gewalt zur Regierung von Bashar al-Assad als Hauptverantwortlichen. Über zwei Drittel gaben an, dass die Assad-Armee und ihre Alliierten für bewaffnete Kämpfe verantwortlich waren, weniger als halb so viele nannten hier den so genannten ,Islamischen Staat‘ (IS). Das Assad-Regime ist zudem mit Abstand derjenige Akteur, von dem die Befragten am meisten Angst hatten, festgenommen oder entführt zu werden (77%) gefolgt von IS mit 42%. Da nur die Syrische Armee Fassbomben einsetzt ist auch diese Fluchtursache dem Assad-Regime zuzuordnen. Weitere bewaffnete Gruppen wurden bei beiden Fragen nach Kämpfen und Festnahmen bzw. Entführungen mit deutlich unter 20% genannt.

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Abbildung 2: Verantwortlichkeit für bewaffnete Auseinandersetzungen (mehrere Antworten möglich)

3. Über die Hälfte der Befragten würde nur in ein Syrien ohne Assad zurückkehren, eine kleine Minderheit (8%) möchte dauerhaft bleiben. Für 52% ist eine Rückkehrbedingung, dass Bashar al-Assad geht, deutlich mehr als dafür, dass der IS das Land verlässt (44%). Die Alternative ist offenbar Demokratie, da für 42% freie Wahlen eine Voraussetzung sind, nach Syrien zurückzukehren. Die abstraktere Bedingung, dass „der Krieg enden muss“ erhält jedoch mit 68% die höchste Zustimmungsrate.

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Abbildung 3: Voraussetzungen für Rückkehrmöglichkeit (mehrere Antworten möglich)

4. Für eine Mehrheit ist eine Flugverbotszone das wirksamste Mittel, weitere Vertreibung zu reduzieren. Befragt nach Handlungsoptionen der EU und der internationalen Gemeinschaft, um die weitere Flucht von Menschen aus Syrien zu reduzieren, gaben 58% die Einrichtung einer Flugverbotszone an. Es folgten der Stopp von Waffenlieferungen an alle Kriegsparteien in Syrien (38%) und mehr humanitäre Hilfe für Syrien, das nur noch 24% als Möglichkeit sahen, die Vertreibung zu vermindern.

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Abbildung 4: Handlungsoptionen der internationalen Gemeinschaft (mehrere Antworten möglich)

C) Angaben zu den befragten Personen
Bei der Abfrage von Daten der befragten Personen ergab sich, dass eine breite Mehrheit (65%) Syrien erst im Jahr 2015 verlassen hatte, gefolgt von den Fluchtjahren 2013 (12%), 2014 (10%) und 2012 (7%). Eine große Mehrheit (88%) gab an, männlichen Geschlechts zu sein und von der Altersstruktur her war die größte Gruppe der Interviewten zwischen 16 und 25 Jahren alt (45%). Der Anteil in höheren Altersgruppen nimmt kontinuierlich ab: 26-35 Jahre (34%), 36-45 Jahre (15%), 46-55 Jahre (6%). Die Mehrheit (61%) gab an, keine Kinder zu haben. Die zufällig ausgewählten TeilnehmerInnen stammen aus allen syrischen Provinzen.

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Abbildung 5: Herkunft der Befragten

D) Hinweise zur Methodik der Befragung
Die Befragung wurde in der Zeit vom 24.09. bis 2.10.2015 durchgeführt. Insgesamt wurden 889 SyrerInnen, die sich in Deutschland aufhalten, mithilfe eines standardisierten Fragebogens befragt. Die Befragung erfolgte vor zwölf Erstaufnahmeeinrichtungen, Flüchtlingsheimen und Registrierungsstellen in Berlin, Hannover, Bremen, Leipzig und Eisenhüttenstadt.

Da zum Zeitpunkt der Erhebung keinerlei repräsentative Stammdaten über die Befragungsgruppen vorlagen (etwa der Anteil Frau/Männer, Alter etc.), wurden Orte für die Befragung ausgewählt, die für alle Flüchtlinge, unabhängig von politischen Meinungen oder sozialen Merkmalen, relevant sind. Dies gilt insbesondere für Registrierungsstellen für Flüchtlinge und Wohnheime, auf die Flüchtlinge verteilt werden. Darüber hinaus wurde die Befragung in fünf Städten in Deutschland durchgeführt, um mögliche Gruppentendenzabbildungen zu vermeiden. Die Auswahl der befragten Personen erfolgte über eine direkte Ansprache beim Betreten oder Verlassen einer Einrichtung oder Registrierungsstelle. Alle Personen, die angaben, aus Syrien zu kommen, wurden um eine Teilnahme gebeten.

Dementsprechend handelt es sich bei der Befragung also nicht um eine Repräsentativbefragung im eigentlichen Sinn und Interpretationen der Ergebnisse sollten im Einklang mit den Beschränkungen durch das Untersuchungsdesign erfolgen.

Für die Datenerhebung wurde eine Kombination aus Face-to-Face-Interviews sowie selbstständigem Ausfüllen des Fragebogens an Tablets vor Ort gewählt. So konnten einerseits das nötige Vertrauen für Anonymität hergestellt und andererseits die Inklusion von AnalphabetInnen an der Studie sichergestellt werden. Die inhaltliche Ausgestaltung des Fragebogens erfolgte in Kooperation mit Personen, die über ein hohes Wissen über und Verständnis von der aktuellen politischen Situation in Syrien besitzen. Der Fragebogen wurde von ExpertInnen ins Arabische übersetzt. Die Befragungen vor Ort wurden von 18 syrischen MitarbeiterInnen durchgeführt.

Bei der Ausgestaltung, Durchführung und Auswertung der Befragung wurde Adopt a Revolution durch das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Abteilung ‚Demokratie und Demokratisierung‘, beraten.

Kerndaten der Befragung

  • Anzahl Befragte: 889 (95 Prozent komplettierte Fragebögen)
  • Orte der Befragung: 12 Erstaufnahmelager, Flüchtlingsheime und Registrierungsstellen in Berlin, Hannover, Bremen, Leipzig und Eisenhüttenstadt
  • Zeitraum der Befragung: 24.09.-02.10.2015
  • Befragungsinstrument: Standardisierter Fragebogen in arabischer Sprache
  • Befragungsart: CAPI und eigenständiges Ausfüllen am Tablet

Die Umfrage wurde von Adopt a Revolution in Kooperation mit The Syria Campaign und Planet Syria unter wissenschaftlicher Beratung durch Heiko Giebler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt.

Adopt a Revolution hat die Umfrage unter syrischen Flüchtlingen in Deutschland am 7. Oktober 2015 vor der Bundespressekonferenz vorgestellt.

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