In Daraa, der Stadt, in der vor über anderthalb Jahren der Aufstand in Syrien begann, versucht heute eine Gruppe AktivistInnen, die Stadt in Form von ziviler Selbstverwaltung zu versorgen. Zaidun al-Zuabi, Mitbegründer der Daraa Commission for Civil Defense berichtete im Interview mit Syria Untold von Erfolgen, Widerständen und den Beziehungen zu den bewaffneten Guppen der FSA im befreiten Daraa.
Als SyrerInnen das erste Mal gegen die Tyrannei Assads aufbegehrten, glaubten sie daran, dass sie das Regime stürzen und den Staat intakt lassen könnten. Was sie nicht bedacht hatten, war, dass die Machtkonzentration des Regimes es unmöglich machte, das eine ohne das andere zu stürzen. Als dann die Kräfte des Regimes bestimmte Regionen verließen, schienen alle bisher vom Staat übernommenen Funktionen ebenfalls zusammen zu brechen oder extremistischen Gruppierungen in die Hände zu fallen, die eine gänzlich andere Vorstellung davon, wie die Zukunft Syriens auszusehen habe, hatten. Die Übernahme der staatlichen Aufgaben im Umland Aleppos und in Raqqa durch den Islamic State in Iraq and Syria (ISIS) war im Grunde eine Niederlage für den zivilgesellschaftlichen Anteil an der Revolution.
Nichtsdestotrotz ist Daraa, ebenso wie es die Wiege des Aufstandes war, heute umso bedeutender für den Kampf. Den Kampf, den Staat dem Regime zu entreißen und zugleich eine Alternative zur Militärherrschaft zu bieten. Die Daraa Commission for Civil Defense wurde im Februar 2013 gegründet, nach Monaten der Planung und harter Arbeit eines Teams von nicht mehr als einem Dutzend AktivistInnen. Zaidun al-Zuabi, Mitbegründer der Initiative, erzählte Syria Untold von seinen Einsichten darüber, wie sich ein erfolgreiches Modell ziviler Selbstverwaltung trotz aller Widerstände verwirklichen lässt.
Eine Idee aus Duma
Die Idee kam aus Duma, wo Zaidun und seine KollegInnen zum ersten Mal mit dem Versuch der Stadt, sich selbst zu verwalten, in Form der Commission for Civil Defense in Duma, konfrontiert wurden. Mithilfe dieser Motivation und dieses Vorbildes wurde beschlossen, eine ähnliche Institution in Daraa einzurichten, in einer Stadt, die einen kompletten Zusammenbruch der öffentlichen Versorgung erlebte, nachdem die Kräfte des Regimes abgezogen waren. Grundlegende Dienste, wie Müllabfuhr, Wasserversorgung und sanitäre Versorgung fehlten und die individuellen Anstrengungen der AktivistInnen reichten nicht aus, eine Basisversorgung zu leisten – somit bestand der dringende Bedarf nach einer institutionellen Organisation.
Die beteiligten AkivistInnen erstellten demnach einen Arbeitsplan, der an die lokalen Bedürfnisse angepasst wurde. Ein zwölfköpfiges AktivistInnen-Team arbeitete von Damaskus im Bereich von Beratung und Öffentlichkeitsarbeit, während die praktische Umsetzung von lokalen AktivistInnen in Daraa geleistet wurde.
Praktische Umsetzung und Erfolge
Die Idee wurde erfolgreich umgesetzt und es konnten alle vom Regime zurück gelassenen Bedürfnisse in der Stadt Daraa befriedigt werden. Die Aufgaben reichten hierbei von Straßenreinigung über die Wiederinstandsetzung dessen, was durch den fortlaufenden Konflikt zerstört wurde, bis hin zu der Instandsetzung und Verwaltung der Elektrizitäts- und Wasserversorgung, sowie der Vergrößerung des kleinen Feldlazaretts zu einem großen medizinischen Stützpunkt mit 11 Räumen, einer Intensivstation und 17 MitarbeiterInnen. Die Kommission war so erfolgreich, dass sogar der aus dem Amt scheidende Direktor für die Elektrizitätsversorgung in der Stadt sie zur Unterstützung heranzog. Im Bereich von Fürsorge spielt sie eine vermittelnde Rolle, z. B. dadurch, dass sie mittellosen Menschen Jobangebote unterbreitete. „Sodass jemand der als Elektriker arbeitete und aktuell Hilfe benötigt einen bezahlten Job bei der Kommission erhalten kann (mit einem Gehalt von 12.000 SYP)“, berichtet Zaidun. Zur Zeit beschäftigt die Kommission ca. 150 Menschen in verschiedenen Bereichen.
