Neue Front auf dem Golan? Blauhelme zwischen Islamisten, Querschlägern und Israel.

Seit Monaten konzentriert sich die Syrien-Berichterstattung auf den Norden und Osten Syriens, wo befreite Zonen entstanden sind. Doch wie sieht es im Süden Syriens abseits des Medienspektakels aus? Welche Rolle spielt die Front Syrien – Golan – Israel? Wieso sitzt die einzige UN-Mission in Syrien mit gut 1000 Soldaten neben Hügeln und wartet ab – […]

Blick aus der zerstörten Kirche auf Trümmer in Qunaitra, Golan. Dez. 2010

Seit Monaten konzentriert sich die Syrien-Berichterstattung auf den Norden und Osten Syriens, wo befreite Zonen entstanden sind. Doch wie sieht es im Süden Syriens abseits des Medienspektakels aus? Welche Rolle spielt die Front Syrien – Golan – Israel? Wieso sitzt die einzige UN-Mission in Syrien mit gut 1000 Soldaten neben Hügeln und wartet ab – während nebenan in der syrischen Provinz Daraa seit 2011 erst die Protestbewegung und dann die Gewaltmaschinerie des syrischen Staates ihren Gang nahmen?

Die Golanhöhen sind eine Gebirgsebene zwischen dem See von Genezareth und Damaskus und völkerrechtlich syrisches Staatsgebiet. Von der syrischen Hauptstadt Damaskus bis in die Provinzhauptstadt Qunaitra sind es gerade mal 60 Kilometer. Der Golan ist in Syrien Inbegriff von nationaler Schmach, ungebrochenem Anspruch auf syrisches Territorium sowie der Scheinpolitik der Assads. Der Golan gilt vor allem wegen der vielen Niederschläge als Perle des Nahen Ostens. Zudem ist er strategisch bedeutend: Von dort hat man freies Schussfeld auf Damaskus auf der einen Seite und auf der anderen auf dicht besiedelte Gebiete in Nordisrael, was die Syrer vor 1967 ausgiebig genutzt haben.

Im Sechs-Tage-Krieg 1967 wurde der syrische Golan von Israel erobert und in einem Rückeroberungsmanöver unter Hafez al-Assad 1973 nur ein kleiner Streifen den Israelis abgerungen. Um die darauhin vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und Syrien zu wahren, wurde 1974 eine UN-Mission ins Leben gerufen: die United Nations Disengagement Observer Force (UNDOF). Zwischen der Alpha- und der Bravo-Linie befindet sich seitdem eine entmilitarisierte Zone, die auch in heutiges syrisches Staatsgebiet hineinreicht. Das Mandat der UNDOF wird jeweils halbjährlich verlängert. Einen verlässlichen Beitrag zur UNDOF stellt bislang Österreich mit ca. 400 Soldaten, einem Drittel des Gesamtkontingents.

Der Stacheldraht lässt den Blick frei auf israelische Sicherheitsanlagen und Straßen auf dem Golan. Der Draht bewahrt vor den zahlreichen noch aktiven Minen, Dez. 2010.

Israel hält seit 1973 zwei Drittel des syrischen Golan. Von den ehemals syrischen Einwohnern sind nur vier drusische Dörfer geblieben, alle anderen leben als Vertriebene des Oktoberkrieges (wie der Krieg von 1973 auf Arabisch heißt) in Syrien. Israel betreibt seit der Annektierung auf dem Golan Landwirtschaft und Tourismus. Für die UNDOF hat bis 2011 die Organisation von Apfelexport und mäßigem Grenzverkehr der drusischen Syrer gen Damaskus ein Highlight geboten. Vom Leben der Drusen zwischen den Grenzen erzählt der Film „Die syrische Braut“.

Unter Hafez/Bashar al-Assad kam es mit Israel seit 1973 weder zu Kriegshandlungen noch zu einem Friedensvertrag samt Gebietsregelung. In Reden der Assads wird der Golan zwar stets für Drohungen gegen Israel bemüht. Tatsächlich aber handelte es sich bisher um eine der sichersten Grenzen Israels. Dieser Widerspruch zwischen Worten und Taten sorgte bei Teilen der Opposition für Hohn, „Verkäufer des Golan“ war ein Beiname für das Assad-Regime.

