Seit Tagen bombardieren Russland und das Assad-Regime die Stadt Maraat al Numan und Umgebung im Süden Idlibs. Über hundert Zivilist*innen wurden bereits getötet, Zehntausende sind auf der Flucht. Jetzt werden zunehmend auch Menschen auf der Flucht beschossen. In Maraat al Numan und Umgebung sitzen noch immer Zivilist*innen fest, die mangels Autos und Geld bislang nicht fliehen konnten.
Es braucht jetzt dringend einen sofortigen Waffenstillstand, damit die Menschen den Bomben und den vorrückenden Truppen entkommen können. Mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft wenden sich mit einem Appell an die Vereinten Nationen und an sämtliche internationale Akteure, sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen und Fluchtwege zu öffnen. (Lesen Sie hier den Text auf Englisch, Arabisch oder Türkisch)
Bundesregierung muss jetzt handeln!
Wir fordern die Bundesregierung auf, sofort den russischen Botschafter einzubestellen und unter Androhung von Sanktionen gegen an der Offensive beteiligte Personen einen sofortigen Waffenstillstand zu verlangen. Zivilist*innen muss die Flucht ermöglicht werden!
Wir fordern die Bundesregierung auf, sofort mit der Türkei über die Öffnung der Grenze zu verhandeln und sich innerhalb der EU für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge einzusetzen!
So viele innen- und außenpolitische “Sachzwänge” dem auch entgegenstehen mögen: Die Bundesregierung hat im Rahmen des EU-Türkei-Deals die Schließung der türkisch-syrischen Grenze mitverursacht. Die EU hat sogar die von der Türkei errichtete Grenzmauer finanziert, die die Region Idlib für oppositionelle Syrer*innen zur Todesfalle werden lässt. Wenn die Bundesregierung nicht endlich ihre Schutzverantwortung für die Zivilist*innen in Idlib wahrnimmt, macht sie sich an der in Idlib stattfindenden Katastrophe mitschuldig – und diese Katastrophe hat mit der Offensive auf Maraat al Numan erst begonnen.
Diese Offensive wäre ohne russische Unterstützung nicht möglich, Russland – weiterhin ein Wirtschaftspartner Deutschlands – hat es in der Hand, die Offensive sofort zu stoppen. Wenn der Bundesregierung etwas am Schutz der Zivilbevölkerung Idlibs liegt, muss sie jetzt endlich gegenüber Russland alle vorhandenen Druckmittel nutzen. Dazu gehört etwa die Aufkündigung des ohnehin desaströsen North-Stream-II-Projekts. Auch muss die Bundesregierung endlich personenbezogene Sanktionen gegen russische Militärs ins Spiel bringen, die in Syrien Kriegsverbrechen begehen.
Die aktuelle Offensive wäre ferner nicht möglich ohne das Einverständnis der Türkei. Ganz offensichtlich haben sich Russland und die Türkei darauf verständigt, dass die Türkei von ihr eroberte Territorien im kurdisch geprägten Nordosten behalten darf, im Gegenzug aber wegsieht, wenn Russland und das Assad-Regime Teile Idlibs erobern. Zur Erinnerung: Idlib ist die letzte von ehemals vier “Deeskalationszonen”, die im Rahmen des Astana-Prozesses vereinbart wurden. Für die Deeskalationszone Idlib hat die Türkei eine Schutzverantwortung übernommen. Die Türkei unterhält Beobachtungsposten in Idlib, unter anderem einen im aktuell umkämpften Gebiet.
Herr Maas, was ist Ihr Plan?
Die Bundesregierung weiß seit Langem, dass das Assad-Regime und Russland früher oder später die Region Idlib einnehmen werden und dabei wie bei ihren bisherigen Offensiven in Syrien systematisch Kriegsverbrechen einsetzen. In Idlib leben rund 3 Millionen Zivilist*innen. Jedes Mal, wenn Regime-Truppen Territorien der Region einnehmen, fliehen weitere Zehntausende dieser 3 Millionen Richtung türkische Grenze in die dort im Schlamm versinkenden Flüchtlingslager.
Das Leben dieser drei Millionen Menschen ist massiv in Gefahr – aufgrund der Bombardierungen, aufgrund der Lebensverhältnisse in den Flüchtlingslagern und aufgrund der Tatsache, dass das Assad-Regime seine politischen Gegner (bzw. alle, die es auch nur dafür hält) inhaftiert, foltert und tötet. Das Auswärtige Amt weiß das.
Wir fragen: Was ist der Plan der Bundesregierung, um das anhaltende Massaker in Idlib aufzuhalten?