Sämtliche Gerätschaften und Ausrüstungsgegenstände, die das Team nutzt, wurden entweder durch Spenden oder durch die Übernahme des durch das Regime zurückgelassenen Materials akquiriert (im letzteren Fall in der Regel größeres Equipment wie etwa Müllwagen). Zaidun erläutert: „Als das Regime abzog, hinterließ es die staatlichen Institutionen mit sämtlicher Ausrüstung. Wir baten die oppositionellen Kräfte darum, diese zu nutzen um eine grundlegende Versorgung wiederherzustellen, und das geschah auch.“ Weiterhin sagt er: „Diese Ausrüstung ist staatliches Eigentum, nicht die des Regimes, und darum nutzen wir sie autorisiert durch offizielle Verträge und sind darauf vorbereitet, sie nach dem Sturz des Regimes wiederum an den Staat zu übergeben.“ Die Kommission erfreut sich in der Stadt einer großen Popularität und ihre Kampagnen stießen bisher auf große Begeisterung, nicht zuletzt dank ihrer integrativen und nachvollziehbaren Slogans und der Tatsache, dass viele Menschen von ihren Aktivitäten profitieren. Dieser Erfolg geht wiederum auf die fehlerlose Organisation des Projekts und die versierte Nutzung von Ressourcen zurück. Laut Zaidun besteht die Kommission nur zu 5 % aus Freiwilligen, diese befinden sich zum größten Teil außerhalb Syriens und kümmern sich um Öffentlichkeitsarbeit und Interessenvertretung. Der restliche Teil sind Angestellte, die von der Kommission bezahlt werden. Das Team ist sehr transparent bzgl. der Organisationen, die ihnen finanzielle und materielle Unterstützung leisten: Initiative for a New Syria , Al-Safari, die Democratic Platform und die Syrian Home Association for Relief and Development.
Die Beziehung zu bewaffneten Gruppierungen
Laut Zaidun ist die Beziehung zu bewaffneten Gruppen [der sogenannten FSA] „weder gut noch schlecht, sondern eher pragmatisch in dem Sinne, dass wir jegliche Konfrontation mit ihnen vermeiden. Wir arbeiten in den von ihnen kontrollierten Gebieten als zivile Kommission, nicht als politische Partei. Also schließen wir uns keiner spezifischen Ideologie (weder islamisch noch säkular) an, was sich anhand unserer Homepage nachvollziehen lässt, auf der keine politischen Slogans zu finden sind. Wir sind dazu da, jedem Hilfestellung und Unterstützung zu bieten, unabhängig von seinem religiösen, ethnischen oder politischem Hintergrund.“
Aber das heißt nicht, dass es keinerlei Spannungen gab. Jabhat al-Nusra beschwerte sich über die säkulare Ausrichtung eines Teammitglieds und versuchte dies als Vorwand zu nutzen, die Kommission unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber die Angelegenheit wurde, aufgrund ihrer großen Beliebtheit und der Tatsache, dass fundamentalistische Gruppen nicht viel Unterstützung in Daraa genießen, zugunsten der Kommission entschieden.
Die Brücke über den Daraa-Fluss, nachdem sie von den AktivistInnen wieder instand gesetzt wurde. Quelle: Facebook-Seite der Kommission.
Widrige Umstände
Die Arbeit für die Kommission scheint nie aufzuhören. Für jedes Gebäude, jedes Gerät, das wieder aufgebaut bzw. repariert wird, wird ein anderes von den Kräften des Regimes zerstört. Zaidun fragt sich, warum sie immer wieder zur Zielscheibe für das Regime werden, obwohl ihre Aktivitäten sich auf zivile Hilfe beschränken.
„Letztes Mal wurde einer unserer Müllarbeiter, der nur das allernötigste für das, was er tut, erhält, getötet. Warum? Das Hauptquartier der Kommission wurde drei Mal zerbombt, und wir haben es drei Mal wieder aufgebaut. Nicht auszudenken, wie viel uns die Gerätschaften, die wir jedes Mal verlieren, kosten. Warum zerstört ihr sie? Wir sind keine bewaffnete Gruppe, wir sind noch nicht einmal Teil der politischen Opposition, wir sind eine zivile Institution. Unser einziges Ziel ist es, die staatlichen Aufgaben zu übernehmen, die ihr zurück gelassen habt.“
Trotz ihres Erfolgs erhält die Kommission eine minimale Unterstützung im Vergleich zu der Geldsumme, die für bewaffnete Gruppierungen verwendet wird. „Was in einer Schlacht ausgegeben wird, könnte uns helfen, die Menschen drei Monate humanitär zu versorgen und zu unterstützen“, erzählt Zaidun. Darüber hinaus glaubt er, dass es besser sei, die Menschen durch Arbeitsangebote und nicht durch Lebensmittelzuteilungen zu unterstützen.
Ein Video, dass die Angestellten der Kommission bei Reinigungsarbeiten in der Stadt zeigt. Quelle: Facebook-Seite der Kommission.
Zur Hoffnung verurteilt
Die Erfahrung der Kommission in der Provinz Daraa sprach sich landesweit herum, und verschiedene Provinzen versuchten, ähnliche Projekte umzusetzen. Die meisten dieser Versuche scheiterten aufgrund der zunehmenden politischen Agenda und dem Versuch, den zivilen Bereich zu politisieren. Duma und Daraa, trotz des relativen Mangels an Unterstützung, bleiben einzigartige Beispiele für zivile Selbstverwaltung im befreiten Syrien.
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