Das Erwachen der Graffitis – Presseschau 19. April

Adrian Hartrick berichtet auf Al-Monitor über syrische AktivistInnen in der nordsyrischen Stadt Kafr Nabl (Kafranbel), die sich in der Gruppe Shera‘ (arabisch für Straße) zusammengeschlossen haben, um Graffiti als alternative Form des Protests zu nutzen. Ein kurzes, aber sehenswertes Video zu Shera‘ ist hier anzuschauen. Shera‘ sieht Graffitis als Gelegenheit, den öffentlichen Raum zurückzugewinnen, welcher […]

Adrian Hartrick berichtet auf Al-Monitor über syrische AktivistInnen in der nordsyrischen Stadt Kafr Nabl (Kafranbel), die sich in der Gruppe Shera‘ (arabisch für Straße) zusammengeschlossen haben, um Graffiti als alternative Form des Protests zu nutzen. Ein kurzes, aber sehenswertes Video zu Shera‘ ist hier anzuschauen. Shera‘ sieht Graffitis als Gelegenheit, den öffentlichen Raum zurückzugewinnen, welcher von den verschiedenen Milizen gestohlen und vorher vom syrischen Regime mit Bildern von Bashar und Hafez Al-Assad besetzt gehalten worden war. Kafr Nabl hatte sich zu Beginn der Revolution auf die Seite der Opposition geschlagen und diese unterstützt, die Stadt wurde deshalb mehrfach von Assads Luftwaffe bombardiert. Viele junge AktivistInnen begannen angesichts der steigenden Gewalt in Syrien, englischsprachige Banner mit Nachrichten an die Weltgemeinschaft zu erstellen, welche die Bestürzung über die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck bringen. Sie nutzten soziale Medien, um Fotos von sich samt den Bannern zu veröffentlichen. Diese Aktionen erlangten zwar internationale Aufmerksamkeit, wurden aber nicht weiter unterstützt. Zuletzt hatte Kafr Nabl zudem unter der Willkür von ISIS gelitten, die ihrerseits hart gegen zivile AktivistInnen vorgingen.

In den letzten Monaten hat Shera‘ daher angefangen, Slogans aus dem Koran an Wände zu sprühen, um einen toleranten Islam zu fordern, der sich v.a. gegen die extremistische ISIS [„Islamischer Staat in Irak & Syrien“] richtet. Der religiöse Extremismus soll durch Zitate wie „Freiheit ohne Zweifel“ oder „Wie kannst du es wagen, Menschen als Sklaven zu halten, wo sie doch frei geboren wurden?“ – dies ein Zitat des Kalifen Omar Ibn-Khattab – unterbunden werden. Wie frühere Aktionen in Kafr Nabl beinhalten die Graffitis politische Forderungen, dienen allerdings ebenfalls dazu, die Einstellungen der Menschen gegenüber den Ereignissen in Syrien zu ändern. Nashwan Marzook, Gründer der Gruppe Shera‘, möchte durch diese Art von Arbeit das Vertrauen der Bevölkerung in den zivilen Widerstand wiederherstellen, nachdem die Hoffnung durch die anhaltende Gewalt weitgehend verloren gegangen ist. Der Konflikt in Syrien hat sich seit 2011 enorm militarisiert, was für Shera‘ der Anlass war, den zivilen Widerstand aufrechtzuerhalten. Die Aktionen beschränken sich zwar auf die Stadt Kafr Nabl, öffnen aber ein kleines Fenster für einen alternativen Weg, den das Land gehen könnte.

Über eine ähnliche Entwicklung in Kafr Nabl wird auch bei Damascus Bureau berichtet. Junge Aktivisten haben sich zusammengefunden, um die Wände mit Farbe und Leben zu bemalen. Diese Aktion findet unter der Kampagne Aish (arabisch für Leben) statt. Wandmalereien sollen die aktuelle Situation visuell darstellen sowie die Schmerzen und Erfahrungen der Bewohner lindern. Als ISIS die Stadt 2013 besetzte, kam die Arbeit fast vollständig zum Erliegen. Aus Angst vor Verhaftungen wurde nur noch nachts gemalt. Seit dem Rückzug von ISIS aus Kafr Nabl nahm Aish die Arbeit mit doppeltem Aufwand wieder auf.

