Als einzige Waffe die Kamera – Bericht aus Al Mazzeh

Im folgenden Bericht möchten wir vor allen Dingen auf unsere Medienarbeit eingehen. Ohne Zweifel strebt der Mensch von selbst und aus Vernunft danach, die Wahrheit aufzudecken und verschiedene Phänomene und Erscheinungen zu begreifen. Alles, was sein Können diesbezüglich verbessert und seinen Wissensdurst befriedigt, lässt die Anspannung von ihm abfallen. Und der Beweis, der mit medialen […]

Im folgenden Bericht möchten wir vor allen Dingen auf unsere Medienarbeit eingehen.

Ohne Zweifel strebt der Mensch von selbst und aus Vernunft danach, die Wahrheit aufzudecken und verschiedene Phänomene und Erscheinungen zu begreifen. Alles, was sein Können diesbezüglich verbessert und seinen Wissensdurst befriedigt, lässt die Anspannung von ihm abfallen. Und der Beweis, der mit medialen Werkzeugen erbracht werden kann, ist für die Ewigkeit. So haben die neuen Technologien die Gewichtungen in der Welt verändert. Wir in Al Mezzah, auf freiem syrischem Boden über dem Staub der anderen Viertel mitten in der Hauptstadt Damaskus, wir möchten die schmerzhafte Wahrheit, die unser von den Assad-Banden geschundenes Viertel erlebt hat, verbreiten. Diese Banden lieben das Töten und den Terror und haben ihrerseits hart daran gearbeitet, den Ausbruch der Revolution in Al Mazzeh zu unterdrücken – bereits am 25.03.2011 gab es jedoch die erste Demonstration.

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Video: Demonstration in Al Mazzeh blockiert eine Straße.

Auf dieser Demonstration haben wir auf den Straßen Freiheit und Würde gefordert und direkt danach unsere Facebook-Seite angelegt, damit unsere Stimme von der Öffentlichkeit gehört wird. Wir haben als kleines Team begonnen, mit höchstens zehn Personen – das sagt jedoch nichts über den großen Enthusiasmus aus, den die AktivistInnen hatten. Sie haben die Nachrichten der BewohnerInnen des Viertels gesammelt, ohne dabei jemanden spüren zu lassen, dass sie sich natürlich auch vor den Konsequenzen fürchteten. Mittlerweile organisieren wir Demonstrationen, Sprayaktionen und andere Aktivitäten der friedlichen Protestbewegung, dokumentieren das Geschehen und laden das Material auf unsere Facebook-Seiten oder Ähnliches hoch. Die Welt soll wissen, dass wir hier Augenzeugen sind und wir werden weder über das Recht noch über das Unrecht schweigen, das vor unseren Augen in den Revolutionsgebieten geschieht. Es gab die Intellektuellen, die Beobachter, es gab die Politiker und die DemonstrantInnen – und über alles wachte das Auge unserer Kameras. Die Hand derer, die für das Verfassen der Nachrichten auf unserer Homepage verantwortlich sind, ist niemals davor zurückgeschreckt, die Wahrheit aufzuschreiben. Die Medienarbeit konzentriert sich nicht nur auf die friedliche Bewegung, sondern auch auf die brutalen bestialischen Kampagnen, des Regimes. Unsere Gegend wurde dabei mit Panzern und bombardiert. Wir informieren über unsere Inhaftierten und Vermissten und über die FSA, die versucht, die Menschen des Viertels zu beschützen. Das alles tun wir mit der Zuversicht, dass unsere Bilder und täglichen Berichte die größtmögliche Zahl von Zuschauern und Zuhörern erreicht.


Video: Von den Shabiha überfallenes Haus in Al Mezzah.

Wir begannen außerdem damit, uns mit anderen Gruppen aus unserer Region zu solidarisieren, indem wir ihre Nachrichten mit verbreiteten und versuchten jede andere Hilfe zu leisten, zu der wir sonst noch fähig waren: Wir haben sie mit Berichterstattern, Journalisten und Fotografen in Verbindung gebracht, Workshops über die Herstellung von Flyern und ähnlichem organisiert und anderen Gruppen mit einem sicherem System Facebook-Seiten eingerichtet. Wir hoffen, so die Barriere der Angst der Menschen in unserer Region zu brechen und sie zu motivieren, mit uns gemeinsam auf die Straße zu gehen, mit uns zusammen zu arbeiten oder uns zumindest auf Facebook zu folgen, um über die Massaker des Regimes und Neuigkeiten der Revolution aus ihrer Region Al Mezzeh informiert zu bleiben. Unser Ziel war dabei immer über die Menschenrechtsverletzungen aufzuklären und für einen demokratischen Wandel zu stimmen. Denn das geht mit ungemeiner Bestialität vor und nimmt tausende willkürliche Verhaftungen vor ohne dabei auf Alter oder Geschlecht Rücksicht zu nehmen.

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Video: Verhaftung in Al Mezzah.

