Geflüchtete bei der Landung in Griechenland, 2015. Foto: Ggia

Asyl in der EU: Verändern sich die Lagebewertungen für Syrien?

Ein Großteil der syrischen Schutzsuchenden erhält in Europa weiterhin einen Schutzstatus. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass sich der Druck auf syrische Geflüchtete erhöht.

Geflüchtete bei der Landung in Griechenland, 2015. Foto: Ggia

Nach sieben Jahren anhaltender Fluchtbewegung aus Syrien steigt der Druck auf syrische Geflüchtete in den Aufnahmeländern – auch in der EU. Das zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Schutzquoten in Europa: 2015 und 2016 lag diese Schutzquote im Durchschnitt bei 97 Prozent. Bereits 2018 sank sie bei erstinstanzlichen Entscheidungen auf 88 Prozent. Erst in der zweiten Instanz wurden viele Entscheidungen zugunsten der Geflüchteten korrigiert.

Die Schutzquote gibt an, wie viele der Asylsuchenden einen Schutzstatus erhalten.

Zwar sind die Schutzquoten aus den EASO-Jahresberichten mit Vorsicht zu lesen, denn die von den EU-Staaten an EASO gelieferten Zahlen dürften nur beschränkt vergleichbar sein: Die Asylsysteme und Entscheidungspraxen unterscheiden sich massiv, außerdem können Schutzquoten sehr unterschiedlich berechnet werden. 

Eine Entwicklung zu Ungunsten syrischer Schutzsuchender lässt sich dennoch erkennen. Zum einen versuchen die europäischen Staaten die Schutzquote zu drücken, um Flüchtende abzuschrecken. Denn seit sieben Jahren ist Syrien in Europa das Top-Herkunftsland von Flüchtlingen.  Zum anderen berufen sich die Entscheider bereits darauf, dass die Zahl der Kriegstoten in Syrien in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist – auch wenn das sehr wenig über die Gefahren aussagt, denen Rückkehrer*innen in Syrien weiterhin ausgesetzt sind.

Schweden: Sichere Gebiete und Damaskus als interne Fluchtalternative?

Schweden hat bereits im September 2019 die bis dato pauschale Schutzgewährung für syrische Asylsuchende aufgehoben. Die Begründung: In einigen Gebieten sei die allgemeine Gefährdung zurückgegangen, sodass Schutzgesuche wieder individuell geprüft werden sollten. Damaskus sei unter bestimmten Umständen sogar als „interne Fluchtalternative“ zu betrachten, so der Bericht der schwedischen Migrationsbehörde.  Damit hat Schweden die Möglichkeit geschaffen, syrische Asylsuchende unter bestimmten Umständen mit dem Argument ablehnen zu können, dass sie den drohenden Gefahren nach Damaskus ausweichen könnten. 

Begründet wird dies alles in wenigen Zeilen, in denen vorliegende Informationen sehr selektiv gehandhabt werden. Der Absatz zur Lage in Damaskus verschweigt etwa die umfangreichen Repressionen, denen die Bevölkerung in Ost-Ghouta und anderen vom Regime zurückeroberten Gebieten ausgesetzt ist – nur Yarmouk wird in dieser Hinsicht knapp erwähnt. Im Hinblick auf andere für nun sicherer eingestufte Gebiete sieht es nicht besser aus: Die mittlerweile teils in militärische Auseinandersetzungen übergehenden Konflikte in Daraa werden allerhöchstens angedeutet. Immerhin: Der Bericht betont, dass sich die Situation in Syrien nicht grundlegend gewandelt habe, als dass bereits bestehende Schutzgewährungen widerrufen werden sollten. Das ist aber nur ein schwacher Trost.

