Das Geheimnis – Alltag in Douma, Ost-Ghouta

„Das kann nicht sein!“, dachte ich, als ich im Süßigkeitenladen stand: Die Preise waren wirklich gesunken. Meine Kollegin hatte Recht behalten; mit nur wenig Geld konnte ich nun Lutscher kaufen, die ich für einen Schatz halte, da ich sie meinen Kindern nur selten schenken kann. Dies wird Außenstehende womöglich verwirren – ein Lutscher? Doch genau […]

„Das kann nicht sein!“, dachte ich, als ich im Süßigkeitenladen stand: Die Preise waren wirklich gesunken. Meine Kollegin hatte Recht behalten; mit nur wenig Geld konnte ich nun Lutscher kaufen, die ich für einen Schatz halte, da ich sie meinen Kindern nur selten schenken kann.

Dies wird Außenstehende womöglich verwirren – ein Lutscher? Doch genau richtig – ein Lutscher! Denn mein Wohnort Al-Ghouta ist belagert von einem Herrscher ohne Herz, der alltägliche Dinge wie Süßigkeiten für unsere Kinder in den Bereich der Träume verbannt hat.

Ich eilte ins Haus hinein, meine Augen sprachen bereits anstelle des Mundes…

  • „Was versteckst du hinter deinem Rücken, Mama?”
  • „Ratet mal”, erwiderte ich und hielt die 4 Lutscher hoch.

Meine drei Kinder und deren Cousine nahmen mir fröhlich die Lutscher aus der Hand, stürmten ins nächste Zimmer und schlossen die Tür. Ich hörte, wie sie leise diskutierten, als hätten sie etwas ausgeheckt. Sie waren kaum aus dem Zimmer herausgegangen, als sie wieder hineingingen, dann wieder heraus und nochmal hinein ins Zimmer. Ich wusste, dass sie mir einen ihrer fantastischen, kindlichen Pläne verheimlichten.

Eine Woche später saß ich im Wohnzimmer und las, als ich bemerkte, wie die Kinder flüsternd und mit langsamen Schritten auf mich zukamen.

  • „Wir möchten dir etwas zeigen, Mama!“

Ich lächelte, schloss mein Buch und sagte:

  • „Habt ihr mal wieder etwas angestellt?“
  • „Nein, nein Mama! Wir möchten dir etwas zeigen, was wir gemacht haben; etwas Neues, das dir gefallen wird. Aber verrat es niemandem, es ist ein Geheimnis!“
  • „Einverstanden!“, sagte ich begeistert und folgte ihnen ins Zimmer.

Die Kinder bewegten sich ganz aufgeregt und hielten dabei eine Schachtel in den Händen, auf die sie aufpassten wie auf einen Schatz. Sie wiesen sich gegenseitig darauf hin, dass sie ja nichts fallen lassen dürften.

Als ich einen Blick in die Schachtel warf, verblüffte mich deren Anblick. Sollte ich weinen oder lachen? Ich wusste es einfach nicht.

  • „Was ist das?“, fragte ich.

Meine ältere Tochter fing an, zu erklären:

  • „Wir sammeln diese Süßigkeiten schon seit einer ganzen Weile, denn wir haben befürchtet, dass der Winter kommt und es keine Süßigkeiten mehr gibt. All die Süßigkeiten, die du uns in der letzten Zeit gekauft hast, haben wir aufgehoben. Schau mal, es hat sich schon eine große Menge angesammelt!”

In der „Traumschachtel“ lagen die vier Lutscher, daneben eine Schachtel Kekse, eine Tüte mit Wahlnüssen sowie eine weitere mit ein paar Datteln. Ich umarmte die Kinder einzeln, mit Tränen in den Augen.

Douma_Geschichte_3_Geheimnis
Die von den Kindern sorgsam bewachte Schachtel mit Süßigkeiten.

Die Belagerung lehrt unseren Kindern Mangel und Nöte, sie sind konfrontiert mit Situationen, für die sie noch viel zu klein sind. Unsere Kinder wachsen dadurch schneller auf, denn es bleibt ihnen ja gar keine andere Wahl. Doch leider haben sie die vergangenen Jahre auch gelernt, dass die Zukunft oft noch Schlimmeres bereithält. Ich wünsche ihnen eine bessere Zukunft. Ich hoffe, diese Zukunft beginnt bald.

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Diese Geschichte aus Douma, Ost-Ghouta, spiegelt das Alltagsleben unter Belagerung wider. Verfasst wurde die Geschichte von Hebah, einer Mutter aus Douma. Die Vorstadt von Damaskus ist seit nunmehr Jahren betroffen von Hungerblockaden, die vom Regime auferlegt werden, und Preistreiberei durch gierige Händler, die der hungernden Bevölkerung z.T. exorbitante Preise abverlangen. Zusätzlich leiden die BewohnerInnen unter den Folgen des immer noch stattfindenden Bombardements. Was es bedeutet, in der Ghouta Mutter bzw. Kind zu sein, stellt die vorliegende Geschichte im Kleinen dar. Übersetzung aus dem Arabischen durch Adopt a Revolution.