Die Anthropologin Dawn Chatty diskutiert die sich stetig wandelnde Rolle von tribalen Stämmen/Beduinen in Syrien. Nachdem seine Vorgänger viele Beduinen-Sheikhs ins Exil geschickt hatten, holt Hafiz al-Asad sie zurück nach Syrien, und ermutigt diese, Konflikte auf ihre „traditionelle” Art zu regeln. Somit konsolidierte er seine Herrschaft, sorgte aber auch dafür, dass in den von Beduinen-dominierten Gegenden, sich keine anderen Kräfte durchsetzen konnten. Um die Stämme unter Kontrolle zu halten, habe al-Asad einzelne, eher schwächere Familien in starken Stämmen versucht zu kontrollieren. In den letzten Jahren habe es immer wieder Minister mit Beduinen-Hintergrund gegeben. Dieser Trend sei sogar so weit gegangen, dass viele SyrerInnen eine tribale Herkunft erfunden hätten. Trotzdem haben die Stämme sich nicht durch eine eindeutige Haltung zum Regime ausgezeichnet. In einigen Stämmen gäbe es sowohl Clans, die in der Revolution auf Seiten des Regimes stehen, während ein anderer Teil, sich dem politischen Kampf gegen das Regime angeschlossen habe. Chatty beschreibt die Bewaffnung der Stämme vor allem als Selbstverteidigung, gerade weil deren Präsenz in den für die Revolution bedeutsamen Städten wie Daraa, Hama und Homs, sehr stark sei. Teilweise bilden sie komplett eigenen Bataillone, wie etwa die „Ageidat Tribal Brigade“. Für Chatty ist ganz klar: „The transnational as well as the local Bedouin tribes of Syria and Lebanon have moved out of the margins and become a significant part of the political imaginary of the Syrian uprising.”
Neben den Kämpfen zwischen Opposition und Regime, die das Leben vieler SyrerInnen oft unberechenbar machen, kommt es auch immer wieder zu Kämpfen zwischen der Freien Syrischen Armee (FSA) und Jabhat al-Nusra (JAN). So wurden am Wochenende die Bewohner des PalästinenserInnen-Camps al-Nayrab in Aleppo komplett von der Stadt abgeschnitten.
Der britisch-syrische Schriftsteller Robin Yassin-Kassab diskutiert in Lebanon Now anhand der persönlichen Leidensgeschichte eines Syrers in einem syrischen Gefängnis die Behauptung, dass SyrerInnen zu der Rebellion von ausländischen Kräften ermutigt wurden und auch das ihr anhaltender Kampf nicht gerechtfertigt sei. In Syrien wurde schon immer besonders in den Gefängnissen ein unglaubliches Maß an Gewalt angewandt: „Given this knowledge, we must ask if it is lack of humanity or lack of imagination which makes some condemn the Syrian people’s struggle. And what kind of simple-mindedness assumes that Syrians need Gulf or Western provocateurs to prod them toward rebellion? The relevant question isn’t why a community would revolt against such oppression, but why not?”
Usman Butt zeigt in policy mic, dass das syrische Regime Frauen als „Waffe im Krieg“ benutzt, vor allem im Medienkrieg. Ein Mediennarrativ, der darauf basiert, dass das Regime sich selbst durch junge attraktive Frauen darstellen lässt und die Opposition auf der anderen Seite nur in der Gestalt bärtiger Männer auftaucht, entstünde. Dieses Argument wurde auch jetzt wieder deutlich, als der Regime-Sender al-Akhbariyya das Video eines Mädchens ausstrahlte, welches behauptet von ihrem Vater für sexuelle Dienste an Jihadisten verkauft worden zu sein. Das Regime strahlt immer wieder solche Videos von angeblichen Opfern und ZeugInnen aus. AktivistInnen aus dem Herkunftsort des Mädchens schreiben auf Facebook, dass sie diese Geschichte nicht vergessen können, aber vor allem deswegen, weil das Mädchen seit mehreren Monaten als vermisst und vom Regime entführt galt. Das Mädchen stammt aus einer Familie aus Daraa. Ihr Vater sei schon lange ein politischer Aktivist gewesen, berichtet all4Syria, die Entführung des Mädchens vor einem Jahr sei somit vor allem ein politisches Mittel gegen den Vater gewesen. Haytham Manna, Präsident des National Coordination Body for Democratic Change Abroad, verurteilte in einem Video-Statement das Ausnutzen eines Kindes für solche Zwecke: „Assad government committed a war crime in airing such confession by a child girl, where no evidence can prove what the honest Rawan said.”
Das Video kann als Teil des Erstarkens eines Diskurses, in welchem sexuelle Moral hervorgehoben wird, gesehen werden. Das Regime beansprucht mit dem Video eine höhere Moralität als die der Opposition, welche sie als ausschließlich jihadistisch darstellt. All4Syria steigt in diesen Diskurs ein: „du bist reiner als alle Shabihha-Frauen“ versichern sie an das Mädchen gewandt.
Mehrere Bezirke im Süden von Damaskus, als auch in Ost-Ghouta sind seit Monaten einer Belagerung durch das Regime ausgesetzt, die vor allem Kinder besonders hart trifft, da ihre Körper unter Mangelernährung besonders leiden. Mehrere Berichte werfen haben in der vergangenen Woche auf die Folgen der Kriegsmaschinerie des gezielten Aushungerns, Licht geworfen. Vor allem in Mouadhamiyya, das zuletzt auch zur Zielscheibe der Chemie-Attacken des Regimes geworden war, ist die Lage sehr kritisch, wie dieser Bericht des oppositionellen Nachrichtennetzwerks Syria News Network (SNN) deutlich macht. Ein Aktivist an die Welt gewandt: „Die Untersuchungskommission der UN, die her kam, um die Chemie-Attacken zu untersuchen, hat sich nicht unsere Kinder hier angeschaut. Sie sterben nicht durch Beschuss, sondern durch Unterernährung.“ Meistens haben die Ärzte nicht die notwendigen medizinischen Mittel, um die Kinder zu retten. Auch das BCC weist in einem Bericht darauf hin, dass weltweit Ärzte vor dem Zusammenbruch des syrischen Gesundheitssystems warnen. Dr. Atassi zeigt im Interview auf, wie das Regime von Anfang an, die Gesundheitsinfrastruktur angegriffen hat: es griff PatientInnen wiederholt an, wenn diese unter Verdacht standen, vom Regime selbst bei Demonstrationen verletz worden zu sein. Ärzte wurden zur Zielscheibe, wenn sie genau diese Personen ärztlich versorgte. Von den 5000 Ärzten, die einst in Aleppo arbeiteten, seien nur noch 35 vor Ort. Weder Impfungen noch Kinderärzte seien vorhanden. Oft müssten auch Bluttransfusionen direkt von den Spendern zum Patienten gegeben werden, ohne vorherigen Bluttest. Atassi fordert, dass das Regime endlich den Verletzten Zugang zu medizinsicher Versorgung gewährt. Medizinische Hilfe, erklärt Atassi, kann trotzdem nur die Teile des Landes, die sich in Grenznähe befinden, erreichen. Homs und die Vororte von Damaskus sind davon ausgeschlossen. „Wenn [die internationale Gemeinschaft] etwas gegen Chemiewaffen tun kann, dann bin ich mir sicher, dass man auch diese Belagerung durchbrechen kann“ so Atassi.
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