Salam al-Saadi geht für Damascus Bureau auf die explodierenden Mieten in Damaskus ein. Der Krieg hat eine Massenflucht aus dem Umland von Damaskus in die Hauptstadt zur Folge. Viele Häuser in der Nähe der Hauptstadt sind vollständig zerstört worden, sodass Damaskus als schmales Rettungsboot agiert, um Menschen aus der Umgebung aufzunehmen. Das Ergebnis ist eine viel höhere Nachfrage auf Immobilien. In bürgerlichen Vororten wie Jaramana, Sahnaya und Qudsaya kostet eine Zwei-Zimmer-Wohnung mittlerweile zwischen 167 und 234 US-Dollar im Monat, im Zentrum von Damaskus mindestens das Doppelte. Zum Vergleich: 2011 betrug der durchschnittliche Monatslohn in Syrien 87 Dollar. Ein Zimmer in einer Pension im Zentrum von Damaskus kostet allerdings nur 5 US-Dollar am Tag, weshalb viele Menschen die Suche nach einer Wohnung aufgeben.

Die gestiegenen Mieten haben dazu geführt, dass sich viele Familien zu einem Gemeinschaftsleben mit anderen Familien entscheiden. Zwei oder mehr Familien leben zusammen im gleichen Haus, um so die Lasten besser verteilen zu können – was jedoch nicht ohne soziale Spannungen bleibt. Die Vermieter nutzen die gestiegene Nachfrage nach Wohnungen aus und erhöhen ihrerseits die Mieten, um einen Profit aus der Situation zu ziehen. Mieten sind derzeit bis zu vier Mal höher als vor Ausbruch des Aufstands. Die jüngste Studie, welche von der Wirtschafts- und Sozialkommission der Vereinten Nationen für Westasien (ESCWA) durchgeführt wurde, geht von der Zerstörung von etwa 1,5 Millionen Haushalten in Syrien aus – was Auswirkung auf 7 Millionen Menschen hatte. Im Umland von Damaskus seien laut ESCWA-Studie die Hälfte aller Häuser zerstört worden.

Leen Ali berichtet auf ARA News über eine Wohltätigkeitsorganisation, die von jungen AnwohnerInnen in Darbasiyah (an der türkischen Grenze, 60km westlich von Qamishli) gegründet wurde. Ziel der Organisation sei es, Menschen in Not unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu helfen. Die Arbeit umfasst die Zustellung von Lebensmittelkörben, Kleidung und geringen Geldbeträgen. Familien, denen die Organisation hilft, wissen, dass sie zwar nicht aus der Armut befreit werden können, aber wenigstens eine Linderung ihrer Schwierigkeiten erfahren. Die Organisation wird von mehreren internationalen Hilfsorganisationen, kurdischen Gemeinden in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie unabhängigen jungen AktivistInnen finanziert. Auch AnwohnerInnen steuern nach Möglichkeit finanziell etwas zu. Bemerkenswert in den nordöstlichen Gebieten Syriens ist, dass seit kurzem mehrere Wohltätigkeitsverbände gegründet wurden, um humanitäre Hilfe für notleidende Familien bereit zu stellen.

Memmo Derki berichtet, ebenfalls für ARA News, aus dem nordöstlichen Derik. Am Fluss Tigris im türkisch-syrisch-irakischen Grenzgebiet gelegen, zeichnet sich die Region Derik durch ihren großen Anteil an der syrischen Landwirtschaft aus, vor allem durch die Produktion von Weizen, Baumwolle und Linsen. Der anhaltende syrische Konflikt hat sich nun auch in dieser Region bemerkbar gemacht. Die Pflanzen benötigen Bewässerung, Düngemittel und Insektizide. All diese Dienstleistungen und Produkte wurden billig durch das syrische Regime bereitgestellt, bis es die Kontrolle über die Gegend verlor; seitdem sind auch hier die Preise angestiegen. Unentschlossenheit macht sich unter den Bauern breit, ob die landwirtschaftliche Produktion fortgeführt werden kann. Sie sind unsicher, ob sie ihre Erzeugnisse weiter an die staatlichen Institutionen verkaufen können. Die Agricultural Bank of Syria verzögerte die Zahlung der Landwirte um mehr als vier Monate im letzten Jahr, bis diese sich vor der Bank zu einem Protest einfanden. Zudem erschweren Umweltprobleme – Dürre und Bodenerosionen – den landwirtschaftlichen Betrieb.

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