Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer plant eine internationale Sicherheitszone in Nordsyrien.

Besser spät als nie?

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer fordert eine international kontrollierte Sicherheitszone im nordsyrischen Grenzgebiet. Die Idee ist nicht neu, der Wille zur Umsetzung kommt aber zu spät. Ob hier gilt „Besser spät als nie“ ist umstritten.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer plant eine internationale Sicherheitszone in Nordsyrien.

Noch im Juli 2019 hatte die kurdisch geprägte SDF, die den Nordosten Syriens kontrolliert (oder besser gesagt kontrollierte), die internationale Anti-IS-Koalition aufgerufen, eine Pufferzone an der nordsyrischen Grenze einzurichten. Die YPG – der bewaffnete Arm der SDF – versprach, sich auf zehn Kilometer von der Grenze entfernt zurückzuziehen. Die USA baten zugleich die Bundesregierung, Truppen zur Ablösung der dort stationierten US-Truppen zu schicken. Die Bundesregierung winkte ab – so wie viele andere Akteure – und ließ damit die Chance liegen, ihre kurdischen Verbündeten und die Zivilbevölkerung zu schützen. Nach dem Abzug der US-Truppen Anfang Oktober war damit der Weg frei für die türkische Offensive und eine Eskalation des Konflikts.

Russland kann nicht Schutzmacht der syrischen Bevölkerung sein

Nun möchte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eine solche international überwachte Pufferzone doch noch einrichten. Bei den NATO-Partnern Frankreich, Großbritannien, USA, und der Türkei bat sie bereits um Unterstützung, ebenso bei Russland. Ihre Pläne will sie am Rande des Treffens der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel am kommenden Donnerstag und Freitag vorstellen und dort nach Verbündeten suchen.

Die Verteidigungsministerin hofft, mit einer solchen Sicherheitszone die Lage vor Ort zu deeskalieren. Dazu will sie auch auf Russland setzen – die Schutzmacht des syrischen Regimes, die verantwortlich ist für zahlreiche Kriegsverbrechen gegen die syrische Zivilbevölkerung, etwa die gezielte Bombardierung von Krankenhäuser. Während Kramp-Karrenbauer über eine Allianz mit Russland nachdenkt, fallen in Idlib pausenlos russische Bomben auf medizinische Einrichtungen, Schulen und Märkte. Für viele Beobachter*innen des Syrien-Kriegs ist es ausgesprochen zynisch, dass Kramp-Karrenbauer nun mit Russland kooperieren will und als Schutzmacht für die syrische Bevölkerung ins Spiel bringt.

Doch während es im Juli noch möglich gewesen wäre eine Schutzzone ohne Kooperation mit Russland zu errichten, führt an Russland jetzt kein Weg mehr vorbei: Seit die SDF das Assad-Regime und Russland zur Abwehr der türkischen Invasion in die Region gerufen haben, stehen russische Truppen und Einheiten des Assad-Regimes im Nordosten.

Dass sich Russland und das Regime einfach so aus der Region wieder zurückziehen, ist allerdings ebenso unwahrscheinlich, wie die Zustimmung Russlands zu einer Intervention westlicher Staaten im UN-Sicherheitsrat, sollte Russland nicht vorteilshaft eingebunden werden. Ohne diese wäre eine Intervention allerdings völkerrechtswidrig – wobei der Begriff angesichts der langjährigen Blockade des Sicherheitsrats und der bislang straflos bleibenden Kriegsverbrechen in Syrien ohnehin an Bedeutung eingebüßt hat.

Wiederaufbau und freiwillige Rückkehr?

Kramp-Karrenbauer geht es aber nicht um ein Ende der Kampfhandlungen bzw. die schnelle Beendigung der türkischen Offensive. Weil sie fürchtet, dass die Situation im Nordosten Syriens die Sicherheitsinteressen Deutschlands und Europas massiv beeinträchtige, will sie gemeinsam den Kampf gegen den IS wieder aufnehmen. Außerdem strebt sie den Wiederaufbau zerstörter Regionen an, um die Voraussetzung für eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen. Vermutlich geht es ihr vor allem darum, zu verhindern, dass neue Flüchtende in die EU kommen. Unklar bleibt allerdings, von welchen Geflüchteten sie spricht. Ginge es Ihr um die aktuell durch die türkische Offensive Vertriebenen, von denen viele freiwillig in ihre Häuser zurückkehren könnten, sobald sie dort sicher wären, dann wäre die Aussage unproblematisch.

Der türkische Plan einer Sicherheitszone sieht jedoch etwas ganz anderes vor. Erdogan möchte in der von ihm angedachten Sicherheitszone Syrer*innen, die in der Türkei leben, dorthin umsiedeln, ungeachtet der Frage, wo sie herkommen. Und von freiwilliger Rückkehr kann dabei nicht die Rede sein. Annegret Kramp-Karrenbauer stellt sich zwar öffentlich gegen die Zwangsumsiedlungspläne der Türkei und will lediglich freiwillige Rückkehr*innen unterstützen. Wie sie sicherstellen möchte, dass die Rückkehrbewegungen aus der Türkei wirklich freiwillig sind, erläuterte sie bisher nicht. Generell gehen Optionen zur „freiwilligen Rückkehr“ oft mit Druckmitteln einher.

Kampf gegen den IS – mit dessen Unterstützern?

Hinsichtlich des Kampfs gegen die Terrormiliz IS, den der Plan von Annegret Kramp-Karrenbauer umfasst, stellt sich ein weiteres Problem: Die Türkei wird bei ihrer Offensive durch islamistische Söldnergruppen unterstützt, die teils ideologische Ähnlichkeiten zum IS oder gar persönliche Verflechtungen aufweisen. Und schon lange stehen zahlreiche Vorwürfe im Raum, dass die Türkei den IS wenn nicht direkt unterstützt, so doch indirekt befördert hat und dies weiterhin tut: Demnach habe die türkische Armee gezielt Lager und Gefängnisse bombardiert und damit die Flucht von IS-Terroristen ermöglicht. Zudem sollen islamistische pro-türkische Söldnergruppen in den von ihnen eroberten Gebieten IS-Kämpfer befreit haben. Eine Studie der Columbia University beschreibt bereits 2014 zahlreiche Verbindungen und Interaktionen zwischen offiziellen türkischen Stellen und der IS-Terrormiliz.

Besser spät als nie“?

Generell sind die Aussichten auf eine tatsächliche international kontrollierte Sicherheitszone fraglich. Der eigentlich zuständige Bundesaußenminister Heiko Maas gibt sich irritiert über den Alleingang der Verteidigungsministerin und bezeichnete solche Überlegungen als „zu früh“. Die vorab eingeweihte Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich verhalten. Gut möglich, dass Kramp-Karrenbauers Vorschlag im Sande verläuft.

Ob das gut wäre oder schlecht, ist indes schwer zu bewerten: Wenn die westliche Staatengemeinschaft nichts unternimmt, werden Kurden und andere Minderheiten in der Region der türkischen Offensive und deren Proxys ausgeliefert – ein Horrorszenario für viele Menschen in der Region. Auf der anderen Seite hätte eine unausgegorene Intervention, die mit Russland kooperiert und dabei nebenbei das in der Region ja auch bereits präsente Assad-Regime rehabilitiert, angesichts der fortdauernden Verbrechen dieser Akteure ebenso katastrophale Folgen.