“Assad muss weg, damit Syrien leben kann” – Demonstration in Ost-Ghouta am 6.9.2013

Dringender Aufruf zur Unterstützung von Ost-Ghouta – Razan Zeitouneh

Es gibt keine Region in Syrien, ob befreit, besetzt oder in Auseinandersetzungen mit dem Regime verwickelt, die nicht größtmögliche Hilfe benötigt. Meine Worte zielen nicht darauf ab, die geringe Aufmerksamkeit herabzuwürdigen, mit der sich einige befreite syrische Regionen konfrontiert sehen, sondern richtet sich darauf, eine größere Aufmerksamkeit für die Region Ost-Ghouta zu erlangen – jetzt […]

“Assad muss weg, damit Syrien leben kann” – Demonstration in Ost-Ghouta am 6.9.2013

Es gibt keine Region in Syrien, ob befreit, besetzt oder in Auseinandersetzungen mit dem Regime verwickelt, die nicht größtmögliche Hilfe benötigt. Meine Worte zielen nicht darauf ab, die geringe Aufmerksamkeit herabzuwürdigen, mit der sich einige befreite syrische Regionen konfrontiert sehen, sondern richtet sich darauf, eine größere Aufmerksamkeit für die Region Ost-Ghouta zu erlangen – jetzt und bevor es zu spät ist.

Alle von uns kennen den Mangel an Ressourcen für die Lokalen Räte im Land, was einige Verwaltungen enorm einschränkt oder gar zur Suspendierung der Arbeit zwingt. So stellte zuletzt der Rat in Aleppo die Arbeit ein. Er hat schlicht nicht die Mittel, die an ihn gestellten Aufgaben durchzuführen.

Und alle von uns wissen, wie es um die Angelegenheiten in anderen Regionen im Norden und Osten des Landes bestellt ist. Wir wissen von dem Verlust an Sicherheit, von Plünderungen, der Verbreitung von Chaos und Anarchie. Die Abwesenheit einer grundlegenden Versorgung macht es nahezu unmöglich, den Einwohnern, die tägliche Bombardierungen und Racheakte von Seiten des Regimes erleben, zum Durchhalten zu verhelfen.

Die Region Ost-Ghouta wird im Vergleich zu anderen Regionen – u.a. einigen Vierteln in Damaskus selbst – als die sicherste angesehen. Hier kommt es nur selten zu Chaos und Plünderungen durch Banden. Die Situation ist sicherlich nicht ideal; aber es lässt sich sagen, dass angesichts des Krieges und der Abriegelung durch das Regime die Umstände recht gut sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten AkademikerInnen des Ortes entweder verstorben, verhaftet oder geflohen sind. Dies ist spürbar in Bereichen wie der Polizei oder der Rechtsprechung, in denen diese Fachkräfte fehlen.

Die Situation wird sich noch weiter verschlimmern, wenn keine Hilfe für die Bevölkerung geleistet wird, um das zu sichern, was in den letzten Monaten seit der Befreiung hinsichtlich der Sicherheit und der allgemeinen Versorgung geleistet wurde. Hier haben die Einwohner und AktivistInnen bislang einiges erreicht.

Die Region braucht Hilfe für den lokalen Polizei- und Verwaltungsapparat, trotz aller gegenwärtigen Defizite dieser Institutionen. Zwar lässt sich künftig nicht auf diesen Institutionen aufbauen, jedoch reichen sie aktuell aus, Sicherheit und Menschenrechte in dieser Übergangsphase zu gewährleisten. Sie bewerkstelligen diese elementaren Dinge zu einem großen Grad, trotz ihres provisorischen Status. Die Region braucht Hilfe für diese Institutionen, damit sie selbstständig und unabhängig agieren können. Die Sicherung ihrer Macht vor Ort ist notwendig, um sie als Kraft der Neutralität und Entscheidungsunabhängigkeit zu erhalten. Denn in dieser Umbruchphase versuchen viele Kräfte, mit Waffen eine Autorität vor Ort durchzusetzen.

Der Kern unserer Arbeit im Violations Documentation Center in Syria (VDC) liegt in der Dokumentation von Verstößen in Syrien. Ost-Ghouta gehörte hierbei zu den Orten, an denen die wenigsten Verstöße von Seiten der bewaffneten Kräfte gegenüber den Bürgern und ihren Rechten registriert wurden, im deutlichen Abstand zu anderen Regionen.

