Firas meldet sich erst mit zwei Stunden Verspätung, weil wieder einmal Kampfjets über Talbiseh donnern, eine mittelgroße Stadt nördlich von Homs. Der Medienaktivist dokumentiert die Luftschläge auf seine Stadt, nicht selten kommen sie ihm gefährlich nahe. Mitte August hätte es ihn beinahe erwischt. Nur 50 Meter von ihm entfernt schlägt eine der Bomben ein. Später postet er ein Video, auf dem man wenig sieht – nur eine gespenstische Szenerie aus Staub, Dreck und den Silhouetten heruntergekommener Häuser in der Ferne. „Das hätte das Ende sein sollen“, schreibt er. „Ich hätte eine weitere Nummer werden sollen, wie all die anderen, die vor mir gestorben sind. Aber wir sind keine Nummern. Ich habe Familie, Freunde und Träume wie auch die anderen sie einst hatten.“
Fünf AktivistInnen aus ihrer kleinen Gruppe sind mittlerweile tot. „So viele sind gestorben, während sie über die Verbrechen berichtet haben“, erzählt Firas. „Unter diesen Leuten sind gute Freunde und Verwandte. Es ist unsere Pflicht, das fortzuführen, wofür sie gestorben sind. Es ist unsere Revolution und unser Land.“
Aufklärung gegen Propaganda
Wie wohl kein Krieg zuvor wird der Konflikt in Syrien auch in den Sozialen Medien ausgetragen. Tag für Tag fluten AktivistInnen und Propagandasender das Netz mit Material. Die Wahrheit bleibt dabei allzu oft auf der Strecke. Zu jeder neuen Finte der russischen, syrischen oder iranischen Regierung produzieren die angeschlossenen Propagandamedien passendes Material. Rebellen- und Islamistenmilizen haben ihre eigenen Medienbüros. Und auch oppositionelle JournalistInnen und MedienaktivistInnen publizieren immer öfter Fehlinformationen und Fakes. Wieder andere pflegen längst die gleiche Nähe zu bestimmten Rebellengruppen, wie die syrischen Staatsmedien zum Regime. Westlichen Journalisten wiederum ist der Weg nach Syrien weitgehend versperrt – solange sie sich nicht von einer der bewaffneten Gruppen oder den am Krieg beteiligten Armeen abhängig machen.
All das macht die Arbeit jener BürgerjournalistInnen so wertvoll, die unabhängig nach besten Wissen und Gewissen und auf hohem Niveau berichten. Zu ihnen gehören Firas und seine Kollegen. „Auch als Aktivist muss man ein gewisses Maß an Neutralität bewahren“, sagt er. „Man muss sich die Ereignisse angucken, wie jemand der sie dokumentiert. Man muss sorgfältig sein und darf dabei nicht zu emotional werden. Wenn wir Informationen verbreiten, dann nur, wenn wir uns sehr sicher sind.“
Beweise sammeln
Das versuchen sie, obwohl die Opfer des Krieges Menschen sind, die ihnen nahestehen. Und sie sind erfolgreich mit dem was sie tun. Als die russische Armee im September 2015 begann, Luftangriffe in Syrien zu fliegen, waren die AktivistInnen in Talbiseh unter den ersten, die beschrieben, wie russische Jets weitab jeder Stellung der Islamisten von ISIS oder Jabhat an-Nusra ziviles Gebiet bombardierten. Vorbei war es mit der Tarnung der russischen Militärintervention als Anti-Terror-Einsatz (Lesen Sie hier, wie sich Firas an den Beginn der russischen Intervention erinnert).
Firas präsentiert die Überreste einer über Talbiseh abgeworfenen Streubombe und erklärt, wie sie funktioniert
Später bestritt man in Moskau vehement, dass man international geächtete Streubomben in Syrien einsetze – in Talbiseh sammelten Firas und seine Verbündeten einige der eindeutigsten Beweise für den Einsatz russischer Streumunition. International renommierte Analysten wie Eliot Higgins, Gründer der Rechercheplattform Bellingcat, griffen ihr Material auf (zum Artikel).
Ihre Erfolge spornen die AktivistInnen aus Talbiseh dazu an, besser zu werden. Gegenwärtig planen sie, mehr zu filmen, ein paar kleine Reportagen haben sie schon realisiert. Währenddessen unterrichten sie andere AktivistInnen in solider Medienarbeit.
Talbiseh ist seit fast vier Jahren unter Belagerung. Mitte August hat eine intensive militärische Kampagne gegen die Stadt begonnen. Es gibt kaum Elektrizität und die Nachschübe organisieren die BewohnerInnen über geheime Routen oder in Eigenproduktion.
„Es geht um die Wahrheit“
Dabei finden sich die AktivistInnen in einer merkwürdigen Position: „Wir sind Teil der Geschichte und zugleich schreiben wir sie auch selbst.“
Dass sie mit ihren Berichten wirklich etwas bewirken können, glauben die Menschen in Talbiseh schon lange nicht mehr. Zu tief sitze der Vertrauensverlust in die Internationale Gemeinschaft, erzählt Firas. Dass sie dennoch weitermachen, bedeutet nicht, dass sie sich Illusionen machen: Es ginge jetzt darum, der kommenden Generation zu zeigen, was hier wirklich geschehen ist, so der Aktivist. „Und dabei geht es nicht darum, wie wir es gerne hätten, es geht um die Wahrheit. Als Autoren der Geschichte haben wir eine große Verantwortung.“
Und wenn er sich dennoch etwas wünschen könne? „Ich hoffe, dass das Leiden der Syrer ein Ende nimmt und ich zu meinem normalen Leben zurückkehren kann – doch nach dem was wir erlebt haben, wird es kein Zurück mehr geben“, sagt Firas, der vor dem Krieg Englische Literatur studierte. „Ich hoffe, dass wir dieses kaputte Land wieder aufbauen können und sich jene Werte durchsetzen, für die unsere Freunde gestorben sind. Und dass sich die Welt bewusst wird, dass die Tragödie der Syrer die Tragödie der Menschlichkeit ist.“
Unterstützen auch Sie die Arbeit der MedienaktivistInnen in Talbiseh. Weil Information die Grundlage für eine freie Gesellschaft ist und wir ansonsten der Desinformation der Krieger ausgeliefert wären.
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