Rund um die Prozesstage des sogenannten al-Khatib-Verfahrens berichten Medien über grausige Details der Folter in Syrien. Vor dem Oberlandesgericht Koblenz sagt der Blogger Hussein Ghrer aus wie „harte Folter“ aussieht. Endlich darf er vor einem Gericht darüber sprechen, sagt er der Süddeutschen. Die Anwältin und Frauenrechtlerin Joumana Seif berichtet über ihre Gespräche mit Frauen, die in Haft saßen. Sexualisierte Gewalt werde in syrischen Haftzentren systematisch eingesetzt, wird sie im Spiegel zitiert. Dann wieder berichtet ein anonymer Zeuge, wie Leichen in Massengräbern verscharrt wurden. Anonym, weil er fürchtet seine noch in Syrien lebende Familie könnte wegen seiner Aussage selbst verfolgt werden.
Es ist ein Mammutprozess, der in Koblenz läuft. Schon aufgrund der zahlreichen Beweise, die nicht nur die individuelle Schuld der beiden Angeklagten Anwar R. und Eyad A. belegen sollen. Ziel des Verfahrens ist es auch, einen ersten Schritt zur Aufarbeitung der Praxis syrischer Geheimdienste zu gehen. Sie waren maßgeblich daran beteiligt, die ursprünglich zivile Oppositionsbewegung gegen das syrische Regime brutal zu verfolgen – und somit letztlich die Macht des Assad-Clans zu sichern. Entsprechend könnte ein Urteil herausarbeiten, dass auch politische Entscheidungsträger Verantwortung tragen: Bis in höchste Staatskreise hinein müssen willkürlich Festnahmen, Fälle von „Verschwindenlassen“, Mord und massivster Folter zumindest bekannt gewesen sein, vielleicht sogar angeordnet.
Ein Podcast erklärt die Hintergründe
Nicht nur in Schlaglichtern darstellen, was Zeug*innen aussagen, sondern den Prozess erklären, das ist das Anliegen des Podcasts Branch 251. Die beiden Gründer*innen, der Journalist Karam Shoumali und der Menschenrechtsanwalt Fritz Streiff wollen Hintergründe aufarbeiten. Die juristischen genauso wie die politischen der Ereignisse in Syrien. Benannt ist der Podcast nach der Haftanstalt, in der die beiden Angeklagten Anwar R. und Eyad A. arbeiteten. In mittlerweile 18 Folgen stellen sie die Besonderheiten des Strafprozesses heraus. Etwa warum der Prozess nach dem Weltrechtsprinzip in Deutschland stattfinden kann, obwohl die Verbrechen doch in Syrien verübt wurden.
In der Anfangszeit erschien spätestens jede zweite Woche ein neuer Beitrag online. Gerade ist die erste Staffel vorbei, die zweite ist in Vorbereitung. Jedes Mal gibt es ein Schwerpunktthema und die aktuellen Entwicklungen des Prozesses vor dem Koblenzer Gericht werden aufgearbeitet. Es kommen Zeug*innen zu Wort und es gibt Berichte aus dem Gerichtssaal. Ob die ohnehin stattfindende arabisch-deutsche Simultanübersetzung auch internationalen Journalist*innen und Zuhörer*innen zugänglich gemacht wird, ist genauso ein Thema wie die Frage, warum hochrangige Figuren der syrischen Opposition gebürgt hatten, um die Einreise eines der Angeklagten zu ermöglichen.
Ein Mammutprozess entlarvt den Folterstaat
Dass es sich um eine heikle und komplexe Aufgabe handelt, auch nur einen ersten Anlauf zur Aufarbeitung der zahllosen Folterverbrechen in Syrien zu machen, erkennt auch das Koblenzer Gericht: Inzwischen sind über 90 Verhandlungstage angesetzt – bis in den Mai 2021 hinein. Wer auf dem Laufenden bleiben möchte und irgendwann das Urteil grundlegend verstehen will, hat über den Podcast eine gute Möglichkeit dazu.
Wann das Urteil dann fällt, bleibt abzuwarten. Aber ein Ergebnis hat der Prozess schon jetzt geliefert: Er macht in der hiesigen Öffentlichkeit immer wieder deutlich, dass willkürliche Verfolgung und Folter in Syrien an der Tagesordnung sind. Syrien ist nicht sicher, für niemanden. Abschiebungen dorthin darf es deswegen weiterhin nicht geben!
Im Dezember müssen die Landesinnenminister*innen über die Verlängerung des Abschiebungsstopps nach Syrien entscheiden. Jetzt die Petition unterzeichnen und deutlich machen: NIEMAND darf in den Folterstaat abgeschoben werden!