Das heißt aber auf keinen Fall, dass es gut um die Angelegenheiten in der Region bestellt ist und man sie sich selbst überlassen sollte. Ganz im Gegenteil, sie sollte mehr in das Licht der Aufmerksamkeit rücken, zum Erhalt dessen, was erreicht wurde und zur Prävention einer Veränderung der Sicherheitslage vor Ort in naher Zukunft (wie den Zusammenbruch der Belagerung, die Abriegelung oder die Öffnung einer der Straßen nach draußen oder das Voranschreiten in andere Regionen oder eben den Rückzug in eine bestimmte Region). Die Macht der neuen Gremien muss stabilisiert werden, etwa zum Schutz des öffentlichen und des privaten Besitzes, was besonders bei der Rückkehr von Flüchtlingen in die Region, wenn auch in geringer Zahl, entscheidend ist.

Die meisten der Kämpfer der Bataillone [FSA] stammen aus der Region selbst, das prägt die Arbeit. Mögliche Konflikte werden dadurch gemieden. Die Situation wird jedoch nicht so bleiben im Falle einer Verschärfung der Kämpfe und einer Verschiebung der Frontlinie.

Ein anderer Aspekt, der besonders angegangen werden muss, ist die Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in Ost-Ghouta, beginnend mit der allgemeinen Versorgung über Arbeitsmöglichkeiten bis hin zu allen allgemeinen Diensten. Denn nach zweieinhalb Jahren Revolution darf nicht nur an Sofortmaßnahmen gedacht werden, sondern es muss den Menschen dazu verholfen werden, dass sie ihr Leben in Würde leben können. Dies muss über kleine Unternehmen oder Dienstleistungsprojekte geschehen, damit wieder Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies gilt insbesondere, da ein Großteil der Einwohner Ghoutas zur Zeit arbeitslos ist.

Es kann nicht weiterhin von den Lokalen Räten gefordert werden, dass sie ohne ausreichende Unterstützung weitermachen, die grundlegenden Aufgaben auszuführen, die den Zivilisten inmitten von Bombardierung und Blockade helfen weiterzuleben. Dazu gehören eine funktionierende Versorgung mit sauberem Trinkwasser, eine Abfallentsorgung in den Wohngebieten und die Versorgung mit Lebensmitteln in den blockierten Regionen, um den Hunger dort zu bekämpfen. In den belagerten Gebieten gibt es seit Monaten eine Brotkrise.

Wir können nicht Lokale Räte etablieren und sie dann alleinlassen mit mangelnden Kapazitäten und Personal, sodass sie fast nichts für die lokale Bevölkerung erreichen und Dienstleistungen anbieten können. Denn dann werden sie aus Mangel an Alternativen auf die Hilfe der Bataillone [FSA] angewiesen sein, die ihre Hilfe nur gegen Zugeständnisse an Macht und Loyalität zusichern werden. Die Lokalen Räte müssten sich so den Kämpfern unterwerfen. Solch eine Tatenlosigkeit wird bald seine Konsequenzen zeigen, so wie es in den anderen befreiten Regionen passiert ist.

Ich weiß, dass alle unsere vorangegangenen Appelle über ähnliche Themen umsonst gewesen und verhallt sind. Trotzdem gibt es immer noch Hoffnung auf Verbesserung, bevor es zu spät ist, auch wenn sie gering ist. Wir können von den Erfahrungen andernorts lernen und diese negativen Entwicklungen vermeiden. Wir befinden uns in einer Zeit, in der alle Anstrengungen notwendig sind, Schaden zu beheben – inmitten von Chaos und Mangel.

Stärken Sie die zivile Arbeit. Hilfe für Ost-Ghouta!

Jetzt PatIn werden!

Dieser Aufruf von Razan Zeitouneh wurde zunächst auf Arabisch veröffentlicht. Eine erste Übersetzung ins Englische erschien am 3. September auf der Website “Al-Jumhuriyyah” (“Die Republik”). Der obige deutsche Text ist eine Übersetzung einer Aktivistin von AaR. Razan Zeitouneh arbeitet bereits vor der Revolution als Menschenrechtsanwältin. Sie ist seit Beginn der Revolution aktiv in der Dokumentierung von Regimeverbrechen, nun auch im Violations Documentation Centre (VDC).