Mit der Zuspitzung der Ereignisse und den vielen Toten mussten wir den Umfang unserer Koodination ausweiten und den Kreis der Mitwisser vergrößern. Das zwang uns manchmal dazu unsere Identitäten nahestehenden Personen oder den Leuten, die wir im Internet kennengelernt hatten, preiszugeben, um ihnen bei logistischen Problemen zu helfen oder neue Ideen zu diskutieren. Insgesamt setzte das unsere Leben natürlich einer Gefahr aus und wir haben den Preis für den Anstieg der Besucherzahlen unserer Internetseiten mit nicht nur einer Verhaftung bezahlt. Besonders schmerzhaft war das, als ungefähr zwei Monate lang die Zahl der Likes für die Nachrichten aus unserer Region nicht über 6.000 hinausging. – Am 18.02.2012 jedoch, als drei Märtyrer aus Mezzeh beerdigt wurden, bebte Damaskus. Wir als Medienteam haben uns damals mit zusätzlicher Technik (mit einigen halbprofessionellen Kameras und einigen Handykameras mit hoher Auflösung) ausgerüstet, um tausende Bilder der Beerdigung auf den wichtigsten Kanälen zu platzieren. Wir haben fotografiert und gefilmt und dieses Bildmaterial qualitativ verbessert und die Gesichter verfälscht – letztendlich haben mehr als 5.000 Menschen den Film der Beerdigung gesehen und geliket haben.

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Video: Sicherheitskräfte eröffnen Feuer auf Beerdigung in Al Mazzeh (18.02.2012).

Danach haben wir Gruppen von Medienkorrespondenten, Übersetzern, die bereits übersetzte Texte Korrektur lesen und Textern für unsere Internetseite gegründet, sodass unser Internetauftritt die Besuchermassen auch verdient. Wir sind stolz auf die große Zahl an Besuchern und verlassen uns auf ihre Unterstützung und ihre Kommentare. Auf unserer Nachrichtenseite erscheint eine neue Nachricht sofort bei ihrem Auftreten, vorher klären wir aber ihren Wahrheitsgehalt. Mit dieser Struktur entwickelte sich auch unser Selbstvertrauen, sodass wir heute in einem Team arbeiten, dass wie das Herz eines Mannes funktioniert und aus circa 150 AktivistInnn besteht die in der ganzen Region Al Mezzeh verteilt sind. Zusätzlich sind circa 50 AktivistInnen in kleine geheime Gruppen eingeteilt. Sie kümmern sich um Sprüche, Design und Herstellung der Plakate – mit der Kreativität eines Dichters und mit politischem Biss. Alles wird exakt geplant, unter der Leitung des Orga-Büros, das zehn Personen umfasst und sich um die Angelegenheiten zwischen der Revolution auf der Straße und der in den Medien kümmert. Dieses Büro organisiert die Demos und plant den friedliche Protest von Sprayaktionen über das Verteilen von Flugblättern und Aufklärungszeitungen bis zu Abriegelung von Hauptverkehrsstraßen mit brennenden Reifen. Außerdem bereitet dieses Büro Medienkampagnen, Berichte und Live-Übertragungen des friedlichen Protests für große Fernsehkanäle vor und es kommuniziert mit den anderen aktiven Komitees. All das funktioniert, weil die AktivistInnen des Komitees hart dafür arbeiten – sie selbst jedoch erfahren nur eine sehr geringe Unterstützung.


Video: Flyeraktion auf den Straßen von Al Mezzah.

Über die Nachrichtensendungen im staatlichen Fernsehen fordert das Regime seine Anhänger dazu auf, den Internetauftritt der Komitees zu überwachen, sodass wir permanent elektronischer Spionage ausgesetzt sind. Erbarmungslos Benachrichtigen diese Internet-Shabiha die Sicherheitsdienste und bespammen uns mit Schimpfwörtern. Uns allerdings motiviert das nur dazu, uns noch intensiver mit der Verbesserung unserer Internetseite zu beschäftigen. Unsere Programmierer haben spezielle Programme entworfen, die uns zum Beispiel über den Zugriff der Shabiha informieren.

Wir möchten die Wahrheit in Ton und Bild verbreiten, doch wir sind ständig dem Verrat und der Bespitzelung ausgesetzt. Unsere Kameras und Medienausrüstung tragen wir als einzige Waffe mit uns. Unserer Meinung nach, ist der Medienaktivist der Stärkste in unserem Krieg – er bewegt sich unbewaffnet und erhobenen Hauptes zwischen den Regionen, wo zu seinen Füßen die Söhne unseres Landes begraben liegen. In den stillen Stunden des Tages kehrt er trotz des ganzen Bluts lächelnd zurück, denn ihm bleiben auch gute Erinnerungen. Mit Hilfe unserer Kameras erzählen wir für Hundert oder Millionen Zuhörer und Zuschauer die Geschichte der Revolution. Dabei ist es uns egal, dass uns genauso wie andere auf dem Weg der Revolution kommende Stunden der Haft oder der Tod erwarten. Wir glauben daran, dass unsere Stimme zu einer großen Anzahl von Menschen unterschiedlichen Alters und Geschelchts, zu vielen Sprachen und Kulturen vordringt – Das ist momentan unsere einzige Freiheit.

Jetzt PatIn werden!

Aufnahmegeräte verschmutzen vielleicht, aber die historische Wahrheit wird das nicht verdecken. Wir haben nicht vergessen, dass die Wahrheit das Wichtigste ist. Sie zu schützen ist allererste Priorität und die Medien sind dafür die stärkste Waffe in unserem Krieg – unabhängige Berichterstattung ist für uns eine neue Erziehungs- und Bildungsinstitution, die den Platz der Familie und staatlichen Institutionen eingenommen hat.

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