Daraya: “Brotkrümel ändern die Realität nicht”

Vor zehn Tagen erreichte erstmals ein Hilfskonvoi das belagerte Daraya. Doch nun wird die Stadt wieder mit Bomben eingedeckt und die Nahrungshilfen reichen nicht.

Erst kamen die Lebensmittel, dann die syrische Luftwaffe. Weit über 300 Fassbomben hat Hossam, ein Medienaktivist, in den letzten zehn Tagen in Daraya gezählt. In der Nacht zum 10. Juli hatte erstmals ein UN-Hilfskonvoi mit Lebensmitteln den in Trümmern liegenden Vorort von Damaskus erreicht. Seit November 2012 währt die Belagerung durch das syrische Regime. Die Lastwagen hatten Nahrungsmittelrationen für 2.400 Menschen gebracht, sowie Mehl für weitere 4.000. Einen Monat lang sollen die Lebensmittel reichen. Ob ein weiterer Konvoi dann überhaupt problemlos passieren können wird, ist ungewiss und hängt allein von der Willkür des Regimes ab. Nur wenige Stunden nachdem die LKWs die Stadt verlassen hatten, begannen die Bombardements. Raketen und Granaten werden in die Stadt geschossen, Fassbomben fallen aus den Kampfhubschraubern.

Wie geht es Daraya heute, gut zehn Tage später?

„Die Lebensmittel reichen nicht“, klagt Hossam. „Die Menschen sind traurig und wütend.“ Denn in Daraya leben noch rund 5.000 Menschen, nur für die Hälfte von ihnen reichen die von der UN gelieferten Nahrungsmittel.

Jetzt teilen sie die Lebensmittelpakete auf, sodass alle etwas kriegen.

„Wir haben das Vertrauen in die internationale Gemeinschaft längst verloren“, sagt Hossam. „Über 90 Prozent der UN-Hilfen werden in die Gebiete des Regimes geliefert. Sie unterstützen den Verbrecher und machen sich zu Komplizen des Mordens und der Belagerungen. Wir haben keine nennenswerte Anstrengungen gegen diese Taten gesehen. Alles was wir bekommen sind falsche Versprechungen und leere Betroffenheitsbekundungen.“

Laut einer neuen  Studie der Syria Campaign haben die Vereinten Nationen jede Unparteilichkeit im Syrienkonflikt verloren. Ein Großteil der UN-Lebensmittelhilfen wird in Gebiete geliefert, die vom Regime kontrolliert werden. So erreichten im April 2016 nur 12 Prozent der Güter Oppositionsgebiet. Oft sprechen die Zahlen sogar eine noch deutlichere Sprache. Im August 2015 etwa gingen 99 Prozent der Nahrungsmittel in Gebiete der Regierung.

Hossam macht dennoch mit seiner Arbeit weiter. Dokumentiert mit anderen Tag für Tag was geschieht. Zwei seiner Kollegen wurden während ihrer Arbeit von Bomben getötet. Immer wieder gab es auch Angriffe, die den Räumen der Medienaktivisten gefährlich nahe kamen. „Das Regime versucht die Stimme der Wahrheit zum Schweigen zu bringen“, meint Hossam, der eigentlich Agrarwissenschaften studiert hatte, bis der Krieg kam.

Aber war denn die jüngste Lieferung von Hilfsmitteln nicht zumindest ein Anfang? Der Medienaktivist sieht wenig Anlass zu Optimismus: „Es ging ihnen von Anfang an darum, die Leute zum Aufgeben zu bringen. Das war klar, als sie hier im August 2012 das Massaker begingen, dem hunderte Menschen zum Opfer fielen. Einige Krümel Brot und Reis ändern die furchtbare Realität nicht. Assad weiß das. Er hat noch immer seine Fassbomben, seine Milizen, die russische Unterstützung und er schert sich nicht um den Unterschied zwischen Zivilist und Kämpfer.“

Jan-Niklas Kniewel