Dänemark: Ablehnungen ja, Abschiebungen nein

Auch die Asylbehörde Dänemarks geht davon aus, Damaskus sei für bestimmte Gruppen sicher. Im Dezember 2019 hatte die Berufungsinstanz der dänischen Asylbehörde die Ablehnung von drei asylsuchenden Frauen aus Damaskus mit dem Hinweis auf angebliche Verbesserungen der Sicherheitslage in der syrischen Hauptstadt bestätigt. 

Grundlage für diese Einschätzung ist vermutlich ein vom Dänischen Migrationsministerium und dem Danish Refugee Council (DRC) verfasster Bericht, der sehr äquidistant sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch Regime-Quellen zitiert und bei dem bereits in der Themensetzung die Intention durchscheint, Damaskus als „sicher“ erklären zu wollen. Immerhin hat der Danish Refugee Council die Ablehnung der drei asylsuchenden Frauen kritisiert.

Nun hat die dänische Regierung am 21.2.2020 allerdings angekündigt, trotz dieser Ablehnungen keine Abschiebungen nach Syrien durchführen zu wollen, da die Regierung keine Kooperation mit dem Assad-Regime anstreben wolle. Naturgemäß ist das eine Steilvorlage für die Kritik der rechten Opposition. In Deutschland droht ähnliches: Die Landesinnenminister wecken in rechten politischen Milieus die Erwartung, dass bald nach Syrien abgeschoben werde, während es außenpolitisch dagegen Widerstand geben dürfte. So werden unerfüllbare Erwartungen und damit der rechte Volkszorn geweckt. 

Deutschland: Mehr Widerrufe – aber auf welcher Grundlage?

In Deutschland ist auffällig, dass das BAMF in den zahlreichen Widerrufsprüfverfahren immer öfter Schutztitel syrischer Schutzberechtigter widerruft oder zurücknimmt. Im ersten Halbjahr 2019 erfolgten bei 39.806 Entscheidungen 521 Widerrufe oder Rücknahmen (1,31%), im zweiten lag die Quote bereits bei 2,48%. Im Januar 2020 wurden bereits mehr Entscheidungen widerrufen oder zurückgenommen als im gesamten ersten Halbjahr 2019. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Widerrufe von Flüchtlingsschutz, aber auch subsidiärer Schutz und wenige Abschiebeverbote wurden widerrufen.

Die Zahl der Widerrufsprüfungen steigt, die Quote der Widerrufe und Rücknahmen ebenso. Weiterhin erfolgt bei den meisten Überprüfungen eine Bestätigung des Schutzstatus.

Nach eigenen Angaben widerruft das das BAMF nicht aufgrund seiner 2016 geänderten Rechtsauffassung, dass syrischen Flüchtlingen in der Regel nicht Flüchtlingsschutz, sondern nur subsidiärer Schutz zusteht. DAs wäre auch nicht rechtens. Einem Widerruf muss die Annahme zugrunde liegen, dass die Umstände, die zur Schutzgewährung geführt haben, weggefallen sind. Wie das BAMF diese Annahmen im Einzelnen begründet, ist unklar.

Wir freuen uns über sachdienliche Hinweise – vor allem BAMF-Widerrufsbescheide mit entsprechenden Begründungen – bitte per Mail an info@syria-not-safe.org.

Neue EASO-Berichte: Lagebewertungen der EU

Bis vor Kurzem hat sich das EU-Büro zur Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten in Asylfragen (EASO) kaum mit der Situation in Syrien beschäftigt: Lediglich im März 2018 hatte es eine Dokumentation eines Expert*innen-Treffens herausgegeben. Der Informationsbedarf der europäischen Asylbehörden scheint gestiegen, denn in den vergangenen fünf Monaten hat das EASO mittleweile sechs Berichte zu Syrien vorgelegt und auch eine „Country Guidance Note“ zu Syrien angekündigt. Die bislang vorliegenden Berichte selbst lassen bislang zumindest keine klare Agenda von EASO erkennen, EU-Staaten zur Rückführungen nach Syrien motivieren zu wollen. Immerhin.