Seit 2013 kommt es am Golan jedoch vermehrt zu Schusswechseln zwischen israelischer Armee und syrischen Außenposten, zuletzt am Freitag (SPIEGEL Online). Unklar bleibt oft, wer genau auf syrischer Seite schießt. Da die syrische Nachbarregion Hauran (Provinz Daraa) Kampfgebiet zwischen FSA und syrischer Armee ist, landen auch Querschläger auf israelischem Gebiet.

Doch offenbar gibt es auch gezielte Angriffe auf Israel, wie das Tablet Magazine schreibt. Islamistisch-motivierte Kämpfer im Süden Syriens haben angekündigt den Kampf gegen Assad auf den Kampf gegen den Staat Israel ausweiten zu wollen, einige zielen auf die annektierten Gebiete, andere kündigen sogar den Durchmarsch bis Jerusalem an. Analysten sehen Israels Armee gegen solche Angriffe allerdings bestens geschützt und halten Assads letzte Zuckungen für Israel weitaus gefährlicher, wie das Tablet Magazine zitiert. Um von den innersyrischen Kämpfen abzulenken, hat Assad die „Feindkarte“ Israel bislang mehrmals gezückt – z.B. syrische Palästinenser ins israelische Feuer geschickt. Zudem bringt sich Iran mit eigenen Milizen in Syrien bereits für die Zeit nach Assads Sturz in Stellung.

Eine weitere Gefahr für Israel stellen die Kampfhandlungen der libanesischen Hisbollah in Syrien auf Seiten des Assad Regimes dar. Israel befürchtet vor allem, dass die syrischen Chemiewaffen an die Hisbollah fallen könnten. Daher hat die israelische Artellerie seit Anfang des Jahres Hisbollah-Stellungen gelegentlich unter Beschuss genommen.

Die UN sorgt sich über eine steigende Gefährdung der UNDOF-Truppen, wie Reuters berichtet, da sowohl syrische Armee als auch Rebellen mehrmals in die Pufferzone eingedrungen seien. Anfang März hatten syrische Rebellen 21 Blauhelmsoldaten der UNDOF entführt und später wieder freigelassen. Japan hat seine Staatsbürger unter Hinweis auf den Bürgerkrieg in Syrien bereits abgezogen. Die Veränderungen in der UNDOF-Truppe und ihrer Ausstattung erwähnt auch der österreichische Standard. Österreich zeigt sich äußerst besorgt um seine knapp 400 Soldaten in der UNDOF und stellt sich vehement gegen die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber den syrischen Rebellen. Ihre Logik: Sobald die Rebellen über große Waffensysteme verfügten, gerieten die UNDOF-Soldaten im Golan zwischen die Fronten. Bei einem Rückzug der Österreicher wäre die UNDOF wohl vorläufig am Ende – und der Golan offene Flanke nach Israel. Der österreichische Vizekanzler versicherte Israels Premier Netanjahu zuletzt, die Österreicher würden keine Feiglinge sein (österreichische Krone). Mit der österreichischen Außenpolitik geht die Presse wiederum hart ins Gericht und sieht sie als „fahrlässig passiv“ an. Syrien sei auf dem Weg, ein zweites Afghanistan zu werden. Leider werden die nach wie vor zivilgesellschaftlichen Akteure Syriens in dieser Ansicht wieder einmal völlig unterschlagen.

Nachdem bereits eine halbe Million Syrer nach Jordanien geflüchtet sind, erwägen die USA und Jordanien die Errichtung zweier Pufferzonen für Flüchtlinge und desertierte Soldaten auf syrischem Territorium (Washington Post). Bis Ende des Jahres wird allein in Jordanien mit 1 Million syrischen Flüchtlingen gerechnet. Die Pufferzonen sollen von speziell ausgebildeten Rebellen etabliert werden. Unklar ist allerdings, wer die Syrer vor Assads Bombardierungen schützen soll und wer die Flüchtlinge in der syrischen Wüste versorgen soll. Die Pufferzonen könnten ab Sommer (Grenze zu Irak) bzw. Spätsommer (Grenze zu Jordanien in der Provinz Daraa) bestehen, bislang sind alle Angaben jedoch ohne Gewähr.


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